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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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oder Entstehung, Fortschritt und Wirkungen der sogenannten neuen Philosophie
in diesem Lande (6 Bde. -1827--1833)", ein höchst mühsames und aus sehr ge¬
nauem Quellenstudium beruhendes Werk>von Schütz und Ompteda, das aber eine
wahrhaft fanatische Parteisarbe trägt, dann aber auch Carlyle und Thiers, aus
denen er die colorirten Schilderungen mit großem Geschick entlehnt. Die Vor¬
liebe sür Mirabeau und Danton, die sich bei ihm sehr sonderbar ausmacht, ver¬
dankt er diesem letztern. An Leidenschaft gegen die Revolution und alle ihre Vor¬
gänger, gegen die Franzosen im Allgemeinen, gegen Pombal, Struensee u. s. w.
überbietet er alle seine Vorgänger. Er ist wahrhaft erfinderisch im Fluchen.
So sagt er Bd. 3. S. 35, als er von Ludwig XVI. spricht: "Aber der Gott,
der an ihm heimgesucht hat die Sünde seiner Väter, er ist kein Gott der Lüge, und
hat an ihm auch heimgesucht die Sünde seiner Mörder. Er hat sie zerschlagen,
in wildem Grimm hat sie der dämonische Geist, der sie zu Strafwerkzengen in
der Hand des Höchsten machte, auch gegeneinander getrieben, daß sie sich zer¬
fleischt und zum Tode verfolgt haben, daß sie alle sittlichen Geister des alten
Frankreichs mit Füßen getreten, und eine Brut hinterlassen haben, die, wie sie
auch mit der Schminke äußeren Reichthums und äußerer Civilisation prunkt, in
sich untergehen, die sittlich verrotten und verfaulen wird, noch ehe die vierte
Generation nach der Mördergeueratiou abgestorben ist/ denn von einer umwen¬
denden Gesinnung und sittlicher Zusammenraffung hat sich bei den Entsprossenen
dieses Volkes noch nichts blicken lassen, sondern nur Hochmuth auf ihre Sünde,
die sie nun täglich plagt in dem Gespenst jener hohlen Freiheit u. s. w." --
Dergleichen Kapuzmaden, die sehr häufig wiederkehren und in der Regel mit
höchst burlesken Darstellungen abwechseln, sind nun allerdings mit dem histori¬
schen Stile nicht in Einklang zu bringen. Leo ist seinen Einfällen gegenüber
ganz wehrlos, auch wenn sie seinem Zwecke widersprechen. So kommt er z. B.
in der Geschichte der Revolution auf die von Frvron angeführte Mnesso
ävrvö, die eigentlich ganz seine Partei vertritt und die er also alle Ursache
hätte, so gut wie möglich darzustellen, aber ihm fällt für jenen Ausdruck die
Uebersetzung: "Goldjungen" ein und nun bringt er denselben fortwährend vor
und schlägt damit seineu eigenen Freunden ins Gesicht. Diese Unruhe erstreckt sich
auch auf die Erzählung, in der das Wesentliche niemals streng vom Unwesent¬
lichen unterschieden wird; er ist entweder Novellist, Demagog oder Prediger.
Zum Schluß spricht er die Ueberzeugung aus, daß wir einem neuen, bessern
Zeitalter entgegengehen und gibt zu diesem Zwecke einige literarische Charakteri¬
stiken, die zwar einseitig, aber anziehend sind (z. B. die von Burke und Zin-
zendorf), die aber häufig auch eine sehr mangelhafte Kenntniß verrathen, wie
z. B. seine Geschichte der Staatsökonomie, in der er sich ganz wie sein Freund
Gerlach mit Phrasen hilft. Er hofft auf die Wiederherstellung einer allgemei¬
nen Kirche, obgleich er die vorläufige" Versuche dazu z. B. die preußische Union


