Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.Aberdeens ist nicht das eines wirkungsvollen Redners. Seine Gestalt ist hager, Kurze Zeit vor der Emancipation der Katholiken wohnte in Dublin ein schlanker Aberdeens ist nicht das eines wirkungsvollen Redners. Seine Gestalt ist hager, Kurze Zeit vor der Emancipation der Katholiken wohnte in Dublin ein schlanker <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0445" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/97150"/> <p xml:id="ID_1317" prev="#ID_1316"> Aberdeens ist nicht das eines wirkungsvollen Redners. Seine Gestalt ist hager,<lb/> seine Manieren kalt und nicht frei von Pedanterie — aber er hat eine gewisse<lb/> richterliche Würde. Seine Ansichten sind immer klar, — seine Sprache correct, —<lb/> seine Logik untadelhaft. Seine große Erfahrung, sein langjähriger und vertrauter<lb/> Verkehr mit seinen Freunden Wellington und Peel, seine ausgebreiteten Kennt-<lb/> nisse und die eigenthümliche Ruhe seines Temperaments geben seinen Ansichten<lb/> ein moralisches Gewicht, das ihnen bloße Genialität nie verleihen könnte. Nur<lb/> dadurch ist es zu erklären, daß Staatsmänner wie Lord I. Rüssel, Palmerston,<lb/> Clarendon und Sir James Graham sich ihm freiwillig unterordnen können, ohne<lb/> etwas von ihrer Würde zu verlieren.</p><lb/> <p xml:id="ID_1318" next="#ID_1319"> Kurze Zeit vor der Emancipation der Katholiken wohnte in Dublin ein schlanker<lb/> junger Herr von eleganten Manieren, nicht ungemischt mit einem abgespannten Wesen,<lb/> das ebenso gut von schwacher Gesundheit, wie von Blasirtheit herrühren konnte.<lb/> Er hatte ein blasses und feines Gesicht und geistreiche Züge, die klugen Angen<lb/> eines praktischen Genies und das vornehme Lächeln eines Hofmannes. Meistens<lb/> sah man ihn allein reiten oder in der Nähe des Zollhauses spazieren gehen.<lb/> Sein distinguirtes Wesen zog die Augen der Schönen der Hauptstadt Irlands<lb/> auf sich, aber da er sich nicht in die größern Kreise der Gesellschaft mischte, brachte<lb/> man erst nach langen Nachforschungen in Erfahrung, wer der interessante Unbe¬<lb/> kannte war. Es war Mr. Villiers, ein Verwandter des Earl von Jersey und<lb/> muthmaßlicher Erbe des Earl Clarendon, später Vicekönig von Irland, damals<lb/> aber noch einfacher Zvllcommissar in Dublin. In seiner damaligen verlMniß-<lb/> mäszig bescheidenen Stellung zeichnete er sich durch große Intelligenz und ange¬<lb/> strengten Fleiß ans und war ein ausgezeichneter Bureaubcamter. Er zeigte viel<lb/> Sinn sür statistische und finanzielle Details, während ihn seine weltmännische<lb/> Bildung vor trockner Pedanterie bewahrte. Seine gesellschaftlichen Gaben eröff¬<lb/> neten ihm das Haus der Lady Morgan, wo sich die geistige Elite Irlands ver¬<lb/> sammelte, und hier erwarb er sich die Kenntniß irischen Charakters »ut irischer<lb/> Persönlichkeiten, die ihm in seiner spätern Stellung so große Dienste leistete.<lb/> Schon damals war sie der Negierung von erheblichem Nutzen, indem Villiers die<lb/> freiwillige Auflösung des katholischen Vereins vermittelte, welche das Ministerium<lb/> sehr wünschte, um dem widerwilligen König die nothwendig gewordene Katho¬<lb/> likenemancipation annehmbarer zu mache». Das Whigcabiuet schickte ihn als<lb/> Gesandten nach Madrid, wo er sich den Bathordeu verdiente, und später trat er,<lb/> als er von seinem Onkel den Titel Lord Clarcudou erbte, in das Ministerium<lb/> Melbourne als Präsident des Handelsamts. Vicekönig von Irland war er von<lb/> 1847 bis zum Sturz des Rnssclschen Ministeriums, und die kritischen Jahre 1847,<lb/> 1848 und 1849 setzten sein administratives Geschick und seineu Takt einer starken Prü¬<lb/> fung ans, die er ruhmvoll bestand. Die staatsmännische Begabung Lord Clareudous<lb/> zieht niemand in Zweifel. Sein Aeußeres steht mit seinem Charakter in grellem Wi-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0445]
