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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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ausgezeichnete Maler hat darin wieder alle Fülle seiner Poesie aufgeboten und
gezeigt, daß er noch ganz frei von dem Uebel ist, in welches die fortgesetzte
Genremalerei so leicht verfällt: von der Manier. --


Die Industriellen. Roman von Adolph Ritter v. Tschabuschnigg. 2 Bände.
Zwickau, Those. --

Der Anlage nach scheint der Roman eine Satire zu sein. Es soll die
Hartherzigkeit und Kälte der großen industriellen Unternehmer gegeißelt und
die Noth der arbeitenden Classen dem Mitleid des Publicums empfohlen wer¬
den. Dieser an sich sehr löbliche Zweck wird dadurch einigermaßen verkümmert,
daß die Satire zu sehr auf die Spitze getrieben ist. In dem Zerrbilde der
beiden Industriellen, die hier geschildert werden, wird niemand sich wiederer¬
kennen. Was den novellistischen Inhalt betrifft, so finden wir die Stimmung
der Ereignisse und namentlich den Ausgang gar zu düster und abscheulich. Um
tragische Hebel in Bewegung zu setzen, muß man größere Kräfte mitbringen,
als sie der Verfasser besitzt; bei gewöhnlicher Befähigung wird es immer rath¬
sanier sein, auf einen erwünschten Ausgang hinzuarbeiten, denn dadurch ge¬
winnt man das Publicum, welches das Schreckliche nur dann hinnimmt, wenn
es sich bis ins innerste Mark erschüttert fühlt. -- Der Stil ist auffallend in-
correct. --


Für stille Abende. Erzählungen von A. Widmann. Berlin, Franz Duncker. --

Der Verfasser hat sich dem Lesepublicum zuerst durch einen höchst erstaunlichen
Roman bekannt gemacht, in welchem das abenteuerliche Leben des Propheten
Friedrich Rohmer den Mittelpunkt ausmachte. Wir haben schon damals bemerkt,
daß von dem ganz unsinnigen Inhalte abgesehen sich ein nicht gemeines Talent
der Schilderung darin kundgab, daS nur bei dem zu ängstlichen Bemühen,
starke Farben anzuwenden und alles ins Detail auszuarbeiten, häufig in Manier
überging. Beides finden wir auch in diesem neuen Versuch bestätigt. Der
Gegenstand ist diesmal weniger auffallend, es sind kleine Novellen der Art, die
man sonst als kleine Phantasiestücke bezeichnete; sie haben den Vorzug, daß der
Verfasser nie bei den allgemeinen Empfindungen und Vorstellungen stehen
bleibt, sondern sich ernsthaft bemüht, alles, was er erzählt, im Detail auszu¬
arbeiten. Allein daneben geht eine sehr bedenkliche Vorliebe für das Seltsame,
Ungewöhnliche und Bizarre, und wir werden nicht selten mitten in dem durch-
gebildetstcn Realismus durch einen Zug überrascht, den wir nicht verstehen, weil
der Dichter die Mittelglieder ausläßt und eS jedem Einzelnen anheimstellt, sie
sich nach seiner Weise zu ergänzen; daher zuweilen auch das Hastige, Sprung¬
hafte, übertrieben Phantastische in der Erzählung. ^ Trotz dieser Ausstellungen
zeigt sich auch diesmal das Talent des Verfassers ganz unverkennbar und wir


ausgezeichnete Maler hat darin wieder alle Fülle seiner Poesie aufgeboten und
gezeigt, daß er noch ganz frei von dem Uebel ist, in welches die fortgesetzte
Genremalerei so leicht verfällt: von der Manier. —


Die Industriellen. Roman von Adolph Ritter v. Tschabuschnigg. 2 Bände.
Zwickau, Those. —

Der Anlage nach scheint der Roman eine Satire zu sein. Es soll die
Hartherzigkeit und Kälte der großen industriellen Unternehmer gegeißelt und
die Noth der arbeitenden Classen dem Mitleid des Publicums empfohlen wer¬
den. Dieser an sich sehr löbliche Zweck wird dadurch einigermaßen verkümmert,
daß die Satire zu sehr auf die Spitze getrieben ist. In dem Zerrbilde der
beiden Industriellen, die hier geschildert werden, wird niemand sich wiederer¬
kennen. Was den novellistischen Inhalt betrifft, so finden wir die Stimmung
der Ereignisse und namentlich den Ausgang gar zu düster und abscheulich. Um
tragische Hebel in Bewegung zu setzen, muß man größere Kräfte mitbringen,
als sie der Verfasser besitzt; bei gewöhnlicher Befähigung wird es immer rath¬
sanier sein, auf einen erwünschten Ausgang hinzuarbeiten, denn dadurch ge¬
winnt man das Publicum, welches das Schreckliche nur dann hinnimmt, wenn
es sich bis ins innerste Mark erschüttert fühlt. — Der Stil ist auffallend in-
correct. —


Für stille Abende. Erzählungen von A. Widmann. Berlin, Franz Duncker. —

Der Verfasser hat sich dem Lesepublicum zuerst durch einen höchst erstaunlichen
Roman bekannt gemacht, in welchem das abenteuerliche Leben des Propheten
Friedrich Rohmer den Mittelpunkt ausmachte. Wir haben schon damals bemerkt,
daß von dem ganz unsinnigen Inhalte abgesehen sich ein nicht gemeines Talent
der Schilderung darin kundgab, daS nur bei dem zu ängstlichen Bemühen,
starke Farben anzuwenden und alles ins Detail auszuarbeiten, häufig in Manier
überging. Beides finden wir auch in diesem neuen Versuch bestätigt. Der
Gegenstand ist diesmal weniger auffallend, es sind kleine Novellen der Art, die
man sonst als kleine Phantasiestücke bezeichnete; sie haben den Vorzug, daß der
Verfasser nie bei den allgemeinen Empfindungen und Vorstellungen stehen
bleibt, sondern sich ernsthaft bemüht, alles, was er erzählt, im Detail auszu¬
arbeiten. Allein daneben geht eine sehr bedenkliche Vorliebe für das Seltsame,
Ungewöhnliche und Bizarre, und wir werden nicht selten mitten in dem durch-
gebildetstcn Realismus durch einen Zug überrascht, den wir nicht verstehen, weil
der Dichter die Mittelglieder ausläßt und eS jedem Einzelnen anheimstellt, sie
sich nach seiner Weise zu ergänzen; daher zuweilen auch das Hastige, Sprung¬
hafte, übertrieben Phantastische in der Erzählung. ^ Trotz dieser Ausstellungen
zeigt sich auch diesmal das Talent des Verfassers ganz unverkennbar und wir


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/141>, abgerufen am 09.11.2024.