Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

tretenden Unterthanen kann a priori die Regierung sich keine Bedingungen vor¬
legen lassen, von deren Erfüllung er sein gesetzmäßiges Verhalten abhängig
machen will.

, Unser Landtag tritt wahrscheinlich kurz vor Weihnachten zusammen. Er be¬
steht aus 3ö Katholiken und 28 Protestanten. Die Wähler haben demnach ge¬
zeigt, daß sie auf die Confession keine Rücksicht nehmen. Nach den konfessionellen
Bevölkerungsverhältnissen müßte er sonst i2 Katholiken zählen. Unter den Ge¬
wählten befinden sich auch fast keine confessionellen Parteimänner!' In politischer
Hinsicht erscheint er vollkommen gouvernemental. Trotzdem ist es noch äußerst
fraglich, ob ihm die Regierung eine Vorlage über den Kirchenstreit machen wird.
Im Publicum wünscht man es lebhaft, weil' es aus seinen Kundgebungen sicher¬
lich erkennen würde, wie groß die Sympathien der Landesvertretung für ihr
Vorschreiten .gegen, die hierarchischen Uebergriffe sind -- umsogrößer,' als leider
Hessen-Darmstadt gar nicht, Würtemberg nur zweifelhaft mit ihr ein und dasselbe
Princip in einem Kampfe verfolgt, der nicht blos der badischen Staatsvbcrhoheit,
sondern aller StaatSsonveränetät gilt und Baden nur zntn ersten Angriffspunkt
gewählt hat. Im übrigen hört man, daß eine Anleihe von j-V, Million Gul¬
den zur Verschuldung der Eisenbahnschienen zur Bewilligung gestellt werden solle.
Anderwärts verlautet, auch ein Gesetz über gemischte Ehen werde eingebracht
werden. Geschähe dies, so wäre die Verhandlung der jetzigen kirchlichen Zustände
kaum zu vermeiden.

Schließlich seien noch einige der bedeutendste" Brochüren über den hierarchi¬
schen Kampf angemerkt. Die erste war von dem bekannten Ultramontanen Moritz
Lieber ,,Jn Sachen der oberrheinischen Kirchenprovinz" (Freiburg i. Br., Herder),
vor etwa 2 Monaten erschienen und natürlich im. zelotischer Sinne, mit Ver¬
drehungen und Sophistereien der handgreiflichsten Art geschrieben. Ihr folgte
vor etwa 3 Wochen eine "Beleuchtung der Entschließung der Regierungen der
oberrheinischen Kirchenprovinz auf die bischöfliche Denkschrift vom März -I8S1."
Angeblich "von einem Laien", aber sehr wahrscheinlich von einer dem Bischof von
Mainz nahestehenden Persönlichkeit. "Die Mutterkirche, ein Friedenswort an
unsere katholischen Mitchriste"", vor etwa 1i Tagen herausgekommen, ist eine
sehr schwache protestantische predigtartige Arbeit, die vielleicht einen Frankfurter
Pfarrer zum Verfasser hat. Gutmeiern allein kann bei einem solchen Conflict
nichts fördern und helfen. Interessanter ist dagegen "der bischöfliche Streit,
Sendschreiben an Herrn Regierungsrath und Stadtdirector Burger zu Freiburg",
ein einziger Druckbogen, vor wenigen Tagen erschienen, aber darum von so großer
Wichtigkeit, weil darin vom strengkatholischen Standpunkt aus die Unrechtmäßig¬
keit und Machtlosigkeit der vom Erzbischof ausgesprochenen Excommunication und
die nachtheiligen Wirkungen seines ganzen.Vorgehens auf die katholische Kirche
geistvoll und schlagend nachgewiesen sind. Mau schrieb zuerst das Sendschreiben


tretenden Unterthanen kann a priori die Regierung sich keine Bedingungen vor¬
legen lassen, von deren Erfüllung er sein gesetzmäßiges Verhalten abhängig
machen will.