Aberdeens ist nicht das eines wirkungsvollen Redners. Seine Gestalt ist hager,
seine Manieren kalt und nicht frei von Pedanterie — aber er hat eine gewisse
richterliche Würde. Seine Ansichten sind immer klar, — seine Sprache correct, —
seine Logik untadelhaft. Seine große Erfahrung, sein langjähriger und vertrauter
Verkehr mit seinen Freunden Wellington und Peel, seine ausgebreiteten Kennt-
nisse und die eigenthümliche Ruhe seines Temperaments geben seinen Ansichten
ein moralisches Gewicht, das ihnen bloße Genialität nie verleihen könnte. Nur
dadurch ist es zu erklären, daß Staatsmänner wie Lord I. Rüssel, Palmerston,
Clarendon und Sir James Graham sich ihm freiwillig unterordnen können, ohne
etwas von ihrer Würde zu verlieren.
Kurze Zeit vor der Emancipation der Katholiken wohnte in Dublin ein schlanker
junger Herr von eleganten Manieren, nicht ungemischt mit einem abgespannten Wesen,
das ebenso gut von schwacher Gesundheit, wie von Blasirtheit herrühren konnte.
Er hatte ein blasses und feines Gesicht und geistreiche Züge, die klugen Angen
eines praktischen Genies und das vornehme Lächeln eines Hofmannes. Meistens
sah man ihn allein reiten oder in der Nähe des Zollhauses spazieren gehen.
Sein distinguirtes Wesen zog die Augen der Schönen der Hauptstadt Irlands
auf sich, aber da er sich nicht in die größern Kreise der Gesellschaft mischte, brachte
man erst nach langen Nachforschungen in Erfahrung, wer der interessante Unbe¬
kannte war. Es war Mr. Villiers, ein Verwandter des Earl von Jersey und
muthmaßlicher Erbe des Earl Clarendon, später Vicekönig von Irland, damals
aber noch einfacher Zvllcommissar in Dublin. In seiner damaligen verlMniß-
mäszig bescheidenen Stellung zeichnete er sich durch große Intelligenz und ange¬
strengten Fleiß ans und war ein ausgezeichneter Bureaubcamter. Er zeigte viel
Sinn sür statistische und finanzielle Details, während ihn seine weltmännische
Bildung vor trockner Pedanterie bewahrte. Seine gesellschaftlichen Gaben eröff¬
neten ihm das Haus der Lady Morgan, wo sich die geistige Elite Irlands ver¬
sammelte, und hier erwarb er sich die Kenntniß irischen Charakters »ut irischer
Persönlichkeiten, die ihm in seiner spätern Stellung so große Dienste leistete.
Schon damals war sie der Negierung von erheblichem Nutzen, indem Villiers die
freiwillige Auflösung des katholischen Vereins vermittelte, welche das Ministerium
sehr wünschte, um dem widerwilligen König die nothwendig gewordene Katho¬
likenemancipation annehmbarer zu mache». Das Whigcabiuet schickte ihn als
Gesandten nach Madrid, wo er sich den Bathordeu verdiente, und später trat er,
als er von seinem Onkel den Titel Lord Clarcudou erbte, in das Ministerium
Melbourne als Präsident des Handelsamts. Vicekönig von Irland war er von
1847 bis zum Sturz des Rnssclschen Ministeriums, und die kritischen Jahre 1847,
1848 und 1849 setzten sein administratives Geschick und seineu Takt einer starken Prü¬
fung ans, die er ruhmvoll bestand. Die staatsmännische Begabung Lord Clareudous
zieht niemand in Zweifel. Sein Aeußeres steht mit seinem Charakter in grellem Wi-
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