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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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Wien gedeckt ist, -- anstellen. Für den merkantilen Betrieb desselben sind
Lehesten, Gräsenthal, Saalfeld und Sonneberg bekannte Depots.

An die Schieferproduction zu Lehesten, die älteste in diesem Gebiet, lehnte
sich von Anfang die Innung der Schieferdecker, welche entweder von hier
aus oder durch auswärts errichtete Filiale die nöthigen Dachbeschicferungen
im weiten Deutschland besorgte, so daß die meisten Schieferdächer deutscher
Kirchen und Paläste bereits im Mittelalter Material und Arbeiter dem Städt¬
chen Lehesten verdankten. Jahrhunderte blieb der Verband der Filiale mit der
Schieferakade'mie zu Lehesten und selbst noch jetzt hat die Innung allda eine
weitgreifende Anerkennung in Mitteldeutschland. Außerhalb Lehesten wohnen
noch im benachbarten Ort Lichtentanne viele Schieferdecker.

Die Schieferindustrie ist indeß nur eine der Hauptthätigkeiten dieses thü¬
ringer Grauwackenrückens; Holz, Fabriken und Feldbau send die wichtigsten
übrigen. Aus Fichte und Tanne bestehen hier vorherrschend, aus Buche und
Kiefer untergeordnet die Waldungen. Diese sind größtenteils Domanialbesttz,
geringerntheils Privateigenthum. Wo jenes stattfindet, hat sich die Fein¬
schnitzerei eingebürgert; wo dieses, ist der Holzhandel mit Lang- und Scheit¬
hölzern überwiegend und lebendig. Letzterer fördert das Holz durch Flößerei,
entweder nach der Saale oder nach dem Main. In der Feinschnitzerei, die
sich vorzugsweise über den Mainabhang ausbreitet und in mehr als 30 Orten
getrieben wird, zeigt sich die erstaunenswertheste Geschicklichkeit, das Holz zu
verwerthen. Eine Schnitzer- oder Drechslerfamilie braucht das Jahr circa 130
Kubikfuß Holz, das sie dem Staat in roher Form mit 10 si. ö0 Lr. (6 Thlr.
6 Ngr.) bezahlt, aber in verarbeiteter künstlicher Form mit 130 -- 160 si. in
den Verkehr bringt, also mit einer Verwerthung von circa 170 P. C. Und doch
wie billig sind die kleinen äußerst kunstvollen Holzwaaren, wenn wir bedenken,
daß 4680 Dutzend PostHörnchen, d. i. die jährliche Arbeit einer Drechslerfamilie,
nur 136 si. kosten, also das Dutzend auf 2 Kr. oder ^ Ngr. kommt. An
jedem Sonnabend wandern die feinen Holzwaaren in Körben und auf Schieb¬
karren von den Bergdörfern in die Waarenlager der Holzmetropole Sonneberg,
um von da nach den Hauptorten Europas und über die Oceane zu allen
Völkern zu gehen und die Herzen der Kleinen zu erfreuen.

Die Feinschnitzer nehmen übrigens nach altem praktischen Griffe am
liebsten ihr Holz aus den auf der dunkeln Grauwacke und zwar auf den
Obersilur- und Devongesteinen erwachsenen Beständen, greifen auch wol noch
nach den Beständen auf der grauen, meiden jedoch die Waldungen der hellen
Grauwacke. Im Gegensatz zu den kunstvollen Schnitzern und Drechslern
haben die rohen Gewalten der Wind- und Schneebrüche eine Vorliebe für die
Waldungen aus Hellem Grauwackengestein, denn dies Gestein trägt als der
höchste, rauhste und windigste viel Kieselerde enthaltende Theil des Gebirgs ge-


Wien gedeckt ist, — anstellen. Für den merkantilen Betrieb desselben sind
Lehesten, Gräsenthal, Saalfeld und Sonneberg bekannte Depots.

An die Schieferproduction zu Lehesten, die älteste in diesem Gebiet, lehnte
sich von Anfang die Innung der Schieferdecker, welche entweder von hier
aus oder durch auswärts errichtete Filiale die nöthigen Dachbeschicferungen
im weiten Deutschland besorgte, so daß die meisten Schieferdächer deutscher
Kirchen und Paläste bereits im Mittelalter Material und Arbeiter dem Städt¬
chen Lehesten verdankten. Jahrhunderte blieb der Verband der Filiale mit der
Schieferakade'mie zu Lehesten und selbst noch jetzt hat die Innung allda eine
weitgreifende Anerkennung in Mitteldeutschland. Außerhalb Lehesten wohnen
noch im benachbarten Ort Lichtentanne viele Schieferdecker.

