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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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Gustav Adolph, je nachdem er seine abstracto Idee bei ihnen findet. Parteien
werden aber nicht durch eine abstracte Idee, sondern durch die Totalität der
Sitten, Ueberzeugungen u. s. w. gebildet. Gfrörer hat nur eine politische Idee,
die ihn leitet. Die Einheit Deutschlands in der kaiserlichen Form; das übrige
ist ihm gleichartig. Aber es liegt doch in der sittlichen und materiellen Grundlage
der kaiserlichen Würde ein gewaltiger Unterschied, und es kaun für Deutschland
nicht gleichgültig sein, ob es die katholisch-östreichische, durch die Fortdauer der
italienische" Beziehungen an das Mittelalter geknüpfte, oder die protcstautisch-
uorddentsche Einheit gewinnt.

Verleugnung der Unmittelbarkeit und Vorherrschen einer einfachen politischen
Abstraction als bestimmendes Motiv, ist der Grundcharakter Gfrörers. Daher
seine rein politische Rechtfertigung der Jesuiten, in deren Wahlspruch: "der Zweck
heiligt die Mittel", jene reflectirte Politik gipfelt. Es ist nicht Sympathie mit
dem Inhalt, sondern lediglich die Frende an der Ueberlegenheit eines concentrirten
Verstandes, eines unerschütterlich festgehaltenen, im wesentlichen einfachen und
abstracten Plaus. Daher seine Apologie Macchiavellis, in der er übrigens mit
der allgemeinen Richtung der Zeit Hand in Hand ging"). Man verehrte jetzt
vor allem jene Politiker, die einem allgemeinen Princip zu Liebe, alle Gesetze
der Sittlichkeit und alle Gefühle des Herzens bei Seite setzten, mau verehrte
Richelieu, Ludwig XI., indem man sie etwas gewaltsam mit einem politischen
Ideale identificirte, daß doch erst die moderne Geschichtschreibung abstrahirt hatte;
zuletzt verehrte mau Robespierre. Eine fixe Idee wurde ein Grund zur Kano¬
nisation; in den deutscheu Burschenschafter war das lange vorbereitet. -- "Die
Fürsten, sagt Gfrörer S. 37i, sind darum so hoch gestellt und vom äußern
Zwange befreit, damit sie nichts, als den wahren Vortheil des Staats vor
Augen haben. ES gibt keine höhere Rücksicht für sie, nicht Kirche oder Religion,
nicht die Menschheit. Diese Lehre ist nicht gefährlich, wie es wol beim ersten
flüchtigen Anblick scheinen mag. -- Nur wenn alle Fürsten diese Regel befolgen,
und wenn jeder, der davon abweicht, sogleich, sei es durch die Umstände, sei es
durch den Ehrgeiz der andern dafür bestraft wird -- über kurz oder lang geschieht
dies ohnedem immer wird das wahre Interesse der Menschheit gefördert." --

Diese Idee der Selbstgerechtigkeit oder des subjectiven Idealismus ist aller¬
dings sehr ghibellimsch. Unter den deutschen Philosophen hatte sie am eifrigsten
Fichte gepredigt. Gfrörer schent sich vor keinen Consequenzen. Er vertheidigt
z. B. die schändlichen Hinrichtungen nach Unterdrückung des böhmischen Aufstandes,
aus rein weltlichen Gesichtspunkten. Er hat überall Pläne der Arrondirnngspo-



") Zuerst Fichte in der "Vesta" (180S): der abstracte Grundgedanke der Befreiung
Italiens von den Barbaren sollte bet dem Florentiner die concreten Mittel rechtfertigen, man
dachte an Deutschlands Befreiung von Napoleon, Ein ebenso abstractes FrciheitSpriucip ist
in der gleichzeitigen "Hermannsschlacht" von Kleist.
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Gustav Adolph, je nachdem er seine abstracto Idee bei ihnen findet. Parteien
werden aber nicht durch eine abstracte Idee, sondern durch die Totalität der
Sitten, Ueberzeugungen u. s. w. gebildet. Gfrörer hat nur eine politische Idee,
die ihn leitet. Die Einheit Deutschlands in der kaiserlichen Form; das übrige
ist ihm gleichartig. Aber es liegt doch in der sittlichen und materiellen Grundlage
der kaiserlichen Würde ein gewaltiger Unterschied, und es kaun für Deutschland
nicht gleichgültig sein, ob es die katholisch-östreichische, durch die Fortdauer der
italienische» Beziehungen an das Mittelalter geknüpfte, oder die protcstautisch-
uorddentsche Einheit gewinnt.

Verleugnung der Unmittelbarkeit und Vorherrschen einer einfachen politischen
Abstraction als bestimmendes Motiv, ist der Grundcharakter Gfrörers. Daher
seine rein politische Rechtfertigung der Jesuiten, in deren Wahlspruch: „der Zweck
heiligt die Mittel", jene reflectirte Politik gipfelt. Es ist nicht Sympathie mit
dem Inhalt, sondern lediglich die Frende an der Ueberlegenheit eines concentrirten
Verstandes, eines unerschütterlich festgehaltenen, im wesentlichen einfachen und
abstracten Plaus. Daher seine Apologie Macchiavellis, in der er übrigens mit
der allgemeinen Richtung der Zeit Hand in Hand ging"). Man verehrte jetzt
vor allem jene Politiker, die einem allgemeinen Princip zu Liebe, alle Gesetze
der Sittlichkeit und alle Gefühle des Herzens bei Seite setzten, mau verehrte
Richelieu, Ludwig XI., indem man sie etwas gewaltsam mit einem politischen
Ideale identificirte, daß doch erst die moderne Geschichtschreibung abstrahirt hatte;
zuletzt verehrte mau Robespierre. Eine fixe Idee wurde ein Grund zur Kano¬
nisation; in den deutscheu Burschenschafter war das lange vorbereitet. — „Die
Fürsten, sagt Gfrörer S. 37i, sind darum so hoch gestellt und vom äußern
Zwange befreit, damit sie nichts, als den wahren Vortheil des Staats vor
Augen haben. ES gibt keine höhere Rücksicht für sie, nicht Kirche oder Religion,
nicht die Menschheit. Diese Lehre ist nicht gefährlich, wie es wol beim ersten
flüchtigen Anblick scheinen mag. — Nur wenn alle Fürsten diese Regel befolgen,
und wenn jeder, der davon abweicht, sogleich, sei es durch die Umstände, sei es
durch den Ehrgeiz der andern dafür bestraft wird — über kurz oder lang geschieht
dies ohnedem immer wird das wahre Interesse der Menschheit gefördert." —

