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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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Sie besitzen darin eine Ausdauer, welcher in unsrer Heimath nur wenige
Individuen fähig sein möchten. Eine ganze Woche hindurch zu reiten, den
Sattel nicht zu verlassen, als um das Mittagsessen zu sich zu nehmen, auf
dem Pferde während des stärksten.Trabes zu schlafen, -- das sind Leistungen,
für welche es anderwärts, als im Orient, kaum ein Gegenstück gibt. Auf
einer Reise in Serbien, vor etwa fünf Monaten, befand ich mich in einem
Han, als daselbst ein Postzug von Konstantinopel eintraf. Die Tataren hatten
-120 Stunden gemacht und verließen -- abgesehen von dem nöthigen Absteigen
beim Pferdewechsel -- erst zum vierten Mal den Sattel. Es war interessant,
sie essen zu sehen: während das Haupt hin und her nickte und die Hälfte des
Körpers im Schlaf lag, griff die Hand wie mechanisch mit dem Löffel in die
tiefe Pillauschüssel.

Es wird einen ungeheuren Umschwung aller Verhältnisse des Ostens
bewirken, wenn die Türkei, dieses wichtigste Bindeglied zwischen Europa und
Asien, dereinst von fahrbaren Communicationslinien durchzogen sein wird. Mehr
als in irgend einem andern Lande wird alsdann hier die Hauptstadt, wird
Konstantinopel, der Centralpunkt werden, in dem sich die Hauptfaden eines
ungeheuern Netzes von Verbindungslinien vereinigen. Der Binnenhandel des
osmanischen Reiches wird dann erst entstehen, denn was jetzt unter diesem
Namen eristirt, verdient ihn kaum; man wird von da ab die Bedeutung
dieser Gegenden mit einem ganz andren Maßstab zu messen haben, als bis
jetzt angewendet wurde, Landstriche, die bisher abgesperrt von allem Verkehr
dalagen, werden sich erschließen und für ihre unverwerthbar gebliebenen Pro¬
dukte einen Markt finden. Im besondern mag die Straße, auf der wir eben
hinfuhren, der große Absatzweg sein, welcher die Erzeugnisse des reichen und
namentlich von Feldfrüchten strotzenden Bulgariens dem Seeplatze Varna zu¬
führen wird, von dem aus. wiederum Konstantinopel aus der vergleichsweise
kleinsten Entfernung d, h. am vortheilhaftesten verproviantirt werden kann.
Diese Capitale wird um so weniger in Zukunft eine starke Zufuhr von außen
her entbehren können, als feststeht, daß jeder Fortschritt, den die Türkei auf
dem Wege der Civilisation macht, auch die hier geeinigte Centralisation des
Staates und seiner Kräfte, die Bevölkerung und deren Bedürfnisse steigern
muß.

Der Grund, weshalb die Türkei in communicativer Rücksicht soweit hinter
fast allen Ländern Europas zurücksteht, ist nicht in den Mängeln ihrer Ver¬
waltung allein, vielmehr darin hauptsächlich zu suchen, daß sie eines großen
Wassersystems, der Grundlage jedes natürlichen Straßennetzes, entbehrt. In
dieser Hinsicht ist sie am ehesten Spanien zu vergleichen, obgleich auch dieses
noch viel vor ihr voraus hat. In Schweden werden die großen Ströme durch
ein System von Seen ersetzt, dessen Verbindung untereinander für die innere


Sie besitzen darin eine Ausdauer, welcher in unsrer Heimath nur wenige
Individuen fähig sein möchten. Eine ganze Woche hindurch zu reiten, den
Sattel nicht zu verlassen, als um das Mittagsessen zu sich zu nehmen, auf
dem Pferde während des stärksten.Trabes zu schlafen, — das sind Leistungen,
für welche es anderwärts, als im Orient, kaum ein Gegenstück gibt. Auf
einer Reise in Serbien, vor etwa fünf Monaten, befand ich mich in einem
Han, als daselbst ein Postzug von Konstantinopel eintraf. Die Tataren hatten
-120 Stunden gemacht und verließen — abgesehen von dem nöthigen Absteigen
beim Pferdewechsel — erst zum vierten Mal den Sattel. Es war interessant,
sie essen zu sehen: während das Haupt hin und her nickte und die Hälfte des
Körpers im Schlaf lag, griff die Hand wie mechanisch mit dem Löffel in die
tiefe Pillauschüssel.

Es wird einen ungeheuren Umschwung aller Verhältnisse des Ostens
bewirken, wenn die Türkei, dieses wichtigste Bindeglied zwischen Europa und
Asien, dereinst von fahrbaren Communicationslinien durchzogen sein wird. Mehr
als in irgend einem andern Lande wird alsdann hier die Hauptstadt, wird
Konstantinopel, der Centralpunkt werden, in dem sich die Hauptfaden eines
ungeheuern Netzes von Verbindungslinien vereinigen. Der Binnenhandel des
osmanischen Reiches wird dann erst entstehen, denn was jetzt unter diesem
Namen eristirt, verdient ihn kaum; man wird von da ab die Bedeutung
dieser Gegenden mit einem ganz andren Maßstab zu messen haben, als bis
jetzt angewendet wurde, Landstriche, die bisher abgesperrt von allem Verkehr
dalagen, werden sich erschließen und für ihre unverwerthbar gebliebenen Pro¬
dukte einen Markt finden. Im besondern mag die Straße, auf der wir eben
hinfuhren, der große Absatzweg sein, welcher die Erzeugnisse des reichen und
namentlich von Feldfrüchten strotzenden Bulgariens dem Seeplatze Varna zu¬
führen wird, von dem aus. wiederum Konstantinopel aus der vergleichsweise
kleinsten Entfernung d, h. am vortheilhaftesten verproviantirt werden kann.
Diese Capitale wird um so weniger in Zukunft eine starke Zufuhr von außen
her entbehren können, als feststeht, daß jeder Fortschritt, den die Türkei auf
dem Wege der Civilisation macht, auch die hier geeinigte Centralisation des
Staates und seiner Kräfte, die Bevölkerung und deren Bedürfnisse steigern
muß.

Der Grund, weshalb die Türkei in communicativer Rücksicht soweit hinter
fast allen Ländern Europas zurücksteht, ist nicht in den Mängeln ihrer Ver¬
waltung allein, vielmehr darin hauptsächlich zu suchen, daß sie eines großen
Wassersystems, der Grundlage jedes natürlichen Straßennetzes, entbehrt. In
dieser Hinsicht ist sie am ehesten Spanien zu vergleichen, obgleich auch dieses
noch viel vor ihr voraus hat. In Schweden werden die großen Ströme durch
ein System von Seen ersetzt, dessen Verbindung untereinander für die innere


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/192>, abgerufen am 06.10.2024.