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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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reit erklären, so ist das wesentlich keine Kundgebung gegen Rußland, weil man
so allein' einige Hoffnung haben kann, die westlichen Mächte und namentlich Eng¬
land von thätigem Einschreiten abzuhalten. DaS Geheimniß der merkwürdigen
Erscheinung auf deu europäischen Börsen im Momente einer politischen Krise,
eines Mißjahres, die feste Zuversicht auf ein baldiges Ende nicht zu verlieren,
liegt in diesem Umstände allein. Die Börse wird jetzt durch die Diplomatie
gehalten, und man kann sagen, Aberdeen und Brot-Schauenstein üben fast mehr
Einfluß auf den europäischen Cours der Effecten, als Rothschild und die anderen
Finanzkönige. Wenn Rußland durch allzugroße Empfindlichkeit die westlichen Re¬
gierungen in den Fall setzt, sich bestimmt zu erklären, dann käme die Sache noth¬
wendig schneller zum Brüche, als seinen Plänen lieb sein kann. DaS letzte Ma¬
nifest und die Antwort des Moniteur müßten von Rechtswegen als die Demis-
sivusacte vou Aberdeen betrachtet werde", und wenn dieser ergebene Freund deö
Zaren seine Zähigkeit nicht bis zur Unverschämtheit bewährt, so müssen wir in
den nächsten Tagen die Einberufung des Parlaments und den Rücktritt Aberdeens
Vernehmens?). Leider hat uns der englische Premier das Maß seiner Ausdauer
schon gegeben, und es ist möglich, daß er auch einer solchen Niederlage noch
nicht weichen wolle.

Hier in Frankreich fängt die öffentliche Meinung an, weniger friedensgewiß
zu sein als die Meinung auf der Börse, und man fängt an zu begreifen, daß der
Kaiser der Franzosen der Grenze immer näher rückt, über welche hinaus seiue
thätliche Enthaltung unmöglich wird. Die militärische Partei vollends zweifelt
nicht mehr, daß sie beim Kaiser durchdringen werde und betrachtet den Krieg mit
Nußland ,a!s eine ausgemachte Sache. Sie wissen, wie schnell hier die Hoffnun¬
gen der Parteien umschlagen, allein sie dürfen auch nicht vergessen, daß jetzt in
Wirklichkeit mehr Aussicht ist für die ruhmsüchtigen Bonapartisten pur sanK denn
je. Die Hanptschwierigkeiten kommen von England, aber wenn die Türken glück¬
lich genug sind, einige bedeutende Vortheile über die Russen zu erringen, wird
auch die englische Regierung gezwungen sein, vorwärts zu rücken. Dies kann
umsoweniger ausbleibe", als Rußland durch seiue Niederlagen in Asien genöthigt
sein dürfte, England directe Verlegenheiten zu bereiten.

Ueber die schließliche Politik der deutschen Fürsten kann man sich schwerer
eine entschiedene Meinung macheu, doch wollen wir wenigstens nicht unerwähnt
lassen, daß hier in Negiernngskreiseu davon gesprochen wird, Preußen habe seine
Neutralität dahin erläutert, im Nothfälle für England und Frankreich gegen
Rußland einstehen zu wollen. Wir haben in der preußischen Politik der letzten Jahre
von hier aus keinen Act entdecken können, der dieser Hypothese Wahrscheinlichkeit
verschaffte; doch werden wir auch nicht soweit gehen, von vornherein die Mög¬
lichkeit einer solchen Wendung in Abrede zu stellen.

Uebrigens lange können wir nicht mehr in Zweifel bleiben über das, was


reit erklären, so ist das wesentlich keine Kundgebung gegen Rußland, weil man
so allein' einige Hoffnung haben kann, die westlichen Mächte und namentlich Eng¬
land von thätigem Einschreiten abzuhalten. DaS Geheimniß der merkwürdigen
Erscheinung auf deu europäischen Börsen im Momente einer politischen Krise,
eines Mißjahres, die feste Zuversicht auf ein baldiges Ende nicht zu verlieren,
liegt in diesem Umstände allein. Die Börse wird jetzt durch die Diplomatie
gehalten, und man kann sagen, Aberdeen und Brot-Schauenstein üben fast mehr
Einfluß auf den europäischen Cours der Effecten, als Rothschild und die anderen
Finanzkönige. Wenn Rußland durch allzugroße Empfindlichkeit die westlichen Re¬
gierungen in den Fall setzt, sich bestimmt zu erklären, dann käme die Sache noth¬
wendig schneller zum Brüche, als seinen Plänen lieb sein kann. DaS letzte Ma¬
nifest und die Antwort des Moniteur müßten von Rechtswegen als die Demis-
sivusacte vou Aberdeen betrachtet werde», und wenn dieser ergebene Freund deö
Zaren seine Zähigkeit nicht bis zur Unverschämtheit bewährt, so müssen wir in
den nächsten Tagen die Einberufung des Parlaments und den Rücktritt Aberdeens
Vernehmens?). Leider hat uns der englische Premier das Maß seiner Ausdauer
schon gegeben, und es ist möglich, daß er auch einer solchen Niederlage noch
nicht weichen wolle.

