Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.hub zu Hilfe zu rufen, um so manche Religion zu erklären. Dies ist nun wieder Nachdem er nun das Christenthum wie durch ein Wunder hat vom Himmel hub zu Hilfe zu rufen, um so manche Religion zu erklären. Dies ist nun wieder Nachdem er nun das Christenthum wie durch ein Wunder hat vom Himmel <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0420" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/97125"/> <p xml:id="ID_1265" prev="#ID_1264"> hub zu Hilfe zu rufen, um so manche Religion zu erklären. Dies ist nun wieder<lb/> die Kehrseite seines Supranaturalismus, der Einfluß der historischen Schule.<lb/> Feste, gegliederte, individuell bestimmte Ordnungen des Staates sind ihm wichtiger,<lb/> als ein geschichtlich reichbewegtes Leben, und so kommt er in der griechischen Ge¬<lb/> schichte S. 36-1 und auch sonst noch öfter auf die Idee, das was man als die<lb/> Glanzpunkte der alten Geschichte rechnet, sei eigentlich nur eine greuliche Ver-<lb/> irrung. „Als des Kleisthenes fluchbeladene Hand", sagt er an jener Stelle,<lb/> „den Nahmen ganz anseinanderschlug, wurden die Individuen losgerissen von<lb/> den sittlichen Verbänden, die ihnen sonst Haltung gewährt hatten." Weiter<lb/> S. 281: „Die schönsten Erscheinungen der späten Zeit Athens haben als<lb/> Quelle die Erinnerung des früheren Lebens dieser Stadt und die Sehnsucht,<lb/> ähnliches wieder zu erleben, wobei abeL der Irrthum zu Grund lag, daß man<lb/> künstlich erzeugen wollte, was nnr natürlich erwächst." Nun hatte des Kleisthenes<lb/> fluchbeladene Hand bereits zwei Menschenalter vor dem Perikles die alten Zunft¬<lb/> ordnungen Athens zerrissen; es wird also die Blütezeit Athens in eine Periode<lb/> verlegt, von der wir eigentlich nicht die geringste Kenntniß haben, und alles ge¬<lb/> schichtliche Leben ist bloßer Verfall. Dergleichen Einfälle bilden freilich nicht die<lb/> allgemeine Grundlage der Darstellung, denn glücklicherweise ist Leo häufig incon-<lb/> sequent, aber sie klingen doch fortwährend wieder durch und verwirren die An¬<lb/> schauung. Außerdem verfällt Leo in einen Fehler, den mau am wenigsten bei<lb/> ihm erwarten sollte; er hat nämlich eine unbezwingliche Neigung zum Generali-<lb/> siren.' So dehnt er z. B. das Grundprincip des griechischen Lebens, den Indi¬<lb/> vidualismus, unstreitig viel zu weit aus! und wendet ihn auf Dinge an, bei denen er<lb/> keinen Sinn hat. Vortrefflich ist dagegen die Widerlegung der modernen republi¬<lb/> kanischen Vorstellung, die schon in Griechenland' die ideale künstliche Staats¬<lb/> bildung sucht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1266" next="#ID_1267"> Nachdem er nun das Christenthum wie durch ein Wunder hat vom Himmel<lb/> kommen und die zwecklose Welt des Alterthums hat vertilgen lassen (die ganze<lb/> Kaisergeschichte wird auf ein paar Seiten abgefertigt), kommt er ans die Zeit<lb/> seiner eigentlichen Liebe, das Mittelalter. Hier trifft es sich glücklich, daß<lb/> die beiden entgegengesetzten Principien, der Supranaturalismus und der historische<lb/> Naturwuchs, eine gewisse Versöhnung finden, weil das Christenthum sich, wenn<lb/> anch künstlich eingeführt, doch bald organisch in die deutsche Volkssitte eingelebt<lb/> hat. Wenn also auch hier sich gegen die Form manches einwenden läßt, wenn<lb/> das vollständige Aufgeben der Erzählung zu Gunsten begrifflicher Uebersichten mit<lb/> dem Wesen der Geschichtschreibung nicht ganz stimmen will, wenn ferner der<lb/> zelotische Haß gegen alle Ketzer, gegen die Fürsten, welche den Päpsten wider¬<lb/> strebt haben, und namentlich gegen die Muhammedaner, deren ganze Welt¬<lb/> anschauung als ein Reich des Teufels erscheint und deren Verfall ganz wie der<lb/> des antiken Heidenthums mit einem gewissen Cynismus des Zorns gefeiert wird</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0420]
hub zu Hilfe zu rufen, um so manche Religion zu erklären. Dies ist nun wieder
die Kehrseite seines Supranaturalismus, der Einfluß der historischen Schule.