, Unser Landtag tritt wahrscheinlich kurz vor Weihnachten zusammen. Er be¬
steht aus 3ö Katholiken und 28 Protestanten. Die Wähler haben demnach ge¬
zeigt, daß sie auf die Confession keine Rücksicht nehmen. Nach den konfessionellen
Bevölkerungsverhältnissen müßte er sonst i2 Katholiken zählen. Unter den Ge¬
wählten befinden sich auch fast keine confessionellen Parteimänner!' In politischer
Hinsicht erscheint er vollkommen gouvernemental. Trotzdem ist es noch äußerst
fraglich, ob ihm die Regierung eine Vorlage über den Kirchenstreit machen wird.
Im Publicum wünscht man es lebhaft, weil' es aus seinen Kundgebungen sicher¬
lich erkennen würde, wie groß die Sympathien der Landesvertretung für ihr
Vorschreiten .gegen, die hierarchischen Uebergriffe sind — umsogrößer,' als leider
Hessen-Darmstadt gar nicht, Würtemberg nur zweifelhaft mit ihr ein und dasselbe
Princip in einem Kampfe verfolgt, der nicht blos der badischen Staatsvbcrhoheit,
sondern aller StaatSsonveränetät gilt und Baden nur zntn ersten Angriffspunkt
gewählt hat. Im übrigen hört man, daß eine Anleihe von j-V, Million Gul¬
den zur Verschuldung der Eisenbahnschienen zur Bewilligung gestellt werden solle.
Anderwärts verlautet, auch ein Gesetz über gemischte Ehen werde eingebracht
werden. Geschähe dies, so wäre die Verhandlung der jetzigen kirchlichen Zustände
kaum zu vermeiden.

Schließlich seien noch einige der bedeutendste» Brochüren über den hierarchi¬
schen Kampf angemerkt. Die erste war von dem bekannten Ultramontanen Moritz
Lieber ,,Jn Sachen der oberrheinischen Kirchenprovinz" (Freiburg i. Br., Herder),
vor etwa 2 Monaten erschienen und natürlich im. zelotischer Sinne, mit Ver¬
drehungen und Sophistereien der handgreiflichsten Art geschrieben. Ihr folgte
vor etwa 3 Wochen eine „Beleuchtung der Entschließung der Regierungen der
oberrheinischen Kirchenprovinz auf die bischöfliche Denkschrift vom März -I8S1."
Angeblich „von einem Laien", aber sehr wahrscheinlich von einer dem Bischof von
Mainz nahestehenden Persönlichkeit. „Die Mutterkirche, ein Friedenswort an
unsere katholischen Mitchriste»", vor etwa 1i Tagen herausgekommen, ist eine
sehr schwache protestantische predigtartige Arbeit, die vielleicht einen Frankfurter
Pfarrer zum Verfasser hat. Gutmeiern allein kann bei einem solchen Conflict
nichts fördern und helfen. Interessanter ist dagegen „der bischöfliche Streit,
Sendschreiben an Herrn Regierungsrath und Stadtdirector Burger zu Freiburg",
ein einziger Druckbogen, vor wenigen Tagen erschienen, aber darum von so großer
Wichtigkeit, weil darin vom strengkatholischen Standpunkt aus die Unrechtmäßig¬
keit und Machtlosigkeit der vom Erzbischof ausgesprochenen Excommunication und
die nachtheiligen Wirkungen seines ganzen.Vorgehens auf die katholische Kirche
geistvoll und schlagend nachgewiesen sind. Mau schrieb zuerst das Sendschreiben


