Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Unhaltbarst seiner Forderungen überführte, das hätte am Ende Herr Walter
ebensogut thun können, sondern es handelte sich darum, welche Eventualitäten
das mächtige englische Reich dem russischen in Aussicht stellte, wenn dieses von
der Maßlosigkeit seiner Ansprüche nicht abginge. Davon h'at aber die Note kein
Wort gesagt. Wir begreisen also die Verwunderung des Publicums gar nicht,
daß das englische Cabinet diese herrliche Note dem Parlament vorzulegen gesäumt
hat. Das englische Cabinet hat sich dazu hergegeben, die Anerkennung derselben
Forderungen, deren Unhalibarkeit es in seiner herrlichen Note so gründlich nach¬
gewiesen, dem Sultan zuzumuthen, und es scheint sogar nicht abgeneigt zu sein,
den rennenden Sultan "vor dem Andrang der fanatischen Pöbelmasse, die ihn
wider seinen Willen zum Bruch mit Rußland zwingen will", zu schützen. Die
Formel ist schon öfters dagewesen. Wir glauben aber nicht, daß das englische
Parlament, welches im ganzen aus praktischen Männern besteht, die weniger auf
den Stil, als auf den Inhalt sehen, von dieser Art Logik sehr erbaut wäre,
und wir finden es daher sehr natürlich, daß Lord Aberdeen dieselbe Methode be¬
folgt, wie Baron Manteuffel in den Tagen von Ollmütz. Ist der Frieden ein¬
mal geschlossen, dann wird anch das Parlament, dem die innern Fragen doch
ungleich wichtiger sind, und das nur zwischen Clarendon und Malmesbury die
Wahl hat, sich zufrieden geben.

Die türkische Note ist ein Muster politischer Correctheit, und mehr als das,
es athmet in ihr auch ein würdiges Gefühl; sie deutet offen an, daß es sich um
einen ungleichen Kampf handelt, daß aber ein solches Opfer der Ehre, wie das
der Pforte zugemuthet wird, nur infolge einer Niederlage gebracht werden kann,
nur gezwungen, nicht freiwillig. Wir haben in einem der frühern Hefte aus¬
einandergesetzt, wie wesentlich alle die Modifikationen waren,, welche die Pforte
verlangt, und wie nothwendig sie zugleich einer russischen Anslegeknnst gegenüber
waren. DaS alles wird dnrch die türkische Note mit ruhiger Würde ausge¬
sprochen. Freilich ist damit auch noch nicht alles gesagt. Auf einen Krieg mit
Rußland, auf jede Gefahr hin, ist die Türkei gefaßt, ihre Rüstungen sind sehr
ernstlich gemeint, und es bliebe wenigstens immer zweifelhaft, ob sie nicht solange
sich vertheidigen könnte, bis die Engländer sich ein fähigeres und patriotischeres
Ministerium erstritten haben; aber wenn es in der That soweit kommen sollte,
daß die Flotten aus der Besikabai nach Konstantinopel segelten, um den Sultan
"gegen seine aufrührerischen Unterthauen zu schützen", dann glauben auch wir
nicht an einen längern Widerstand.

Die russische Note führt in ihrem größeren Theil die gewöhnliche russische
Sprache; sie läßt sich gar nicht ans den Inhalt ein, sondern sie bezieht sich nnr
auf die Würde Rußlands, der es nicht anstehe, in irgend einer Forderung nach¬
zugeben. Dennoch enthält diese Note einen Nachsatz, der weniger kriegerisch
lautet, als man sonst von Rußland gewöhnt ist. Es ist nämlich die formelle


Unhaltbarst seiner Forderungen überführte, das hätte am Ende Herr Walter
ebensogut thun können, sondern es handelte sich darum, welche Eventualitäten
das mächtige englische Reich dem russischen in Aussicht stellte, wenn dieses von
der Maßlosigkeit seiner Ansprüche nicht abginge. Davon h'at aber die Note kein
Wort gesagt. Wir begreisen also die Verwunderung des Publicums gar nicht,
daß das englische Cabinet diese herrliche Note dem Parlament vorzulegen gesäumt
hat. Das englische Cabinet hat sich dazu hergegeben, die Anerkennung derselben
Forderungen, deren Unhalibarkeit es in seiner herrlichen Note so gründlich nach¬
gewiesen, dem Sultan zuzumuthen, und es scheint sogar nicht abgeneigt zu sein,
den rennenden Sultan „vor dem Andrang der fanatischen Pöbelmasse, die ihn
wider seinen Willen zum Bruch mit Rußland zwingen will", zu schützen. Die
Formel ist schon öfters dagewesen. Wir glauben aber nicht, daß das englische
Parlament, welches im ganzen aus praktischen Männern besteht, die weniger auf
den Stil, als auf den Inhalt sehen, von dieser Art Logik sehr erbaut wäre,
und wir finden es daher sehr natürlich, daß Lord Aberdeen dieselbe Methode be¬
folgt, wie Baron Manteuffel in den Tagen von Ollmütz. Ist der Frieden ein¬
mal geschlossen, dann wird anch das Parlament, dem die innern Fragen doch
ungleich wichtiger sind, und das nur zwischen Clarendon und Malmesbury die
Wahl hat, sich zufrieden geben.

