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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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Wir haben schon bei dem frühern Bericht darauf aufmerksam gemacht, daß
unter diesen schwäbischen Dichtern, grade wie im Hainbund, mit dem sie die nächste
Verwandtschaft haben, wie denn Lenau auch in der Weise seines Schaffens beiden
sehr ähnlich ist, eine Art von Gemüthlichkeit herrschte, die mitunter nahe ans
Kindische streift. Lenau wurde von allen verhätschelt. Wenn das von Damen
geschieht, so ist das bei einem Dichter ganz in der Ordnung. So hat uns eine
Anekdote, die Frau von Suckow S. 46 erzählt, vielen Spaß gemacht. "Auf dem
Eilwagen saß Lenau neben einer Dame. Sie hatte seinen Namen gehört. Nach
seiner Gewohnheit wünschte er zu rauchen; aber ihm fehlt das Stückchen Flor,
das er beim Anzünden der Pfeife mit Raffinement des Schmauchers obenauf zu
legen pflegt. Da nimmt die Dame ihre Düllhaube vom Kopfe, reißt sie in
Trümmer und opfert sie dem Lieblinge der Götter. Wir alle hätten unsere
Hauben gern für ihn hingegeben." Wie gesagt, von Damen ist so etwas sehr
hübsch, aber die Männer gingen mit Lenau ungefähr aus die nämliche Weise
um; es war ein beständiger Austausch von Gesühlsströmen, Liebkosungen u. s. w.
Das ist uicht gut, denn ein Mann soll als Mann behandelt werden, anch wenn
er ein Dichter ist, nicht wie eine Puppe, mit der man spielt. Von frühester
Jugend auf diese Weise verzogen, ist es dem Dichter schwer geworden, gegen
sich selbst zu kämpfen, gegen den Dämon, der doch niemals rein physischer
Natur ist.

Ueber diese Umgangsformen der schwäbischen Dichtergcsellschaft erhalten wir
einzelne interessante Notizen. Graf Alexander von Würtemberg spielt darin eine
große Rolle*); aber auch die jüngern Schriftsteller, Auerbach, Herwegh u. f. w.,
ferner die Philosophen, z. B. Strauß, treten auf. Im allgemeinen hatte er
gegen die Hegelianer eine große Abneigung, die wir anch einem Poeten des
Contrastes nicht verdenken können. Mit großem Behagen pflegte er den Aus¬
spruch eiues Hegelianers zu erzählen: "wenn man alles wegthut, so bleibt in der
Welt doch noch ein irrationeller Rest, der nicht zu tilgen ist." Aber er setzte
dann doch hinzu: "die Hegelianer und alle die Leute sind nicht so zu fürchten,
wie die Hierarchien ... Da hat es noch keine Noch, und wenn sie die ganze
Welt beHegeln, und wenn sie allen Glanben und alle Religion vertilgen wollen,
die ganze Welt würde doch nach Gott schmachten!-- -- Aber diese Finsterniß, dies
Verunstalten! Die Pfaffen kommen gleich mit dem Zündhölzchen . . . Aber es
kann uicht dazu kommen . . . Und wenn auch das Volk noch wollte, die gebil¬
deten Leute würden sagen: Lassens mi ans, i hab "et Zeit!" -- Das ist prächtig
gesagt! "Lassens mi ans, i hab net Zeit!" Wir haben den Dichter deshalb noch
mehr lieb gewonnen.

Mit Kerner muß das Verhältniß sonderbar gewesen sein. Die beiden



Auch W. Menzel kommt einmal vor (1833).

Wir haben schon bei dem frühern Bericht darauf aufmerksam gemacht, daß
unter diesen schwäbischen Dichtern, grade wie im Hainbund, mit dem sie die nächste
Verwandtschaft haben, wie denn Lenau auch in der Weise seines Schaffens beiden
sehr ähnlich ist, eine Art von Gemüthlichkeit herrschte, die mitunter nahe ans
Kindische streift. Lenau wurde von allen verhätschelt. Wenn das von Damen
geschieht, so ist das bei einem Dichter ganz in der Ordnung. So hat uns eine
Anekdote, die Frau von Suckow S. 46 erzählt, vielen Spaß gemacht. „Auf dem
Eilwagen saß Lenau neben einer Dame. Sie hatte seinen Namen gehört. Nach
seiner Gewohnheit wünschte er zu rauchen; aber ihm fehlt das Stückchen Flor,
das er beim Anzünden der Pfeife mit Raffinement des Schmauchers obenauf zu
legen pflegt. Da nimmt die Dame ihre Düllhaube vom Kopfe, reißt sie in
Trümmer und opfert sie dem Lieblinge der Götter. Wir alle hätten unsere
Hauben gern für ihn hingegeben." Wie gesagt, von Damen ist so etwas sehr
hübsch, aber die Männer gingen mit Lenau ungefähr aus die nämliche Weise
um; es war ein beständiger Austausch von Gesühlsströmen, Liebkosungen u. s. w.
Das ist uicht gut, denn ein Mann soll als Mann behandelt werden, anch wenn
er ein Dichter ist, nicht wie eine Puppe, mit der man spielt. Von frühester
Jugend auf diese Weise verzogen, ist es dem Dichter schwer geworden, gegen
sich selbst zu kämpfen, gegen den Dämon, der doch niemals rein physischer
Natur ist.

