Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.Sein erstes größeres Werk: "Die Völker des Kaukasus" ist weniger Bekannt in weiteren Kreisen wurde Bodenstedt durch sein Reisewerk: Sein Geschick, fremde Dichtungen ins Deutsche zu übertragen, bewies Sein erstes größeres Werk: „Die Völker des Kaukasus" ist weniger Bekannt in weiteren Kreisen wurde Bodenstedt durch sein Reisewerk: Sein Geschick, fremde Dichtungen ins Deutsche zu übertragen, bewies <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0370" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/97075"/> <p xml:id="ID_1132"> Sein erstes größeres Werk: „Die Völker des Kaukasus" ist weniger<lb/> anerkannt, als es verdient. Es ist die beste und gründlichste Arbeit über die<lb/> interessante Völkergruppe zwischen dem schwarzen und kaspischen Meere und<lb/> zeichnet sich durch die Wahrhaftigkeit und Genauigkeit des Details und durch<lb/> einen Reichthum von bis dahin unbekannten Notizen aus. Einen Fehler hat er<lb/> darin gemacht, und dieser hat vielleicht die Autorität seines Werkes vermindert.<lb/> Er hatte durch seiue Stellung in der Nähe des commandirenden Generals im<lb/> Kaukasus und durch seiue persönliche Bekanntschaft mit mehren Tscherkessenhäupt-<lb/> lingen eine große Anzahl interessanter Nachrichten über die Lehre des neuen Propheten<lb/> Schamyl erhalten. Während er sonst in dem Werte mit größter Gewissenhaftigkeit<lb/> die wirklichen Verhältnisse schilderte, machte er bei diesen Notizen den Versuch,<lb/> sie in einem System ungefähr in der Weise darzustellen, wie der Gebirgsbewohner<lb/> des Kaukasus selbst dies System auffassen mag. Das war nicht möglich ohne<lb/> kleine poetische Zuthaten, welche von dem Leser als Erfindung des Berichterstatters<lb/> empfunden werde« und ihn auch unsicher machen über die historische Treue dessen,<lb/> was der Wirklichkeit entnommen ist. Doch ist es für jeden, der wirkliches<lb/> Interesse an der ethnographischen Darstellung hat, allerdings nicht schwer, die<lb/> mit Bescheidenheit vorgetragene Erstnduug abzulösen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1133"> Bekannt in weiteren Kreisen wurde Bodenstedt durch sein Reisewerk:<lb/> „Tausend und Ein Tag im Orient" (S Thle. Berlin, Decker.), wovon<lb/> grade jetzt eine neue Auflage angekündigt wird. Das Werk wurde bereits in<lb/> diesem Blatte besprochen. Es enthält eine Menge anmuthiger und belehrender Reise-<lb/> skizzen, die Schilderung des weisen Turkomanen Mirza Schafft) ist als ergötzliche<lb/> Charakteristik eines modernen orientalischen Dichters mit Recht ausgezeichnet worden.<lb/> Man sah ans dem ganzen Werke, wie groß die Empfänglichkeit des Verfassers<lb/> war, das Schöne und Charakteristische zu empfinden und wie ungewöhnlich seine<lb/> Befähigung, dasselbe zu reproduciren; man konnte aber selbst in diesem Reisewerk<lb/> erkennen, daß ihm die Composition, das kräftige Zusammenfassen des Stoffes<lb/> nach bestinuuteu Gesichtspunkten, nicht leicht werde. Fast alles Einzelne war gut,<lb/> zum Theil vortrefflich erzählt, und doch machte das Ganze den Eindruck deö<lb/> Fragmentarischen. Hoffentlich wird die neue Ausgabe diesem Uebelstande abhelfen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1134"> Sein Geschick, fremde Dichtungen ins Deutsche zu übertragen, bewies<lb/> Bodenstedt nicht nur durch Bearbeitung der „Gedichte von Mirza Schasfy",<lb/> welche anch als besonderes Bändchen erschienen sind, sondern anch dnrch seine<lb/> Uebertragung der „Volkslieder aus der Ukraine" und der „Gedichte von<lb/> Michail Lermvutvff" (2 Bde.). Da er dem Vernehmen »ach gegenwärtig mit<lb/> einer ähnlichen Bearbeitung Puschkins beschäftigt ist, so wird die Besprechung der<lb/> russischen Dichter selbst am zweckmäßigsten zusammen erfolgen. Seine Bearbeitung<lb/> gilt bei den Russe» für vortrefflich, und wir Deutsche haben diesmal durchaus<lb/> keine Ursache, ihrer Ansicht zu widersprechen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0370]
Sein erstes größeres Werk: „Die Völker des Kaukasus" ist weniger
anerkannt, als es verdient. Es ist die beste und gründlichste Arbeit über die
interessante Völkergruppe zwischen dem schwarzen und kaspischen Meere und
zeichnet sich durch die Wahrhaftigkeit und Genauigkeit des Details und durch
einen Reichthum von bis dahin unbekannten Notizen aus. Einen Fehler hat er
darin gemacht, und dieser hat vielleicht die Autorität seines Werkes vermindert.
