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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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uns bevorsteht. Dank sei es der entschlossenen Taktik des türkischen Generalissi¬
mus. Die Situation wird bald eine klarere Gestaltung gewinnen.

Der Proceß deö Attentats vor der komischen Oper nimmt seit einigen Ta¬
gen seinen Verlauf vor deu Assisen. Soviel aus dem Verhöre der Angeklagten
und der Zeugen hervorgeht, muß man zugeben, daß, wenn auch einige Isxers
provoLuttons mit im Spiele gewesen sein mögen, doch die Verschwörung und das
Attentat eine wirkliche, eine traurig wirkliche Grundlage hatte. Man kann nicht
ohne Wehmuth über die Zustände dieses schönen Landes die Verhandlungen ver¬
folgen. Nach welcher Seite man hinsieht, es wird nnr Betrübendes zu Tage
gefördert. Ganz abgesehen von der Verwerflichkeit der Grundansicht, ein Land
durch einen Mord zu retten>, wird man durch die Hirulvsigkeit empört, mit welcher
diese bedauernswerthen Meuscheu in ihren Plane" wie bei bereu Ausführung zu
Werke gegangen. Polirische Persönlichkeiten darf mau unter diesen Leuten nicht
suchen, aber auch die Annahme der Polizei, daß die Häupter der politischen Flüchtlinge
in London und Brüssel dabei ihre Hand im Spiele gehabt, fällt als offenbar
nichtig von selbst zusammen. Die Polizei und die Justructionsjnstiz kann sich
weder über Mangel an den nöthigen Mitteln beschweren -- öffnet man doch alle
Briefe, die verdächtig scheinen -- noch über die allzugroße Verschwiegenheit der
Angeklagten. Die meisten von ihnen haben alles gestanden, was nur zu gestehe"
war, und wenn auch nnr das geringste Factum vorgelegen, das ans eine Mittheil-
nahme der französischen Emigration hindeutete, man hätte es aufgedeckt. Der
öffentliche Ankläger wußte aber bisher nichts vorzubringen als ausgehobene Stel¬
len aus den Pamphleten von Charraö und Victor Hugo. Es war vo" jeher
Taktik der herrschenden Regierungen gewesen, bei sogenannten Tendenzprozessen
immer die ganze Partei verantwortlich zu machen, "ut es wird hierdurch in Frank¬
reich niemand mehr getäuscht. Die Negierung will der Bougeoisie nochmals ins
Gedächtniß rufen, was der zweite December für sie gethan, indem sie das unsin¬
nige Vorhaben dieser Unglücklichen als Parteinnternehmen sämmtlicher Republi¬
kaner darstellt. Als ob die Erfahrung, als ob namentlich Ludwig Philipps
Geschichte uicht genügend dargethan hätten, daß Verschwörungen niemals auch
nur der Ausdruck der Pläne einer Majorität irgend einer Partei gewesen. Als
Ludwig Philipp gestürzt wurde, hatten die geheimen Gesellschaften wenig Einfluß
auf die Februartage, ja nach dem Zeugnisse der Führer glaubten einige gar nicht,
der Zeitpunkt zu einem Schlage sei gekommen. Ich weiß nicht, ob dieser Proceß
der Regierung die Sympathien erringen werde, die sie zu gewinnen hofft, den
Verschwörungen wird sie hoffentlich schaden und das ist alles, was man im Interesse
der Freiheit wünschen kann. Napoleon III. hat jetzt eine bessere Gelegenheit, sich
Anhänger im Lande zu verschaffen, als durch die tcrrorisireude Taktik einiger seiner
Advocaten. Lehrreich ist dieser Proceß auch noch ans einem andern Gesichtspunkte,
mau kann daraus nämlich über die Zustände, wie sie der zweite December gefür-


uns bevorsteht. Dank sei es der entschlossenen Taktik des türkischen Generalissi¬
mus. Die Situation wird bald eine klarere Gestaltung gewinnen.

Der Proceß deö Attentats vor der komischen Oper nimmt seit einigen Ta¬
gen seinen Verlauf vor deu Assisen. Soviel aus dem Verhöre der Angeklagten
und der Zeugen hervorgeht, muß man zugeben, daß, wenn auch einige Isxers
provoLuttons mit im Spiele gewesen sein mögen, doch die Verschwörung und das
Attentat eine wirkliche, eine traurig wirkliche Grundlage hatte. Man kann nicht
ohne Wehmuth über die Zustände dieses schönen Landes die Verhandlungen ver¬
folgen. Nach welcher Seite man hinsieht, es wird nnr Betrübendes zu Tage
gefördert. Ganz abgesehen von der Verwerflichkeit der Grundansicht, ein Land
durch einen Mord zu retten>, wird man durch die Hirulvsigkeit empört, mit welcher
diese bedauernswerthen Meuscheu in ihren Plane» wie bei bereu Ausführung zu
Werke gegangen. Polirische Persönlichkeiten darf mau unter diesen Leuten nicht
suchen, aber auch die Annahme der Polizei, daß die Häupter der politischen Flüchtlinge
in London und Brüssel dabei ihre Hand im Spiele gehabt, fällt als offenbar
nichtig von selbst zusammen. Die Polizei und die Justructionsjnstiz kann sich
weder über Mangel an den nöthigen Mitteln beschweren — öffnet man doch alle
Briefe, die verdächtig scheinen — noch über die allzugroße Verschwiegenheit der
Angeklagten. Die meisten von ihnen haben alles gestanden, was nur zu gestehe»
war, und wenn auch nnr das geringste Factum vorgelegen, das ans eine Mittheil-
nahme der französischen Emigration hindeutete, man hätte es aufgedeckt. Der
öffentliche Ankläger wußte aber bisher nichts vorzubringen als ausgehobene Stel¬
len aus den Pamphleten von Charraö und Victor Hugo. Es war vo» jeher
Taktik der herrschenden Regierungen gewesen, bei sogenannten Tendenzprozessen
immer die ganze Partei verantwortlich zu machen, »ut es wird hierdurch in Frank¬
reich niemand mehr getäuscht. Die Negierung will der Bougeoisie nochmals ins
Gedächtniß rufen, was der zweite December für sie gethan, indem sie das unsin¬
nige Vorhaben dieser Unglücklichen als Parteinnternehmen sämmtlicher Republi¬
kaner darstellt. Als ob die Erfahrung, als ob namentlich Ludwig Philipps
Geschichte uicht genügend dargethan hätten, daß Verschwörungen niemals auch
nur der Ausdruck der Pläne einer Majorität irgend einer Partei gewesen. Als
Ludwig Philipp gestürzt wurde, hatten die geheimen Gesellschaften wenig Einfluß
auf die Februartage, ja nach dem Zeugnisse der Führer glaubten einige gar nicht,
der Zeitpunkt zu einem Schlage sei gekommen. Ich weiß nicht, ob dieser Proceß
der Regierung die Sympathien erringen werde, die sie zu gewinnen hofft, den
Verschwörungen wird sie hoffentlich schaden und das ist alles, was man im Interesse
der Freiheit wünschen kann. Napoleon III. hat jetzt eine bessere Gelegenheit, sich
Anhänger im Lande zu verschaffen, als durch die tcrrorisireude Taktik einiger seiner
Advocaten. Lehrreich ist dieser Proceß auch noch ans einem andern Gesichtspunkte,
mau kann daraus nämlich über die Zustände, wie sie der zweite December gefür-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/358>, abgerufen am 05.02.2025.