Die türkische Note ist ein Muster politischer Correctheit, und mehr als das,
es athmet in ihr auch ein würdiges Gefühl; sie deutet offen an, daß es sich um
einen ungleichen Kampf handelt, daß aber ein solches Opfer der Ehre, wie das
der Pforte zugemuthet wird, nur infolge einer Niederlage gebracht werden kann,
nur gezwungen, nicht freiwillig. Wir haben in einem der frühern Hefte aus¬
einandergesetzt, wie wesentlich alle die Modifikationen waren,, welche die Pforte
verlangt, und wie nothwendig sie zugleich einer russischen Anslegeknnst gegenüber
waren. DaS alles wird dnrch die türkische Note mit ruhiger Würde ausge¬
sprochen. Freilich ist damit auch noch nicht alles gesagt. Auf einen Krieg mit
Rußland, auf jede Gefahr hin, ist die Türkei gefaßt, ihre Rüstungen sind sehr
ernstlich gemeint, und es bliebe wenigstens immer zweifelhaft, ob sie nicht solange
sich vertheidigen könnte, bis die Engländer sich ein fähigeres und patriotischeres
Ministerium erstritten haben; aber wenn es in der That soweit kommen sollte,
daß die Flotten aus der Besikabai nach Konstantinopel segelten, um den Sultan
„gegen seine aufrührerischen Unterthauen zu schützen", dann glauben auch wir
nicht an einen längern Widerstand.

Die russische Note führt in ihrem größeren Theil die gewöhnliche russische
Sprache; sie läßt sich gar nicht ans den Inhalt ein, sondern sie bezieht sich nnr
auf die Würde Rußlands, der es nicht anstehe, in irgend einer Forderung nach¬
zugeben. Dennoch enthält diese Note einen Nachsatz, der weniger kriegerisch
lautet, als man sonst von Rußland gewöhnt ist. Es ist nämlich die formelle


