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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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und durch seine kalte Behandlung mißhandelt , ist der eigentliche Held des
Dramas. Die Frau, die ein Opfer seines Eigennutzes gewesen, ist die Ver¬
brecherin und Paul, der eine große Leidenschaft für diese Frau fühlt, ist der Ver¬
brecher. Daß sich das menschliche Gefühl in jedem iHerzen gegen eine solche
Anschauung sträuben muß- -- das kümmert unsern Dichter nicht. Er wollte nicht
gegen,den Ehebruch schreiben; seine Waffen sind gegen den specielle" Ehebrecher
gerichtet. Er hatte es auch nicht ein einziges Mal versucht, den Grafen in eine
achtungswürdige Stellung zu bringen. Diane ist seit ihrer Liebe zu Paul keinen
Augenblick schuldig. Sie hat einen Mann, aber sie ist nicht verheirathet. Sie
hat einen Herrn, aber keinen Beschützer. -- Der Graf ließ sie umschwärmen von
Anbetern. -- Die Welt verleumdete längst die unschuldige, obgleich unbedachte Diane
-- ihr Mann kümmerte sich nicht darum. Es erscheint fast, als ob es ihn vorzüglich
gekränkt, daß ein Künstler und kein Mann seiner Welt es gewagt, ihn bei seiner
Frau zu verdrängen. Es ist nicht Liebe, die ihn zur Rache treibt, sowie ihn Ei¬
gennutz allein zur Heirath bewogen. Ich konnte während der letzten drei Acte
den Gedanken nicht los werden, daß dieses Drama unter dem ersten Kaiserreich,
wo die Ehescheidung erlaubt war, eine Unmöglichkeit gewesen wäre. Es beruht
in der That nicht auf der Kenntniß des menschlichen Herzens, seine einzige
Grundlage sind die französischen Ehegesetze. Auch nicht einmal die Gesellschaft
ist richtig gezeichnet, denn ein Mann, der seine Frau so verläßt und dem sie so
gleichgiltig ist, wie Diane dem Grafen de Lys, läßt sich zu keinem Othello an.
Wenn es viele solche Ehemänner gäbe, der Code civil wäre längst umgeändert
worden. Was die Franzosen tröstet, das ist eben, daß die Sitte oder die Sit-
tenhaftigkeit immer stärker war als die Gesetze. -- Die Frau ist nicht glücklich
behandelt -- sie erregt unser Interesse erst von dem Augenblicke, wo sie der
Dichter verdammt. Bis dahin ist sie ein leichtsinniges Geschöpf, ohne tiefe Lei¬
denschaft, ohne große Regungen. Sie ist eine Salondame die sich langweilt.
Paul ist besser gezeichnet -- wir können ihm unsere Sympathien nicht versagen,
obgleich sein Betragen seiner angeblichen Braut gegenüber niemals gerechtfertigt
werden kann. Ein junges Mädchen unglücklich zu machen, damit die Geliebte
eifersüchtig wird, mag ein gewaltiges Effectmittel sein, aber es ist eine ebenso
gewaltige Infamie. Max Tarnou, der leichtsinnige, charakterlose Salonmensch
und Taupin, der Bildhauer, bleiben die gelungensten Figuren. Da reichte der
Geist aus und darum wurde auch Alexander Dumas mit ihnen fertig. -- Wir be¬
greifen den Erfolg dieses Dramas. Es verdankt ihn zunächst dem vortrefflichen
Spiele. Jede Rolle ist für einen bestimmten Schauspieler geschrieben und jeder
Schauspieler ist ausgezeichnet. Jede Leistung ist an und für sich bewunderns-
werth und in Deutschland hat man von solcher Vortrefflichkeit gar keine Ahnung.
Die deutschen Schauspieler sollten nach Paris kommen und bei der Gesellschaft
vom Gymnase lernen, was Maß, was Natürlichkeit und'was Zusammenspiel heißt.