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0512" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/97217"/>
          <p xml:id="ID_1491" prev="#ID_1490"> tretenden Unterthanen kann a priori die Regierung sich keine Bedingungen vor¬<lb/>
legen lassen, von deren Erfüllung er sein gesetzmäßiges Verhalten abhängig<lb/>
machen will.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1492"> , Unser Landtag tritt wahrscheinlich kurz vor Weihnachten zusammen. Er be¬<lb/>
steht aus 3ö Katholiken und 28 Protestanten. Die Wähler haben demnach ge¬<lb/>
zeigt, daß sie auf die Confession keine Rücksicht nehmen. Nach den konfessionellen<lb/>
Bevölkerungsverhältnissen müßte er sonst i2 Katholiken zählen. Unter den Ge¬<lb/>
wählten befinden sich auch fast keine confessionellen Parteimänner!' In politischer<lb/>
Hinsicht erscheint er vollkommen gouvernemental. Trotzdem ist es noch äußerst<lb/>
fraglich, ob ihm die Regierung eine Vorlage über den Kirchenstreit machen wird.<lb/>
Im Publicum wünscht man es lebhaft, weil' es aus seinen Kundgebungen sicher¬<lb/>
lich erkennen würde, wie groß die Sympathien der Landesvertretung für ihr<lb/>
Vorschreiten .gegen, die hierarchischen Uebergriffe sind &#x2014; umsogrößer,' als leider<lb/>
Hessen-Darmstadt gar nicht, Würtemberg nur zweifelhaft mit ihr ein und dasselbe<lb/>
Princip in einem Kampfe verfolgt, der nicht blos der badischen Staatsvbcrhoheit,<lb/>
sondern aller StaatSsonveränetät gilt und Baden nur zntn ersten Angriffspunkt<lb/>
gewählt hat. Im übrigen hört man, daß eine Anleihe von j-V, Million Gul¬<lb/>
den zur Verschuldung der Eisenbahnschienen zur Bewilligung gestellt werden solle.<lb/>
Anderwärts verlautet, auch ein Gesetz über gemischte Ehen werde eingebracht<lb/>
werden. Geschähe dies, so wäre die Verhandlung der jetzigen kirchlichen Zustände<lb/>
kaum zu vermeiden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1493" next="#ID_1494"> Schließlich seien noch einige der bedeutendste» Brochüren über den hierarchi¬<lb/>
schen Kampf angemerkt. Die erste war von dem bekannten Ultramontanen Moritz<lb/>
Lieber ,,Jn Sachen der oberrheinischen Kirchenprovinz" (Freiburg i. Br., Herder),<lb/>
vor etwa 2 Monaten erschienen und natürlich im. zelotischer Sinne, mit Ver¬<lb/>
drehungen und Sophistereien der handgreiflichsten Art geschrieben. Ihr folgte<lb/>
vor etwa 3 Wochen eine &#x201E;Beleuchtung der Entschließung der Regierungen der<lb/>
oberrheinischen Kirchenprovinz auf die bischöfliche Denkschrift vom März -I8S1."<lb/>
Angeblich &#x201E;von einem Laien", aber sehr wahrscheinlich von einer dem Bischof von<lb/>
Mainz nahestehenden Persönlichkeit. &#x201E;Die Mutterkirche, ein Friedenswort an<lb/>
unsere katholischen Mitchriste»", vor etwa 1i Tagen herausgekommen, ist eine<lb/>
sehr schwache protestantische predigtartige Arbeit, die vielleicht einen Frankfurter<lb/>
Pfarrer zum Verfasser hat. Gutmeiern allein kann bei einem solchen Conflict<lb/>
nichts fördern und helfen. Interessanter ist dagegen &#x201E;der bischöfliche Streit,<lb/>
Sendschreiben an Herrn Regierungsrath und Stadtdirector Burger zu Freiburg",<lb/>
ein einziger Druckbogen, vor wenigen Tagen erschienen, aber darum von so großer<lb/>
Wichtigkeit, weil darin vom strengkatholischen Standpunkt aus die Unrechtmäßig¬<lb/>
keit und Machtlosigkeit der vom Erzbischof ausgesprochenen Excommunication und<lb/>