oder Entstehung, Fortschritt und Wirkungen der sogenannten neuen Philosophie
in diesem Lande (6 Bde. -1827—1833)", ein höchst mühsames und aus sehr ge¬
nauem Quellenstudium beruhendes Werk>von Schütz und Ompteda, das aber eine
wahrhaft fanatische Parteisarbe trägt, dann aber auch Carlyle und Thiers, aus
denen er die colorirten Schilderungen mit großem Geschick entlehnt. Die Vor¬
liebe sür Mirabeau und Danton, die sich bei ihm sehr sonderbar ausmacht, ver¬
dankt er diesem letztern. An Leidenschaft gegen die Revolution und alle ihre Vor¬
gänger, gegen die Franzosen im Allgemeinen, gegen Pombal, Struensee u. s. w.
überbietet er alle seine Vorgänger. Er ist wahrhaft erfinderisch im Fluchen.
So sagt er Bd. 3. S. 35, als er von Ludwig XVI. spricht: „Aber der Gott,
der an ihm heimgesucht hat die Sünde seiner Väter, er ist kein Gott der Lüge, und
hat an ihm auch heimgesucht die Sünde seiner Mörder. Er hat sie zerschlagen,
in wildem Grimm hat sie der dämonische Geist, der sie zu Strafwerkzengen in
der Hand des Höchsten machte, auch gegeneinander getrieben, daß sie sich zer¬
fleischt und zum Tode verfolgt haben, daß sie alle sittlichen Geister des alten
Frankreichs mit Füßen getreten, und eine Brut hinterlassen haben, die, wie sie
auch mit der Schminke äußeren Reichthums und äußerer Civilisation prunkt, in
sich untergehen, die sittlich verrotten und verfaulen wird, noch ehe die vierte
Generation nach der Mördergeueratiou abgestorben ist/ denn von einer umwen¬
denden Gesinnung und sittlicher Zusammenraffung hat sich bei den Entsprossenen
dieses Volkes noch nichts blicken lassen, sondern nur Hochmuth auf ihre Sünde,
die sie nun täglich plagt in dem Gespenst jener hohlen Freiheit u. s. w." —
Dergleichen Kapuzmaden, die sehr häufig wiederkehren und in der Regel mit
höchst burlesken Darstellungen abwechseln, sind nun allerdings mit dem histori¬
schen Stile nicht in Einklang zu bringen. Leo ist seinen Einfällen gegenüber
ganz wehrlos, auch wenn sie seinem Zwecke widersprechen. So kommt er z. B.
in der Geschichte der Revolution auf die von Frvron angeführte Mnesso
ävrvö, die eigentlich ganz seine Partei vertritt und die er also alle Ursache
hätte, so gut wie möglich darzustellen, aber ihm fällt für jenen Ausdruck die
Uebersetzung: „Goldjungen" ein und nun bringt er denselben fortwährend vor
und schlägt damit seineu eigenen Freunden ins Gesicht. Diese Unruhe erstreckt sich
auch auf die Erzählung, in der das Wesentliche niemals streng vom Unwesent¬
lichen unterschieden wird; er ist entweder Novellist, Demagog oder Prediger.
Zum Schluß spricht er die Ueberzeugung aus, daß wir einem neuen, bessern
Zeitalter entgegengehen und gibt zu diesem Zwecke einige literarische Charakteri¬
stiken, die zwar einseitig, aber anziehend sind (z. B. die von Burke und Zin-
zendorf), die aber häufig auch eine sehr mangelhafte Kenntniß verrathen, wie
z. B. seine Geschichte der Staatsökonomie, in der er sich ganz wie sein Freund
Gerlach mit Phrasen hilft. Er hofft auf die Wiederherstellung einer allgemei¬
nen Kirche, obgleich er die vorläufige» Versuche dazu z. B. die preußische Union


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[0424] oder Entstehung, Fortschritt und Wirkungen der sogenannten neuen Philosophie in diesem Lande (6 Bde. -1827—1833)", ein höchst mühsames und aus sehr ge¬ nauem Quellenstudium beruhendes Werk>von Schütz und Ompteda, das aber eine wahrhaft fanatische Parteisarbe trägt, dann aber auch Carlyle und Thiers, aus denen er die colorirten Schilderungen mit großem Geschick entlehnt. Die Vor¬ liebe sür Mirabeau und Danton, die sich bei ihm sehr sonderbar ausmacht, ver¬ dankt er diesem letztern. An Leidenschaft gegen die Revolution und alle ihre Vor¬ gänger, gegen die Franzosen im Allgemeinen, gegen Pombal, Struensee u. s. w. überbietet er alle seine Vorgänger. Er ist wahrhaft erfinderisch im Fluchen. So sagt er Bd. 3. S. 35, als er von Ludwig XVI. spricht: „Aber der Gott, der an ihm heimgesucht hat die Sünde seiner Väter, er ist kein Gott der Lüge, und hat an ihm auch heimgesucht die Sünde seiner Mörder. Er hat sie zerschlagen, in wildem Grimm hat sie der dämonische Geist, der sie zu Strafwerkzengen in der Hand des Höchsten machte, auch gegeneinander getrieben, daß sie sich zer¬ fleischt und zum Tode verfolgt haben, daß sie alle sittlichen Geister des alten Frankreichs mit Füßen getreten, und eine Brut hinterlassen haben, die, wie sie auch mit der Schminke äußeren Reichthums und äußerer Civilisation prunkt, in sich untergehen, die sittlich verrotten und verfaulen wird, noch ehe die vierte Generation nach der Mördergeueratiou abgestorben ist/ denn von einer umwen¬ denden Gesinnung und sittlicher Zusammenraffung hat sich bei den Entsprossenen dieses Volkes noch nichts blicken lassen, sondern nur Hochmuth auf ihre Sünde, die sie nun täglich plagt in dem Gespenst jener hohlen Freiheit u. s. w." — Dergleichen Kapuzmaden, die sehr häufig wiederkehren und in der Regel mit höchst burlesken Darstellungen abwechseln, sind nun allerdings mit dem histori¬ schen Stile nicht in Einklang zu bringen. Leo ist seinen Einfällen gegenüber ganz wehrlos, auch wenn sie seinem Zwecke widersprechen. So kommt er z. B. in der Geschichte der Revolution auf die von Frvron angeführte Mnesso ävrvö, die eigentlich ganz seine Partei vertritt und die er also alle Ursache hätte, so gut wie möglich darzustellen, aber ihm fällt für jenen Ausdruck die Uebersetzung: „Goldjungen" ein und nun bringt er denselben fortwährend vor und schlägt damit seineu eigenen Freunden ins Gesicht. Diese Unruhe erstreckt sich auch auf die Erzählung, in der das Wesentliche niemals streng vom Unwesent¬ lichen unterschieden wird; er ist entweder Novellist, Demagog oder Prediger. Zum Schluß spricht er die Ueberzeugung aus, daß wir einem neuen, bessern Zeitalter entgegengehen und gibt zu diesem Zwecke einige literarische Charakteri¬ stiken, die zwar einseitig, aber anziehend sind (z. B. die von Burke und Zin- zendorf), die aber häufig auch eine sehr mangelhafte Kenntniß verrathen, wie z. B. seine Geschichte der Staatsökonomie, in der er sich ganz wie sein Freund Gerlach mit Phrasen hilft. Er hofft auf die Wiederherstellung einer allgemei¬ nen Kirche, obgleich er die vorläufige» Versuche dazu z. B. die preußische Union

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/424>, abgerufen am 05.02.2025.