Diese Idee der Selbstgerechtigkeit oder des subjectiven Idealismus ist aller¬
dings sehr ghibellimsch. Unter den deutschen Philosophen hatte sie am eifrigsten
Fichte gepredigt. Gfrörer schent sich vor keinen Consequenzen. Er vertheidigt
z. B. die schändlichen Hinrichtungen nach Unterdrückung des böhmischen Aufstandes,
aus rein weltlichen Gesichtspunkten. Er hat überall Pläne der Arrondirnngspo-



") Zuerst Fichte in der „Vesta" (180S): der abstracte Grundgedanke der Befreiung
Italiens von den Barbaren sollte bet dem Florentiner die concreten Mittel rechtfertigen, man
dachte an Deutschlands Befreiung von Napoleon, Ein ebenso abstractes FrciheitSpriucip ist
in der gleichzeitigen „Hermannsschlacht" von Kleist.
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[0099] Gustav Adolph, je nachdem er seine abstracto Idee bei ihnen findet. Parteien werden aber nicht durch eine abstracte Idee, sondern durch die Totalität der Sitten, Ueberzeugungen u. s. w. gebildet. Gfrörer hat nur eine politische Idee, die ihn leitet. Die Einheit Deutschlands in der kaiserlichen Form; das übrige ist ihm gleichartig. Aber es liegt doch in der sittlichen und materiellen Grundlage der kaiserlichen Würde ein gewaltiger Unterschied, und es kaun für Deutschland nicht gleichgültig sein, ob es die katholisch-östreichische, durch die Fortdauer der italienische» Beziehungen an das Mittelalter geknüpfte, oder die protcstautisch- uorddentsche Einheit gewinnt. Verleugnung der Unmittelbarkeit und Vorherrschen einer einfachen politischen Abstraction als bestimmendes Motiv, ist der Grundcharakter Gfrörers. Daher seine rein politische Rechtfertigung der Jesuiten, in deren Wahlspruch: „der Zweck heiligt die Mittel", jene reflectirte Politik gipfelt. Es ist nicht Sympathie mit dem Inhalt, sondern lediglich die Frende an der Ueberlegenheit eines concentrirten Verstandes, eines unerschütterlich festgehaltenen, im wesentlichen einfachen und abstracten Plaus. Daher seine Apologie Macchiavellis, in der er übrigens mit der allgemeinen Richtung der Zeit Hand in Hand ging"). Man verehrte jetzt vor allem jene Politiker, die einem allgemeinen Princip zu Liebe, alle Gesetze der Sittlichkeit und alle Gefühle des Herzens bei Seite setzten, mau verehrte Richelieu, Ludwig XI., indem man sie etwas gewaltsam mit einem politischen Ideale identificirte, daß doch erst die moderne Geschichtschreibung abstrahirt hatte; zuletzt verehrte mau Robespierre. Eine fixe Idee wurde ein Grund zur Kano¬ nisation; in den deutscheu Burschenschafter war das lange vorbereitet. — „Die Fürsten, sagt Gfrörer S. 37i, sind darum so hoch gestellt und vom äußern Zwange befreit, damit sie nichts, als den wahren Vortheil des Staats vor Augen haben. ES gibt keine höhere Rücksicht für sie, nicht Kirche oder Religion, nicht die Menschheit. Diese Lehre ist nicht gefährlich, wie es wol beim ersten flüchtigen Anblick scheinen mag. — Nur wenn alle Fürsten diese Regel befolgen, und wenn jeder, der davon abweicht, sogleich, sei es durch die Umstände, sei es durch den Ehrgeiz der andern dafür bestraft wird — über kurz oder lang geschieht dies ohnedem immer wird das wahre Interesse der Menschheit gefördert." — Diese Idee der Selbstgerechtigkeit oder des subjectiven Idealismus ist aller¬ dings sehr ghibellimsch. Unter den deutschen Philosophen hatte sie am eifrigsten Fichte gepredigt. Gfrörer schent sich vor keinen Consequenzen. Er vertheidigt z. B. die schändlichen Hinrichtungen nach Unterdrückung des böhmischen Aufstandes, aus rein weltlichen Gesichtspunkten. Er hat überall Pläne der Arrondirnngspo- ") Zuerst Fichte in der „Vesta" (180S): der abstracte Grundgedanke der Befreiung Italiens von den Barbaren sollte bet dem Florentiner die concreten Mittel rechtfertigen, man dachte an Deutschlands Befreiung von Napoleon, Ein ebenso abstractes FrciheitSpriucip ist in der gleichzeitigen „Hermannsschlacht" von Kleist. 12*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/99>, abgerufen am 05.02.2025.