Hier in Frankreich fängt die öffentliche Meinung an, weniger friedensgewiß
zu sein als die Meinung auf der Börse, und man fängt an zu begreifen, daß der
Kaiser der Franzosen der Grenze immer näher rückt, über welche hinaus seiue
thätliche Enthaltung unmöglich wird. Die militärische Partei vollends zweifelt
nicht mehr, daß sie beim Kaiser durchdringen werde und betrachtet den Krieg mit
Nußland ,a!s eine ausgemachte Sache. Sie wissen, wie schnell hier die Hoffnun¬
gen der Parteien umschlagen, allein sie dürfen auch nicht vergessen, daß jetzt in
Wirklichkeit mehr Aussicht ist für die ruhmsüchtigen Bonapartisten pur sanK denn
je. Die Hanptschwierigkeiten kommen von England, aber wenn die Türken glück¬
lich genug sind, einige bedeutende Vortheile über die Russen zu erringen, wird
auch die englische Regierung gezwungen sein, vorwärts zu rücken. Dies kann
umsoweniger ausbleibe», als Rußland durch seiue Niederlagen in Asien genöthigt
sein dürfte, England directe Verlegenheiten zu bereiten.

Ueber die schließliche Politik der deutschen Fürsten kann man sich schwerer
eine entschiedene Meinung macheu, doch wollen wir wenigstens nicht unerwähnt
lassen, daß hier in Negiernngskreiseu davon gesprochen wird, Preußen habe seine
Neutralität dahin erläutert, im Nothfälle für England und Frankreich gegen
Rußland einstehen zu wollen. Wir haben in der preußischen Politik der letzten Jahre
von hier aus keinen Act entdecken können, der dieser Hypothese Wahrscheinlichkeit
verschaffte; doch werden wir auch nicht soweit gehen, von vornherein die Mög¬
lichkeit einer solchen Wendung in Abrede zu stellen.

Uebrigens lange können wir nicht mehr in Zweifel bleiben über das, was


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[0357] reit erklären, so ist das wesentlich keine Kundgebung gegen Rußland, weil man so allein' einige Hoffnung haben kann, die westlichen Mächte und namentlich Eng¬ land von thätigem Einschreiten abzuhalten. DaS Geheimniß der merkwürdigen Erscheinung auf deu europäischen Börsen im Momente einer politischen Krise, eines Mißjahres, die feste Zuversicht auf ein baldiges Ende nicht zu verlieren, liegt in diesem Umstände allein. Die Börse wird jetzt durch die Diplomatie gehalten, und man kann sagen, Aberdeen und Brot-Schauenstein üben fast mehr Einfluß auf den europäischen Cours der Effecten, als Rothschild und die anderen Finanzkönige. Wenn Rußland durch allzugroße Empfindlichkeit die westlichen Re¬ gierungen in den Fall setzt, sich bestimmt zu erklären, dann käme die Sache noth¬ wendig schneller zum Brüche, als seinen Plänen lieb sein kann. DaS letzte Ma¬ nifest und die Antwort des Moniteur müßten von Rechtswegen als die Demis- sivusacte vou Aberdeen betrachtet werde», und wenn dieser ergebene Freund deö Zaren seine Zähigkeit nicht bis zur Unverschämtheit bewährt, so müssen wir in den nächsten Tagen die Einberufung des Parlaments und den Rücktritt Aberdeens Vernehmens?). Leider hat uns der englische Premier das Maß seiner Ausdauer schon gegeben, und es ist möglich, daß er auch einer solchen Niederlage noch nicht weichen wolle. Hier in Frankreich fängt die öffentliche Meinung an, weniger friedensgewiß zu sein als die Meinung auf der Börse, und man fängt an zu begreifen, daß der Kaiser der Franzosen der Grenze immer näher rückt, über welche hinaus seiue thätliche Enthaltung unmöglich wird. Die militärische Partei vollends zweifelt nicht mehr, daß sie beim Kaiser durchdringen werde und betrachtet den Krieg mit Nußland ,a!s eine ausgemachte Sache. Sie wissen, wie schnell hier die Hoffnun¬ gen der Parteien umschlagen, allein sie dürfen auch nicht vergessen, daß jetzt in Wirklichkeit mehr Aussicht ist für die ruhmsüchtigen Bonapartisten pur sanK denn je. Die Hanptschwierigkeiten kommen von England, aber wenn die Türken glück¬ lich genug sind, einige bedeutende Vortheile über die Russen zu erringen, wird auch die englische Regierung gezwungen sein, vorwärts zu rücken. Dies kann umsoweniger ausbleibe», als Rußland durch seiue Niederlagen in Asien genöthigt sein dürfte, England directe Verlegenheiten zu bereiten. Ueber die schließliche Politik der deutschen Fürsten kann man sich schwerer eine entschiedene Meinung macheu, doch wollen wir wenigstens nicht unerwähnt lassen, daß hier in Negiernngskreiseu davon gesprochen wird, Preußen habe seine Neutralität dahin erläutert, im Nothfälle für England und Frankreich gegen Rußland einstehen zu wollen. Wir haben in der preußischen Politik der letzten Jahre von hier aus keinen Act entdecken können, der dieser Hypothese Wahrscheinlichkeit verschaffte; doch werden wir auch nicht soweit gehen, von vornherein die Mög¬ lichkeit einer solchen Wendung in Abrede zu stellen. Uebrigens lange können wir nicht mehr in Zweifel bleiben über das, was

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/357>, abgerufen am 05.02.2025.