Er hatte durch seiue Stellung in der Nähe des commandirenden Generals im
Kaukasus und durch seiue persönliche Bekanntschaft mit mehren Tscherkessenhäupt-
lingen eine große Anzahl interessanter Nachrichten über die Lehre des neuen Propheten
Schamyl erhalten. Während er sonst in dem Werte mit größter Gewissenhaftigkeit
die wirklichen Verhältnisse schilderte, machte er bei diesen Notizen den Versuch,
sie in einem System ungefähr in der Weise darzustellen, wie der Gebirgsbewohner
des Kaukasus selbst dies System auffassen mag. Das war nicht möglich ohne
kleine poetische Zuthaten, welche von dem Leser als Erfindung des Berichterstatters
empfunden werde« und ihn auch unsicher machen über die historische Treue dessen,
was der Wirklichkeit entnommen ist. Doch ist es für jeden, der wirkliches
Interesse an der ethnographischen Darstellung hat, allerdings nicht schwer, die
mit Bescheidenheit vorgetragene Erstnduug abzulösen.
Bekannt in weiteren Kreisen wurde Bodenstedt durch sein Reisewerk:
„Tausend und Ein Tag im Orient" (S Thle. Berlin, Decker.), wovon
grade jetzt eine neue Auflage angekündigt wird. Das Werk wurde bereits in
diesem Blatte besprochen. Es enthält eine Menge anmuthiger und belehrender Reise-
skizzen, die Schilderung des weisen Turkomanen Mirza Schafft) ist als ergötzliche
Charakteristik eines modernen orientalischen Dichters mit Recht ausgezeichnet worden.
Man sah ans dem ganzen Werke, wie groß die Empfänglichkeit des Verfassers
war, das Schöne und Charakteristische zu empfinden und wie ungewöhnlich seine
Befähigung, dasselbe zu reproduciren; man konnte aber selbst in diesem Reisewerk
erkennen, daß ihm die Composition, das kräftige Zusammenfassen des Stoffes
nach bestinuuteu Gesichtspunkten, nicht leicht werde. Fast alles Einzelne war gut,
zum Theil vortrefflich erzählt, und doch machte das Ganze den Eindruck deö
Fragmentarischen. Hoffentlich wird die neue Ausgabe diesem Uebelstande abhelfen.
Sein Geschick, fremde Dichtungen ins Deutsche zu übertragen, bewies
Bodenstedt nicht nur durch Bearbeitung der „Gedichte von Mirza Schasfy",
welche anch als besonderes Bändchen erschienen sind, sondern anch dnrch seine
Uebertragung der „Volkslieder aus der Ukraine" und der „Gedichte von
Michail Lermvutvff" (2 Bde.). Da er dem Vernehmen »ach gegenwärtig mit
einer ähnlichen Bearbeitung Puschkins beschäftigt ist, so wird die Besprechung der
russischen Dichter selbst am zweckmäßigsten zusammen erfolgen. Seine Bearbeitung
gilt bei den Russe» für vortrefflich, und wir Deutsche haben diesmal durchaus
keine Ursache, ihrer Ansicht zu widersprechen.
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