Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.die Novellen bearbeitet, die Shakesparc zum Gegenstand haben. Der Versuch Ueber die anderen historischen Novellen finden wir zu dem, was wir in die Novellen bearbeitet, die Shakesparc zum Gegenstand haben. Der Versuch Ueber die anderen historischen Novellen finden wir zu dem, was wir in <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0103" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/281254"/> <p xml:id="ID_308" prev="#ID_307"> die Novellen bearbeitet, die Shakesparc zum Gegenstand haben. Der Versuch<lb/> ist nachmals von anderen Dichtern mehrfach erneuert worden, in der Regel<lb/> ohne allen Erfolg. Die Neigung uiisrer deutschen Dichter, sich selbst oder<lb/> ihres Gleichen zu porträtiren, ist eine krankhafte; denn man soll die Gegen¬<lb/> stände darstellen, nicht die Reflere derselben in einer anderen Seele. Die<lb/> Dichter geben uns ihr Bestes in ihren Werken. Diese Werke noch einmal<lb/> umzudichten und aus ihnen die Seele des Dichters zu analysiren^ ist nicht<lb/> blos darum mißlich, weil der Versuch meistens auf falscher Fährte geht, son¬<lb/> dern auch im günstigsten Falle ein Abweg aus dem Idealen ins Zufällige und<lb/> Empirische. Vielleicht am mißlichsten ist der Versuch mit Shakespeare. Von<lb/> seinem Leben ist sehr wenig bekannt, und wenn dadurch auch der Phantasie<lb/> des modernen Dichters ein weiterer Spielraum gegeben wird, so dürfte es doch<lb/> sehr schwer fallen, Schicksale zu erfinden, die dem idealen Gehalt Shakespeares<lb/> einigermaßen entsprechend wären. Will niam sich aber darauf einlassen, den<lb/> Dichter durch seine Gedanken und Empfindungen zu schildern, so hat man eine<lb/> sehr bedenkliche Concurrenz an den Werken des Dichters selbst. Shakespeare<lb/> hat fast von jeder Leidenschaft, von jeder bedeutenden Regung der Seele ein<lb/> großes und ergreifendes Bild aufgestellt. Seine Reflexionen sind ebenso be¬<lb/> deutend als umfangreich. Dem modernen Dichter bleibt also nichts übrig, als<lb/> ihn entweder zu copiren oder aus eigne Hand Shakespearcsche Neflerionen zu<lb/> erfinden, was wol sehr mißlich sein würde. Indessen ließe, sich doch noch eine<lb/> Art denken, wenn man den hohen moralischen Sinn Shakespeares bei irgend¬<lb/> einem bedeutenden Collistonssall zum Ausbruch kommen ließe, und in der Ge¬<lb/> walt dieser Leidenschaft die Ueberlegenheit seines Geistes und Herzens über<lb/> seine Zeitgenossen entwickelte. Eine so realistische Darstellung hat Tieck gar<lb/> nicht versucht; er hat sich im Gegensatz gegen die gewöhnliche Tradition, die<lb/> in Shakespeares Jugend eine Reihe leidenschaftlicher Abenteuer sucht, den Dichter<lb/> schon in seiner ersten Jugend als eine reife, fertige Persönlichkeit, als eine<lb/> stille, ätherische Seele vorgestellt.- Wenn der Gedanke, die Größe in der Milde<lb/> zu suchen, zuweilen ganz treffend sein mag, so bietet er doch der Darstellung<lb/> keine sehr brauchbare Handhabe; die Ueberlegenheit des Dichters schmeckt öf¬<lb/> ters nach Altklugheit, und um seine mystische Größe einigermaßen herzustellen,<lb/> ist Tieck genöthigt, zur Wernerischen Mystik zu greifen. Ein unschuldiger Page<lb/> spürt in dem unscheinbar dasitzenden, stillen Manne die königliche Seele heraus;<lb/> ein Gastwirth ahnt in ihm den gewaltigen Dichter. Das sind närrische Mittel,<lb/> die aber recht lebhaft zeigen, auf welche Abwege man geräth, wenn man den<lb/> Pfad der natürlichen, realistischen Empfindung verläßt..</p><lb/> <p xml:id="ID_309" next="#ID_310"> Ueber die anderen historischen Novellen finden wir zu dem, was wir in<lb/> unsrer Literaturgeschichte gesagt, nichts hinzuzusetzen. Wenn der historische<lb/> Roman noch weiter mit Erfolg in Deutschland angebaut werden soll, so dürfte</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0103]