Feste, gegliederte, individuell bestimmte Ordnungen des Staates sind ihm wichtiger,
als ein geschichtlich reichbewegtes Leben, und so kommt er in der griechischen Ge¬
schichte S. 36-1 und auch sonst noch öfter auf die Idee, das was man als die
Glanzpunkte der alten Geschichte rechnet, sei eigentlich nur eine greuliche Ver-
irrung. „Als des Kleisthenes fluchbeladene Hand", sagt er an jener Stelle,
„den Nahmen ganz anseinanderschlug, wurden die Individuen losgerissen von
den sittlichen Verbänden, die ihnen sonst Haltung gewährt hatten." Weiter
S. 281: „Die schönsten Erscheinungen der späten Zeit Athens haben als
Quelle die Erinnerung des früheren Lebens dieser Stadt und die Sehnsucht,
ähnliches wieder zu erleben, wobei abeL der Irrthum zu Grund lag, daß man
künstlich erzeugen wollte, was nnr natürlich erwächst." Nun hatte des Kleisthenes
fluchbeladene Hand bereits zwei Menschenalter vor dem Perikles die alten Zunft¬
ordnungen Athens zerrissen; es wird also die Blütezeit Athens in eine Periode
verlegt, von der wir eigentlich nicht die geringste Kenntniß haben, und alles ge¬
schichtliche Leben ist bloßer Verfall. Dergleichen Einfälle bilden freilich nicht die
allgemeine Grundlage der Darstellung, denn glücklicherweise ist Leo häufig incon-
sequent, aber sie klingen doch fortwährend wieder durch und verwirren die An¬
schauung. Außerdem verfällt Leo in einen Fehler, den mau am wenigsten bei
ihm erwarten sollte; er hat nämlich eine unbezwingliche Neigung zum Generali-
siren.' So dehnt er z. B. das Grundprincip des griechischen Lebens, den Indi¬
vidualismus, unstreitig viel zu weit aus! und wendet ihn auf Dinge an, bei denen er
keinen Sinn hat. Vortrefflich ist dagegen die Widerlegung der modernen republi¬
kanischen Vorstellung, die schon in Griechenland' die ideale künstliche Staats¬
bildung sucht.
Nachdem er nun das Christenthum wie durch ein Wunder hat vom Himmel
kommen und die zwecklose Welt des Alterthums hat vertilgen lassen (die ganze
Kaisergeschichte wird auf ein paar Seiten abgefertigt), kommt er ans die Zeit
seiner eigentlichen Liebe, das Mittelalter. Hier trifft es sich glücklich, daß
die beiden entgegengesetzten Principien, der Supranaturalismus und der historische
Naturwuchs, eine gewisse Versöhnung finden, weil das Christenthum sich, wenn
anch künstlich eingeführt, doch bald organisch in die deutsche Volkssitte eingelebt
hat. Wenn also auch hier sich gegen die Form manches einwenden läßt, wenn
das vollständige Aufgeben der Erzählung zu Gunsten begrifflicher Uebersichten mit
dem Wesen der Geschichtschreibung nicht ganz stimmen will, wenn ferner der
zelotische Haß gegen alle Ketzer, gegen die Fürsten, welche den Päpsten wider¬
strebt haben, und namentlich gegen die Muhammedaner, deren ganze Welt¬
anschauung als ein Reich des Teufels erscheint und deren Verfall ganz wie der
des antiken Heidenthums mit einem gewissen Cynismus des Zorns gefeiert wird
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