die nachtheiligen Wirkungen seines ganzen.Vorgehens auf die katholische Kirche<lb/>
geistvoll und schlagend nachgewiesen sind.  Mau schrieb zuerst das Sendschreiben</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0512] tretenden Unterthanen kann a priori die Regierung sich keine Bedingungen vor¬ legen lassen, von deren Erfüllung er sein gesetzmäßiges Verhalten abhängig machen will. , Unser Landtag tritt wahrscheinlich kurz vor Weihnachten zusammen. Er be¬ steht aus 3ö Katholiken und 28 Protestanten. Die Wähler haben demnach ge¬ zeigt, daß sie auf die Confession keine Rücksicht nehmen. Nach den konfessionellen Bevölkerungsverhältnissen müßte er sonst i2 Katholiken zählen. Unter den Ge¬ wählten befinden sich auch fast keine confessionellen Parteimänner!' In politischer Hinsicht erscheint er vollkommen gouvernemental. Trotzdem ist es noch äußerst fraglich, ob ihm die Regierung eine Vorlage über den Kirchenstreit machen wird. Im Publicum wünscht man es lebhaft, weil' es aus seinen Kundgebungen sicher¬ lich erkennen würde, wie groß die Sympathien der Landesvertretung für ihr Vorschreiten .gegen, die hierarchischen Uebergriffe sind — umsogrößer,' als leider Hessen-Darmstadt gar nicht, Würtemberg nur zweifelhaft mit ihr ein und dasselbe Princip in einem Kampfe verfolgt, der nicht blos der badischen Staatsvbcrhoheit, sondern aller StaatSsonveränetät gilt und Baden nur zntn ersten Angriffspunkt gewählt hat. Im übrigen hört man, daß eine Anleihe von j-V, Million Gul¬ den zur Verschuldung der Eisenbahnschienen zur Bewilligung gestellt werden solle. Anderwärts verlautet, auch ein Gesetz über gemischte Ehen werde eingebracht werden. Geschähe dies, so wäre die Verhandlung der jetzigen kirchlichen Zustände kaum zu vermeiden. Schließlich seien noch einige der bedeutendste» Brochüren über den hierarchi¬ schen Kampf angemerkt. Die erste war von dem bekannten Ultramontanen Moritz Lieber ,,Jn Sachen der oberrheinischen Kirchenprovinz" (Freiburg i. Br., Herder), vor etwa 2 Monaten erschienen und natürlich im. zelotischer Sinne, mit Ver¬ drehungen und Sophistereien der handgreiflichsten Art geschrieben. Ihr folgte vor etwa 3 Wochen eine „Beleuchtung der Entschließung der Regierungen der oberrheinischen Kirchenprovinz auf die bischöfliche Denkschrift vom März -I8S1." Angeblich „von einem Laien", aber sehr wahrscheinlich von einer dem Bischof von Mainz nahestehenden Persönlichkeit. „Die Mutterkirche, ein Friedenswort an unsere katholischen Mitchriste»", vor etwa 1i Tagen herausgekommen, ist eine sehr schwache protestantische predigtartige Arbeit, die vielleicht einen Frankfurter Pfarrer zum Verfasser hat. Gutmeiern allein kann bei einem solchen Conflict nichts fördern und helfen. Interessanter ist dagegen „der bischöfliche Streit, Sendschreiben an Herrn Regierungsrath und Stadtdirector Burger zu Freiburg", ein einziger Druckbogen, vor wenigen Tagen erschienen, aber darum von so großer Wichtigkeit, weil darin vom strengkatholischen Standpunkt aus die Unrechtmäßig¬ keit und Machtlosigkeit der vom Erzbischof ausgesprochenen Excommunication und die nachtheiligen Wirkungen seines ganzen.Vorgehens auf die katholische Kirche geistvoll und schlagend nachgewiesen sind. Mau schrieb zuerst das Sendschreiben

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/512
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/512>, abgerufen am 05.02.2025.