Ueber diese Umgangsformen der schwäbischen Dichtergcsellschaft erhalten wir
einzelne interessante Notizen. Graf Alexander von Würtemberg spielt darin eine
große Rolle*); aber auch die jüngern Schriftsteller, Auerbach, Herwegh u. f. w.,
ferner die Philosophen, z. B. Strauß, treten auf. Im allgemeinen hatte er
gegen die Hegelianer eine große Abneigung, die wir anch einem Poeten des
Contrastes nicht verdenken können. Mit großem Behagen pflegte er den Aus¬
spruch eiues Hegelianers zu erzählen: „wenn man alles wegthut, so bleibt in der
Welt doch noch ein irrationeller Rest, der nicht zu tilgen ist." Aber er setzte
dann doch hinzu: „die Hegelianer und alle die Leute sind nicht so zu fürchten,
wie die Hierarchien ... Da hat es noch keine Noch, und wenn sie die ganze
Welt beHegeln, und wenn sie allen Glanben und alle Religion vertilgen wollen,
die ganze Welt würde doch nach Gott schmachten!— — Aber diese Finsterniß, dies
Verunstalten! Die Pfaffen kommen gleich mit dem Zündhölzchen . . . Aber es
kann uicht dazu kommen . . . Und wenn auch das Volk noch wollte, die gebil¬
deten Leute würden sagen: Lassens mi ans, i hab »et Zeit!" — Das ist prächtig
gesagt! „Lassens mi ans, i hab net Zeit!" Wir haben den Dichter deshalb noch
mehr lieb gewonnen.

Mit Kerner muß das Verhältniß sonderbar gewesen sein. Die beiden



Auch W. Menzel kommt einmal vor (1833).
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[0078] Wir haben schon bei dem frühern Bericht darauf aufmerksam gemacht, daß unter diesen schwäbischen Dichtern, grade wie im Hainbund, mit dem sie die nächste Verwandtschaft haben, wie denn Lenau auch in der Weise seines Schaffens beiden sehr ähnlich ist, eine Art von Gemüthlichkeit herrschte, die mitunter nahe ans Kindische streift. Lenau wurde von allen verhätschelt. Wenn das von Damen geschieht, so ist das bei einem Dichter ganz in der Ordnung. So hat uns eine Anekdote, die Frau von Suckow S. 46 erzählt, vielen Spaß gemacht. „Auf dem Eilwagen saß Lenau neben einer Dame. Sie hatte seinen Namen gehört. Nach seiner Gewohnheit wünschte er zu rauchen; aber ihm fehlt das Stückchen Flor, das er beim Anzünden der Pfeife mit Raffinement des Schmauchers obenauf zu legen pflegt. Da nimmt die Dame ihre Düllhaube vom Kopfe, reißt sie in Trümmer und opfert sie dem Lieblinge der Götter. Wir alle hätten unsere Hauben gern für ihn hingegeben." Wie gesagt, von Damen ist so etwas sehr hübsch, aber die Männer gingen mit Lenau ungefähr aus die nämliche Weise um; es war ein beständiger Austausch von Gesühlsströmen, Liebkosungen u. s. w. Das ist uicht gut, denn ein Mann soll als Mann behandelt werden, anch wenn er ein Dichter ist, nicht wie eine Puppe, mit der man spielt. Von frühester Jugend auf diese Weise verzogen, ist es dem Dichter schwer geworden, gegen sich selbst zu kämpfen, gegen den Dämon, der doch niemals rein physischer Natur ist. Ueber diese Umgangsformen der schwäbischen Dichtergcsellschaft erhalten wir einzelne interessante Notizen. Graf Alexander von Würtemberg spielt darin eine große Rolle*); aber auch die jüngern Schriftsteller, Auerbach, Herwegh u. f. w., ferner die Philosophen, z. B. Strauß, treten auf. Im allgemeinen hatte er gegen die Hegelianer eine große Abneigung, die wir anch einem Poeten des Contrastes nicht verdenken können. Mit großem Behagen pflegte er den Aus¬ spruch eiues Hegelianers zu erzählen: „wenn man alles wegthut, so bleibt in der Welt doch noch ein irrationeller Rest, der nicht zu tilgen ist." Aber er setzte dann doch hinzu: „die Hegelianer und alle die Leute sind nicht so zu fürchten, wie die Hierarchien ... Da hat es noch keine Noch, und wenn sie die ganze Welt beHegeln, und wenn sie allen Glanben und alle Religion vertilgen wollen, die ganze Welt würde doch nach Gott schmachten!— — Aber diese Finsterniß, dies Verunstalten! Die Pfaffen kommen gleich mit dem Zündhölzchen . . . Aber es kann uicht dazu kommen . . . Und wenn auch das Volk noch wollte, die gebil¬ deten Leute würden sagen: Lassens mi ans, i hab »et Zeit!" — Das ist prächtig gesagt! „Lassens mi ans, i hab net Zeit!" Wir haben den Dichter deshalb noch mehr lieb gewonnen. Mit Kerner muß das Verhältniß sonderbar gewesen sein. Die beiden Auch W. Menzel kommt einmal vor (1833).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/78>, abgerufen am 05.02.2025.