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0040" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/96745"/>
          <p xml:id="ID_89" prev="#ID_88"> Unhaltbarst seiner Forderungen überführte, das hätte am Ende Herr Walter<lb/>
ebensogut thun können, sondern es handelte sich darum, welche Eventualitäten<lb/>
das mächtige englische Reich dem russischen in Aussicht stellte, wenn dieses von<lb/>
der Maßlosigkeit seiner Ansprüche nicht abginge. Davon h'at aber die Note kein<lb/>
Wort gesagt. Wir begreisen also die Verwunderung des Publicums gar nicht,<lb/>
daß das englische Cabinet diese herrliche Note dem Parlament vorzulegen gesäumt<lb/>
hat. Das englische Cabinet hat sich dazu hergegeben, die Anerkennung derselben<lb/>
Forderungen, deren Unhalibarkeit es in seiner herrlichen Note so gründlich nach¬<lb/>
gewiesen, dem Sultan zuzumuthen, und es scheint sogar nicht abgeneigt zu sein,<lb/>
den rennenden Sultan &#x201E;vor dem Andrang der fanatischen Pöbelmasse, die ihn<lb/>
wider seinen Willen zum Bruch mit Rußland zwingen will", zu schützen. Die<lb/>
Formel ist schon öfters dagewesen. Wir glauben aber nicht, daß das englische<lb/>
Parlament, welches im ganzen aus praktischen Männern besteht, die weniger auf<lb/>
den Stil, als auf den Inhalt sehen, von dieser Art Logik sehr erbaut wäre,<lb/>
und wir finden es daher sehr natürlich, daß Lord Aberdeen dieselbe Methode be¬<lb/>
folgt, wie Baron Manteuffel in den Tagen von Ollmütz. Ist der Frieden ein¬<lb/>
mal geschlossen, dann wird anch das Parlament, dem die innern Fragen doch<lb/>
ungleich wichtiger sind, und das nur zwischen Clarendon und Malmesbury die<lb/>
Wahl hat, sich zufrieden geben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_90"> Die türkische Note ist ein Muster politischer Correctheit, und mehr als das,<lb/>
es athmet in ihr auch ein würdiges Gefühl; sie deutet offen an, daß es sich um<lb/>
einen ungleichen Kampf handelt, daß aber ein solches Opfer der Ehre, wie das<lb/>
der Pforte zugemuthet wird, nur infolge einer Niederlage gebracht werden kann,<lb/>
nur gezwungen, nicht freiwillig. Wir haben in einem der frühern Hefte aus¬<lb/>
einandergesetzt, wie wesentlich alle die Modifikationen waren,, welche die Pforte<lb/>
verlangt, und wie nothwendig sie zugleich einer russischen Anslegeknnst gegenüber<lb/>
waren. DaS alles wird dnrch die türkische Note mit ruhiger Würde ausge¬<lb/>
sprochen. Freilich ist damit auch noch nicht alles gesagt. Auf einen Krieg mit<lb/>
Rußland, auf jede Gefahr hin, ist die Türkei gefaßt, ihre Rüstungen sind sehr<lb/>
ernstlich gemeint, und es bliebe wenigstens immer zweifelhaft, ob sie nicht solange<lb/>
sich vertheidigen könnte, bis die Engländer sich ein fähigeres und patriotischeres<lb/>
Ministerium erstritten haben; aber wenn es in der That soweit kommen sollte,<lb/>
daß die Flotten aus der Besikabai nach Konstantinopel segelten, um den Sultan<lb/>
&#x201E;gegen seine aufrührerischen Unterthauen zu schützen", dann glauben auch wir<lb/>
nicht an einen längern Widerstand.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_91" next="#ID_92"> Die russische Note führt in ihrem größeren Theil die gewöhnliche russische<lb/>
Sprache; sie läßt sich gar nicht ans den Inhalt ein, sondern sie bezieht sich nnr<lb/>
auf die Würde Rußlands, der es nicht anstehe, in irgend einer Forderung nach¬<lb/>
zugeben. Dennoch enthält diese Note einen Nachsatz, der weniger kriegerisch<lb/>
lautet, als man sonst von Rußland gewöhnt ist.  Es ist nämlich die formelle</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0040] Unhaltbarst seiner Forderungen überführte, das hätte am Ende Herr Walter ebensogut thun können, sondern es handelte sich darum, welche Eventualitäten das mächtige englische Reich dem russischen in Aussicht stellte, wenn dieses von der Maßlosigkeit seiner Ansprüche nicht abginge. Davon h'at aber die Note kein Wort gesagt. Wir begreisen also die Verwunderung des Publicums gar nicht, daß das englische Cabinet diese herrliche Note dem Parlament vorzulegen gesäumt hat. Das englische Cabinet hat sich dazu hergegeben, die Anerkennung derselben Forderungen, deren Unhalibarkeit es in seiner herrlichen Note so gründlich nach¬ gewiesen, dem Sultan zuzumuthen, und es scheint sogar nicht abgeneigt zu sein, den rennenden Sultan „vor dem Andrang der fanatischen Pöbelmasse, die ihn wider seinen Willen zum Bruch mit Rußland zwingen will", zu schützen. Die Formel ist schon öfters dagewesen. Wir glauben aber nicht, daß das englische Parlament, welches im ganzen aus praktischen Männern besteht, die weniger auf den Stil, als auf den Inhalt sehen, von dieser Art Logik sehr erbaut wäre, und wir finden es daher sehr natürlich, daß Lord Aberdeen dieselbe Methode be¬ folgt, wie Baron Manteuffel in den Tagen von Ollmütz. Ist der Frieden ein¬ mal geschlossen, dann wird anch das Parlament, dem die innern Fragen doch ungleich wichtiger sind, und das nur zwischen Clarendon und Malmesbury die Wahl hat, sich zufrieden geben. Die türkische Note ist ein Muster politischer Correctheit, und mehr als das, es athmet in ihr auch ein würdiges Gefühl; sie deutet offen an, daß es sich um einen ungleichen Kampf handelt, daß aber ein solches Opfer der Ehre, wie das der Pforte zugemuthet wird, nur infolge einer Niederlage gebracht werden kann, nur gezwungen, nicht freiwillig. Wir haben in einem der frühern Hefte aus¬ einandergesetzt, wie wesentlich alle die Modifikationen waren,, welche die Pforte verlangt, und wie nothwendig sie zugleich einer russischen Anslegeknnst gegenüber waren. DaS alles wird dnrch die türkische Note mit ruhiger Würde ausge¬ sprochen. Freilich ist damit auch noch nicht alles gesagt. Auf einen Krieg mit Rußland, auf jede Gefahr hin, ist die Türkei gefaßt, ihre Rüstungen sind sehr ernstlich gemeint, und es bliebe wenigstens immer zweifelhaft, ob sie nicht solange sich vertheidigen könnte, bis die Engländer sich ein fähigeres und patriotischeres Ministerium erstritten haben; aber wenn es in der That soweit kommen sollte, daß die Flotten aus der Besikabai nach Konstantinopel segelten, um den Sultan „gegen seine aufrührerischen Unterthauen zu schützen", dann glauben auch wir nicht an einen längern Widerstand. Die russische Note führt in ihrem größeren Theil die gewöhnliche russische Sprache; sie läßt sich gar nicht ans den Inhalt ein, sondern sie bezieht sich nnr auf die Würde Rußlands, der es nicht anstehe, in irgend einer Forderung nach¬ zugeben. Dennoch enthält diese Note einen Nachsatz, der weniger kriegerisch lautet, als man sonst von Rußland gewöhnt ist. Es ist nämlich die formelle

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/40
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/40>, abgerufen am 11.02.2025.