Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.den, was in den verschiedensten Formen geschehen kann und bei strengster Ge¬ Diese eigenthümliche BeHandlungsweise geht in ihrem letzten Grunde wieder den, was in den verschiedensten Formen geschehen kann und bei strengster Ge¬ Diese eigenthümliche BeHandlungsweise geht in ihrem letzten Grunde wieder <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0492" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/97197"/> <p xml:id="ID_1447" prev="#ID_1446"> den, was in den verschiedensten Formen geschehen kann und bei strengster Ge¬<lb/> setzmäßigkeit die größte Freiheit zuläßt. ' Bon diesen wesentlichen Erfordernissen<lb/> hält Berlioz fast nur das eine fest, daß von den verschiedenen Stimmen,<lb/> welche er zusammenbringt, jede selbstständig ihren Weg gehe, wie sie sich mit¬<lb/> einander vertragen, das kümmert ihn ungleich weniger. ' Es ist, als ob er eine<lb/> Anzahl von — wie sage ich nur? Melodie, Thema, Motiv, Idee im gewöhn¬<lb/> lichen Sinn paßt in der Regel nicht — von Notencvmplexen mit vollen Hän¬<lb/> den übers Orchester verstreue: jeder sucht seinen Theil zu erwischen, einige hal¬<lb/> ten beharrlich das Stück fest, das sie einmal erfaßt haben und wiederholen es<lb/> unverdrossen, als fürchteten sie, es könnte abhanden kommen; andere haschen leicht¬<lb/> fertig bald nach diesem, bald nach dem, versuchen sich hier und da, bis ein all¬<lb/> gemeines bellum omnium contra omnes entbrennt, in dem jeder sich wehrt, so<lb/> gut er kaun. Mit einem Mal schweigen alle still, als fürchteten sie sich vor ih¬<lb/> rem eigenen Spektakel, ober werden wie beschämt und verlegen ganz leise, aber<lb/> bald liegen sie sich wieder in den Haaren, und wo jeder thut, was er will, hat<lb/> der einzelne auch gar keinen Grund, sich zu geniren: alles tobt sich ans nach<lb/> Herzenslust, wie die Tertianer, wenn der Lehrer nicht da ist. „Besen, Besen<lb/> seis gewesen!" seufzt der unglückliche Zuhörer, über dessen Ohren es hergeht,<lb/> einmal über das andere Mal, vergebens — unerbittlich schwingt in weiten Kreisen<lb/> der Meister seinen Zauberstab vom Dirigentenpult, dessen hvhltöniger Fußboden,<lb/> mit Boß zu reden, oft Neulingen zum Schreck unter zornigem Getrampel don¬<lb/> nert , und jagt seine Orchesterphalanx durch alle Contraste der s/-- und ^<lb/> fort 'gehts im Sturmschritt, jeder denkt nur an sich, niemand an seinen Nachbar<lb/> und den armen Zuhörer. Und was entschuldigt man nicht bei allgemeinem Auf¬<lb/> ruhr und Kampf! aber gar zu curios klingt es, wenn bei verhältnißmäßig ruhi¬<lb/> gen und friedlichen Stellen irgend eine mißvergnügte Mittelstimme plötzlich ver¬<lb/> sucht, was sie auf eigene Hand riskiren kann, und ihrer Verdrießlichkeit Luft<lb/> macht, oder ein paar einzelne Instrumente mit boshafter Verstocktheit die Geduld<lb/> des Hörers auf die Probe stellen, wie z. B. in der H arold Symphonie Flöte<lb/> und Horn sich mit einem Eigensinn um den letzten Ton zanken, der um so un¬<lb/> begreiflicher ist, da das Horn von vornherein so entschieden im Unrecht ist. Es ge¬<lb/> hört die Engelsgeduld einer Flöte dazu, um das auszuhalten, und ein Publicum,<lb/> das den Wahlspruch rss sepe-r-z, est vsrurn xauäium schon lange beherzigt, um<lb/> nicht am Ende in eine unhöfliche Heiterkeit zu gerathen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1448" next="#ID_1449"> Diese eigenthümliche BeHandlungsweise geht in ihrem letzten Grunde wieder<lb/> darauf zurück, daß es nicht die Absicht des Komponisten ist, ein rein musikalisches<lb/> Kunstwerk zu gestalten, sondern daß die Kräfte, welche er in Bewegung setzt,<lb/> etwas Anderes ausdrücken sollen, als was in ihrem Wesen liegt, und nur die Träger<lb/> außermusikalischer Gedanken sind, daher es denn nicht zu verwundern ist, wenn<lb/> sie ganz anderen Gesetzen als den musikalischen unterworfen werden, um sich zu</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0492]