die Novellen bearbeitet, die Shakesparc zum Gegenstand haben. Der Versuch
ist nachmals von anderen Dichtern mehrfach erneuert worden, in der Regel
ohne allen Erfolg. Die Neigung uiisrer deutschen Dichter, sich selbst oder
ihres Gleichen zu porträtiren, ist eine krankhafte; denn man soll die Gegen¬
stände darstellen, nicht die Reflere derselben in einer anderen Seele. Die
Dichter geben uns ihr Bestes in ihren Werken. Diese Werke noch einmal
umzudichten und aus ihnen die Seele des Dichters zu analysiren^ ist nicht
blos darum mißlich, weil der Versuch meistens auf falscher Fährte geht, son¬
dern auch im günstigsten Falle ein Abweg aus dem Idealen ins Zufällige und
Empirische. Vielleicht am mißlichsten ist der Versuch mit Shakespeare. Von
seinem Leben ist sehr wenig bekannt, und wenn dadurch auch der Phantasie
des modernen Dichters ein weiterer Spielraum gegeben wird, so dürfte es doch
sehr schwer fallen, Schicksale zu erfinden, die dem idealen Gehalt Shakespeares
einigermaßen entsprechend wären. Will niam sich aber darauf einlassen, den
Dichter durch seine Gedanken und Empfindungen zu schildern, so hat man eine
sehr bedenkliche Concurrenz an den Werken des Dichters selbst. Shakespeare
hat fast von jeder Leidenschaft, von jeder bedeutenden Regung der Seele ein
großes und ergreifendes Bild aufgestellt. Seine Reflexionen sind ebenso be¬
deutend als umfangreich. Dem modernen Dichter bleibt also nichts übrig, als
ihn entweder zu copiren oder aus eigne Hand Shakespearcsche Neflerionen zu
erfinden, was wol sehr mißlich sein würde. Indessen ließe, sich doch noch eine
Art denken, wenn man den hohen moralischen Sinn Shakespeares bei irgend¬
einem bedeutenden Collistonssall zum Ausbruch kommen ließe, und in der Ge¬
walt dieser Leidenschaft die Ueberlegenheit seines Geistes und Herzens über
seine Zeitgenossen entwickelte. Eine so realistische Darstellung hat Tieck gar
nicht versucht; er hat sich im Gegensatz gegen die gewöhnliche Tradition, die
in Shakespeares Jugend eine Reihe leidenschaftlicher Abenteuer sucht, den Dichter
schon in seiner ersten Jugend als eine reife, fertige Persönlichkeit, als eine
stille, ätherische Seele vorgestellt.- Wenn der Gedanke, die Größe in der Milde
zu suchen, zuweilen ganz treffend sein mag, so bietet er doch der Darstellung
keine sehr brauchbare Handhabe; die Ueberlegenheit des Dichters schmeckt öf¬
ters nach Altklugheit, und um seine mystische Größe einigermaßen herzustellen,
ist Tieck genöthigt, zur Wernerischen Mystik zu greifen. Ein unschuldiger Page
spürt in dem unscheinbar dasitzenden, stillen Manne die königliche Seele heraus;
ein Gastwirth ahnt in ihm den gewaltigen Dichter. Das sind närrische Mittel,
die aber recht lebhaft zeigen, auf welche Abwege man geräth, wenn man den
Pfad der natürlichen, realistischen Empfindung verläßt..
Ueber die anderen historischen Novellen finden wir zu dem, was wir in
unsrer Literaturgeschichte gesagt, nichts hinzuzusetzen. Wenn der historische
Roman noch weiter mit Erfolg in Deutschland angebaut werden soll, so dürfte
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