Die Schieferindustrie ist indeß nur eine der Hauptthätigkeiten dieses thü¬
ringer Grauwackenrückens; Holz, Fabriken und Feldbau send die wichtigsten
übrigen. Aus Fichte und Tanne bestehen hier vorherrschend, aus Buche und
Kiefer untergeordnet die Waldungen. Diese sind größtenteils Domanialbesttz,
geringerntheils Privateigenthum. Wo jenes stattfindet, hat sich die Fein¬
schnitzerei eingebürgert; wo dieses, ist der Holzhandel mit Lang- und Scheit¬
hölzern überwiegend und lebendig. Letzterer fördert das Holz durch Flößerei,
entweder nach der Saale oder nach dem Main. In der Feinschnitzerei, die
sich vorzugsweise über den Mainabhang ausbreitet und in mehr als 30 Orten
getrieben wird, zeigt sich die erstaunenswertheste Geschicklichkeit, das Holz zu
verwerthen. Eine Schnitzer- oder Drechslerfamilie braucht das Jahr circa 130
Kubikfuß Holz, das sie dem Staat in roher Form mit 10 si. ö0 Lr. (6 Thlr.
6 Ngr.) bezahlt, aber in verarbeiteter künstlicher Form mit 130 — 160 si. in
den Verkehr bringt, also mit einer Verwerthung von circa 170 P. C. Und doch
wie billig sind die kleinen äußerst kunstvollen Holzwaaren, wenn wir bedenken,
daß 4680 Dutzend PostHörnchen, d. i. die jährliche Arbeit einer Drechslerfamilie,
nur 136 si. kosten, also das Dutzend auf 2 Kr. oder ^ Ngr. kommt. An
jedem Sonnabend wandern die feinen Holzwaaren in Körben und auf Schieb¬
karren von den Bergdörfern in die Waarenlager der Holzmetropole Sonneberg,
um von da nach den Hauptorten Europas und über die Oceane zu allen
Völkern zu gehen und die Herzen der Kleinen zu erfreuen.

Die Feinschnitzer nehmen übrigens nach altem praktischen Griffe am
liebsten ihr Holz aus den auf der dunkeln Grauwacke und zwar auf den
Obersilur- und Devongesteinen erwachsenen Beständen, greifen auch wol noch
nach den Beständen auf der grauen, meiden jedoch die Waldungen der hellen
Grauwacke. Im Gegensatz zu den kunstvollen Schnitzern und Drechslern
haben die rohen Gewalten der Wind- und Schneebrüche eine Vorliebe für die
Waldungen aus Hellem Grauwackengestein, denn dies Gestein trägt als der
höchste, rauhste und windigste viel Kieselerde enthaltende Theil des Gebirgs ge-


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[0214] Wien gedeckt ist, — anstellen. Für den merkantilen Betrieb desselben sind Lehesten, Gräsenthal, Saalfeld und Sonneberg bekannte Depots. An die Schieferproduction zu Lehesten, die älteste in diesem Gebiet, lehnte sich von Anfang die Innung der Schieferdecker, welche entweder von hier aus oder durch auswärts errichtete Filiale die nöthigen Dachbeschicferungen im weiten Deutschland besorgte, so daß die meisten Schieferdächer deutscher Kirchen und Paläste bereits im Mittelalter Material und Arbeiter dem Städt¬ chen Lehesten verdankten. Jahrhunderte blieb der Verband der Filiale mit der Schieferakade'mie zu Lehesten und selbst noch jetzt hat die Innung allda eine weitgreifende Anerkennung in Mitteldeutschland. Außerhalb Lehesten wohnen noch im benachbarten Ort Lichtentanne viele Schieferdecker. Die Schieferindustrie ist indeß nur eine der Hauptthätigkeiten dieses thü¬ ringer Grauwackenrückens; Holz, Fabriken und Feldbau send die wichtigsten übrigen. Aus Fichte und Tanne bestehen hier vorherrschend, aus Buche und Kiefer untergeordnet die Waldungen. Diese sind größtenteils Domanialbesttz, geringerntheils Privateigenthum. Wo jenes stattfindet, hat sich die Fein¬ schnitzerei eingebürgert; wo dieses, ist der Holzhandel mit Lang- und Scheit¬ hölzern überwiegend und lebendig. Letzterer fördert das Holz durch Flößerei, entweder nach der Saale oder nach dem Main. In der Feinschnitzerei, die sich vorzugsweise über den Mainabhang ausbreitet und in mehr als 30 Orten getrieben wird, zeigt sich die erstaunenswertheste Geschicklichkeit, das Holz zu verwerthen. Eine Schnitzer- oder Drechslerfamilie braucht das Jahr circa 130 Kubikfuß Holz, das sie dem Staat in roher Form mit 10 si. ö0 Lr. (6 Thlr. 6 Ngr.) bezahlt, aber in verarbeiteter künstlicher Form mit 130 — 160 si. in den Verkehr bringt, also mit einer Verwerthung von circa 170 P. C. Und doch wie billig sind die kleinen äußerst kunstvollen Holzwaaren, wenn wir bedenken, daß 4680 Dutzend PostHörnchen, d. i. die jährliche Arbeit einer Drechslerfamilie, nur 136 si. kosten, also das Dutzend auf 2 Kr. oder ^ Ngr. kommt. An jedem Sonnabend wandern die feinen Holzwaaren in Körben und auf Schieb¬ karren von den Bergdörfern in die Waarenlager der Holzmetropole Sonneberg, um von da nach den Hauptorten Europas und über die Oceane zu allen Völkern zu gehen und die Herzen der Kleinen zu erfreuen. Die Feinschnitzer nehmen übrigens nach altem praktischen Griffe am liebsten ihr Holz aus den auf der dunkeln Grauwacke und zwar auf den Obersilur- und Devongesteinen erwachsenen Beständen, greifen auch wol noch nach den Beständen auf der grauen, meiden jedoch die Waldungen der hellen Grauwacke. Im Gegensatz zu den kunstvollen Schnitzern und Drechslern haben die rohen Gewalten der Wind- und Schneebrüche eine Vorliebe für die Waldungen aus Hellem Grauwackengestein, denn dies Gestein trägt als der höchste, rauhste und windigste viel Kieselerde enthaltende Theil des Gebirgs ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/214>, abgerufen am 01.09.2024.