den, was in den verschiedensten Formen geschehen kann und bei strengster Ge¬
setzmäßigkeit die größte Freiheit zuläßt. ' Bon diesen wesentlichen Erfordernissen
hält Berlioz fast nur das eine fest, daß von den verschiedenen Stimmen,
welche er zusammenbringt, jede selbstständig ihren Weg gehe, wie sie sich mit¬
einander vertragen, das kümmert ihn ungleich weniger. ' Es ist, als ob er eine
Anzahl von — wie sage ich nur? Melodie, Thema, Motiv, Idee im gewöhn¬
lichen Sinn paßt in der Regel nicht — von Notencvmplexen mit vollen Hän¬
den übers Orchester verstreue: jeder sucht seinen Theil zu erwischen, einige hal¬
ten beharrlich das Stück fest, das sie einmal erfaßt haben und wiederholen es
unverdrossen, als fürchteten sie, es könnte abhanden kommen; andere haschen leicht¬
fertig bald nach diesem, bald nach dem, versuchen sich hier und da, bis ein all¬
gemeines bellum omnium contra omnes entbrennt, in dem jeder sich wehrt, so
gut er kaun. Mit einem Mal schweigen alle still, als fürchteten sie sich vor ih¬
rem eigenen Spektakel, ober werden wie beschämt und verlegen ganz leise, aber
bald liegen sie sich wieder in den Haaren, und wo jeder thut, was er will, hat
der einzelne auch gar keinen Grund, sich zu geniren: alles tobt sich ans nach
Herzenslust, wie die Tertianer, wenn der Lehrer nicht da ist. „Besen, Besen
seis gewesen!" seufzt der unglückliche Zuhörer, über dessen Ohren es hergeht,
einmal über das andere Mal, vergebens — unerbittlich schwingt in weiten Kreisen
der Meister seinen Zauberstab vom Dirigentenpult, dessen hvhltöniger Fußboden,
mit Boß zu reden, oft Neulingen zum Schreck unter zornigem Getrampel don¬
nert , und jagt seine Orchesterphalanx durch alle Contraste der s/-- und ^
fort 'gehts im Sturmschritt, jeder denkt nur an sich, niemand an seinen Nachbar
und den armen Zuhörer. Und was entschuldigt man nicht bei allgemeinem Auf¬
ruhr und Kampf! aber gar zu curios klingt es, wenn bei verhältnißmäßig ruhi¬
gen und friedlichen Stellen irgend eine mißvergnügte Mittelstimme plötzlich ver¬
sucht, was sie auf eigene Hand riskiren kann, und ihrer Verdrießlichkeit Luft
macht, oder ein paar einzelne Instrumente mit boshafter Verstocktheit die Geduld
des Hörers auf die Probe stellen, wie z. B. in der H arold Symphonie Flöte
und Horn sich mit einem Eigensinn um den letzten Ton zanken, der um so un¬
begreiflicher ist, da das Horn von vornherein so entschieden im Unrecht ist. Es ge¬
hört die Engelsgeduld einer Flöte dazu, um das auszuhalten, und ein Publicum,
das den Wahlspruch rss sepe-r-z, est vsrurn xauäium schon lange beherzigt, um
nicht am Ende in eine unhöfliche Heiterkeit zu gerathen.
Diese eigenthümliche BeHandlungsweise geht in ihrem letzten Grunde wieder
darauf zurück, daß es nicht die Absicht des Komponisten ist, ein rein musikalisches
Kunstwerk zu gestalten, sondern daß die Kräfte, welche er in Bewegung setzt,
etwas Anderes ausdrücken sollen, als was in ihrem Wesen liegt, und nur die Träger
außermusikalischer Gedanken sind, daher es denn nicht zu verwundern ist, wenn
sie ganz anderen Gesetzen als den musikalischen unterworfen werden, um sich zu
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