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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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und begegnet in allen höhern Schichten der deutschen Presse seist nur noch auf¬
richtig ergebenen Freunden. Es ist gewiß ein merkwürdiges Factum, daß die'sehr
dichte Literatur des Kvrnhandels in ihrem ganzen Umfang keinen nennenswerthen
Angriff aus das Princip des freie" Handels ausweist. Daneben ließe sich jetzt
die mindestens ebenso erfreuliche Wahrnehmung stellen, daß keine größere und
angesehenere deutsche Zeitung den plumpen Aberglauben des Haufens in dieser
Sache sich hat aneigne" mögen. Einer Anzahl der vbscnrsten Winkelblätter ist
es überlassen gewesen, auch in einer solchen Angelegenheit der Presse eine schein¬
bare Unparteilichkeit zu vindiciren und den rettenden Thaten gewisser Polizei¬
helden zum Chorus zu dienen. Leider hat sich der Kaiserstaat der Habsburger
auch dabei wieder durch eine wuchernde Ueppigkeit gedankenloser Schreier aus¬
gezeichnet. Um so willkommener ist es, die großen Wiener Journale nicht in
ihre Tonart einstimmen zu sehen und z. B. von der "Presse" den hoffentlich
prophetischen Ausspruch zu lesen: "es werde wol niemals einem Bürgermeister
wieder einfallen, und wäre es selbst noch einmal der von Wien, der Freiheit des
Kornhandels ein Bein stellen zu wollen." In der That, es läßt sich nicht wenig
danach an, als ob die polizeiliche Willkür hier zum letzten Male freies Feld in
der einschneidendsten Frage der öffentlichen Wirthschaft gehabt haben sollte.
Diesmal zwar sind die weisen Herren, welche Alles reglemcntircn möchten und
für die großen Kalamitäten der Natur selbst Panaceen in ihrem Bureau zu haben
wähnen, zum Theil noch keck genug hervorgetreten. Sie haben sich meistens nicht
erst, wie Herr von Seiller in Wien, bei confusen Tiraden gegen die gemein¬
schädliche Ruchlosigkeit der Kornjnden aufgehalten, sondern sind alsbald mit Ver¬
boten und Beschränkungen und mit sonstiger negativer Thätigkeit ins Zeug ge¬
gangen. Man mußte Gott uoch danken, wenn sie nur wenigstens den Vorrath
an Brotfrüchten zu vermehren, und uicht im Uebermaß der Verkehrtheit den Preis
zu drücken, d. h. statt des Uebels selbst, das unschuldige und geradezu unent¬
behrliche Symptom hinwegzubringen suchten. Aber sie haben doch auch fast aller¬
orten eine so scharfe Kritik, einen so wohlgeordneten und moralisch weit überlegenen
Widerstand erfahren, daß dieselben Leute schwerlich zum zweiten Mal denselben
Muth entwickeln werden. Von Herrn von Hinkeldey herab bis zu dem namen¬
losesten seiner Collegen wird keinem unter ihnen wohl geworden sein, wenn er
seine zerstörende Hand in das nützlichste der Geschäfte gesteckt, und hindernd
zwischen das Brot und die hungernde Lippe der Armuth geschoben hat. Schienen
sie anfangs zu den äußersten Schritten dreist genug, so wurden sie doch bald
stutzig und geriethen über die völlig unerwartete Aufnahme ihres Vorgehens bei
dem Publicum, ja meistentheils auch bei den vorgesetzten Oberbehörden in lauter
Beschämung und Verlegenheit. Es verdient wol constatirt zu werden, daß die
sonst nicht eben hochstehende Regierungspresse der deutschen Staaten diesmal fast
ohne Ausnahme auf Seiten der wahren Einsicht gestanden hat. Alles dies zu-


Grenzbote". IV. 4

und begegnet in allen höhern Schichten der deutschen Presse seist nur noch auf¬
richtig ergebenen Freunden. Es ist gewiß ein merkwürdiges Factum, daß die'sehr
dichte Literatur des Kvrnhandels in ihrem ganzen Umfang keinen nennenswerthen
Angriff aus das Princip des freie» Handels ausweist. Daneben ließe sich jetzt
die mindestens ebenso erfreuliche Wahrnehmung stellen, daß keine größere und
angesehenere deutsche Zeitung den plumpen Aberglauben des Haufens in dieser
Sache sich hat aneigne» mögen. Einer Anzahl der vbscnrsten Winkelblätter ist
es überlassen gewesen, auch in einer solchen Angelegenheit der Presse eine schein¬
bare Unparteilichkeit zu vindiciren und den rettenden Thaten gewisser Polizei¬
helden zum Chorus zu dienen. Leider hat sich der Kaiserstaat der Habsburger
auch dabei wieder durch eine wuchernde Ueppigkeit gedankenloser Schreier aus¬
gezeichnet. Um so willkommener ist es, die großen Wiener Journale nicht in
ihre Tonart einstimmen zu sehen und z. B. von der „Presse" den hoffentlich
prophetischen Ausspruch zu lesen: „es werde wol niemals einem Bürgermeister
wieder einfallen, und wäre es selbst noch einmal der von Wien, der Freiheit des
Kornhandels ein Bein stellen zu wollen." In der That, es läßt sich nicht wenig
danach an, als ob die polizeiliche Willkür hier zum letzten Male freies Feld in
der einschneidendsten Frage der öffentlichen Wirthschaft gehabt haben sollte.
Diesmal zwar sind die weisen Herren, welche Alles reglemcntircn möchten und
für die großen Kalamitäten der Natur selbst Panaceen in ihrem Bureau zu haben
wähnen, zum Theil noch keck genug hervorgetreten. Sie haben sich meistens nicht
erst, wie Herr von Seiller in Wien, bei confusen Tiraden gegen die gemein¬
schädliche Ruchlosigkeit der Kornjnden aufgehalten, sondern sind alsbald mit Ver¬
boten und Beschränkungen und mit sonstiger negativer Thätigkeit ins Zeug ge¬
gangen. Man mußte Gott uoch danken, wenn sie nur wenigstens den Vorrath
an Brotfrüchten zu vermehren, und uicht im Uebermaß der Verkehrtheit den Preis
zu drücken, d. h. statt des Uebels selbst, das unschuldige und geradezu unent¬
behrliche Symptom hinwegzubringen suchten. Aber sie haben doch auch fast aller¬
orten eine so scharfe Kritik, einen so wohlgeordneten und moralisch weit überlegenen
Widerstand erfahren, daß dieselben Leute schwerlich zum zweiten Mal denselben
Muth entwickeln werden. Von Herrn von Hinkeldey herab bis zu dem namen¬
losesten seiner Collegen wird keinem unter ihnen wohl geworden sein, wenn er
seine zerstörende Hand in das nützlichste der Geschäfte gesteckt, und hindernd
zwischen das Brot und die hungernde Lippe der Armuth geschoben hat. Schienen
sie anfangs zu den äußersten Schritten dreist genug, so wurden sie doch bald
stutzig und geriethen über die völlig unerwartete Aufnahme ihres Vorgehens bei
dem Publicum, ja meistentheils auch bei den vorgesetzten Oberbehörden in lauter
Beschämung und Verlegenheit. Es verdient wol constatirt zu werden, daß die
sonst nicht eben hochstehende Regierungspresse der deutschen Staaten diesmal fast
ohne Ausnahme auf Seiten der wahren Einsicht gestanden hat. Alles dies zu-


Grenzbote». IV. 4
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/33>, abgerufen am 05.02.2025.