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und durch seine kalte Behandlung mißhandelt , ist der eigentliche Held des
Dramas. Die Frau, die ein Opfer seines Eigennutzes gewesen, ist die Ver¬
brecherin und Paul, der eine große Leidenschaft für diese Frau fühlt, ist der Ver¬
brecher. Daß sich das menschliche Gefühl in jedem iHerzen gegen eine solche
Anschauung sträuben muß- — das kümmert unsern Dichter nicht. Er wollte nicht
gegen,den Ehebruch schreiben; seine Waffen sind gegen den specielle» Ehebrecher
gerichtet. Er hatte es auch nicht ein einziges Mal versucht, den Grafen in eine
achtungswürdige Stellung zu bringen. Diane ist seit ihrer Liebe zu Paul keinen
Augenblick schuldig. Sie hat einen Mann, aber sie ist nicht verheirathet. Sie
hat einen Herrn, aber keinen Beschützer. — Der Graf ließ sie umschwärmen von
Anbetern. — Die Welt verleumdete längst die unschuldige, obgleich unbedachte Diane
— ihr Mann kümmerte sich nicht darum. Es erscheint fast, als ob es ihn vorzüglich
gekränkt, daß ein Künstler und kein Mann seiner Welt es gewagt, ihn bei seiner
Frau zu verdrängen. Es ist nicht Liebe, die ihn zur Rache treibt, sowie ihn Ei¬
gennutz allein zur Heirath bewogen. Ich konnte während der letzten drei Acte
den Gedanken nicht los werden, daß dieses Drama unter dem ersten Kaiserreich,
wo die Ehescheidung erlaubt war, eine Unmöglichkeit gewesen wäre. Es beruht
in der That nicht auf der Kenntniß des menschlichen Herzens, seine einzige
Grundlage sind die französischen Ehegesetze. Auch nicht einmal die Gesellschaft
ist richtig gezeichnet, denn ein Mann, der seine Frau so verläßt und dem sie so
gleichgiltig ist, wie Diane dem Grafen de Lys, läßt sich zu keinem Othello an.
Wenn es viele solche Ehemänner gäbe, der Code civil wäre längst umgeändert
worden. Was die Franzosen tröstet, das ist eben, daß die Sitte oder die Sit-
tenhaftigkeit immer stärker war als die Gesetze. — Die Frau ist nicht glücklich
behandelt — sie erregt unser Interesse erst von dem Augenblicke, wo sie der
Dichter verdammt. Bis dahin ist sie ein leichtsinniges Geschöpf, ohne tiefe Lei¬
denschaft, ohne große Regungen. Sie ist eine Salondame die sich langweilt.
Paul ist besser gezeichnet — wir können ihm unsere Sympathien nicht versagen,
obgleich sein Betragen seiner angeblichen Braut gegenüber niemals gerechtfertigt
werden kann. Ein junges Mädchen unglücklich zu machen, damit die Geliebte
eifersüchtig wird, mag ein gewaltiges Effectmittel sein, aber es ist eine ebenso
gewaltige Infamie. Max Tarnou, der leichtsinnige, charakterlose Salonmensch
und Taupin, der Bildhauer, bleiben die gelungensten Figuren. Da reichte der
Geist aus und darum wurde auch Alexander Dumas mit ihnen fertig. — Wir be¬
greifen den Erfolg dieses Dramas. Es verdankt ihn zunächst dem vortrefflichen
Spiele. Jede Rolle ist für einen bestimmten Schauspieler geschrieben und jeder
Schauspieler ist ausgezeichnet. Jede Leistung ist an und für sich bewunderns-
werth und in Deutschland hat man von solcher Vortrefflichkeit gar keine Ahnung.
Die deutschen Schauspieler sollten nach Paris kommen und bei der Gesellschaft
vom Gymnase lernen, was Maß, was Natürlichkeit und'was Zusammenspiel heißt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/507>, abgerufen am 05.02.2025.