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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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gagirte Theaterdichter, deren füniehmster Herr L. Feldmann aus München, der
bekannte Lustspieldichter, ist; Berta, Böhm, Bittner, Elmar, Banernfeind :c.
heißen einige der übrigen. Jeder dieser Herren macht sich anheischig, in
bestimmten Fristen der Direction ein neues Stück einzuliefern, zu welchen dann
Herr von Suppö "der Herr Müller die Musik schreibt. -- Vou Wahrheit der
Handlung, vou Charakteren, von Poesie, von allem, was für ein "Stück"
wünschenswerth ist, ja selbst von sogenanntem gesunden Menschenverstand braucht
ein solches Opus nicht nur gar nichts zu enthalten, sondern der absolute Unsinn
ist sogar für die besonderen Zwecke dieser Bühne sehr erwünscht. Es muß mir
eben ein Localstück sein, welches einen Abend füllt und ein paar gute Rollen für
den Hauptkomiker, Herrn Rott, und für die "Localsängerin", Fräulein Schiller,
enthält. Diese guten Rollen brauchen aber anch wiederum nichts weniger, als
gute Rollen in unserem Sinne zu sein, sie müssen eben n"r der niedrigen
Wiener Komik möglichst freien Spielraum lasse" und als Hauptingredienz drei bis vier
Couplets mit unzähligen Nepetitivnsversen haben. Wenn nur eins dieser
Couplets bei der.erste" Vorstellung "durchschlägt", so ist das Stück gerettet und
dreißig Wiederholungen an den dreißig unmittelbar folgenden Abenden sind ihm
sicher, mag es im übrigen sein, wie es will. Das sind wurf as toros der
Wiener Localkvmik, die sich a" diesem Theater etwa zehn- bis zwölfmal im Jahre
wiederholen. Ist ein Stück auf solche Weise zu Tode gehetzt, so ruht es für
immer und ein neues Spectakel beginnt. Es ist die alte Hanswurst- und Steg-
reifkvmödie in modernem Costüm.

Vou dieser Art Wiener Localpossen hat man im Norden nur einen sehr schwachen
Begriff, denn ihr eigenthümliches Wesen kommt erst dnrch die Darstellungsweise,
durch den Dialekt, die localen Beziehungen, die Improvisationen, ein Augen¬
zwinkern, ein Naserümpfen, ein Rießer des Komikers zur Geltung, welches solchen
Vorführungen bei uns natürlich abgeht und anch nicht verstanden werden würde.
Moral im Gewände der Zote ist in der Regel die Tendenz dieser Possen, die
sich gern "Charakterbilder" nennen und deren stereotype Figuren ein schurkischer
Großhändler oder Fabrikant, ein edelherziger Jüngling als Liebhaber seiner
Tochter, ein Wucherer oder ein seine "Parteien steigernder Hausherr" und endlich
ein patziger Bedienter in rothem Frack mit blauem Ueberfallkragen -- Hans-
wnrsts leiblicher Sohn -- wie man solchen in der Wirklichkeit wol vergebens
suchen würde, zu sein pflegen.

Während solcher localer Knnststrebungen gehen an diesem Theater etwa
zwanzig fest engagirte, norddeutsche Schauspieler spatzieren und lassen sich Voll¬
bärte wachsen. Ein solcher Gagenetat, wie hier, und ein Personal, mit dem
man quantitativ drei größere norddeutsche Stadttheater complet formiren könnte,
ist eben nur in Wien möglich. Nun aber kommen anch Abende, wo endlich der
Hauptträger einer solchen lnngenangreifendcn Posse heiser geworden, wo Tags


gagirte Theaterdichter, deren füniehmster Herr L. Feldmann aus München, der
bekannte Lustspieldichter, ist; Berta, Böhm, Bittner, Elmar, Banernfeind :c.
heißen einige der übrigen. Jeder dieser Herren macht sich anheischig, in
bestimmten Fristen der Direction ein neues Stück einzuliefern, zu welchen dann
Herr von Suppö »der Herr Müller die Musik schreibt. — Vou Wahrheit der
Handlung, vou Charakteren, von Poesie, von allem, was für ein „Stück"
wünschenswerth ist, ja selbst von sogenanntem gesunden Menschenverstand braucht
ein solches Opus nicht nur gar nichts zu enthalten, sondern der absolute Unsinn
ist sogar für die besonderen Zwecke dieser Bühne sehr erwünscht. Es muß mir
eben ein Localstück sein, welches einen Abend füllt und ein paar gute Rollen für
den Hauptkomiker, Herrn Rott, und für die „Localsängerin", Fräulein Schiller,
enthält. Diese guten Rollen brauchen aber anch wiederum nichts weniger, als
gute Rollen in unserem Sinne zu sein, sie müssen eben n»r der niedrigen
Wiener Komik möglichst freien Spielraum lasse» und als Hauptingredienz drei bis vier
Couplets mit unzähligen Nepetitivnsversen haben. Wenn nur eins dieser
Couplets bei der.erste» Vorstellung „durchschlägt", so ist das Stück gerettet und
dreißig Wiederholungen an den dreißig unmittelbar folgenden Abenden sind ihm
sicher, mag es im übrigen sein, wie es will. Das sind wurf as toros der
Wiener Localkvmik, die sich a» diesem Theater etwa zehn- bis zwölfmal im Jahre
wiederholen. Ist ein Stück auf solche Weise zu Tode gehetzt, so ruht es für
immer und ein neues Spectakel beginnt. Es ist die alte Hanswurst- und Steg-
reifkvmödie in modernem Costüm.

Vou dieser Art Wiener Localpossen hat man im Norden nur einen sehr schwachen
Begriff, denn ihr eigenthümliches Wesen kommt erst dnrch die Darstellungsweise,
durch den Dialekt, die localen Beziehungen, die Improvisationen, ein Augen¬
zwinkern, ein Naserümpfen, ein Rießer des Komikers zur Geltung, welches solchen
Vorführungen bei uns natürlich abgeht und anch nicht verstanden werden würde.
Moral im Gewände der Zote ist in der Regel die Tendenz dieser Possen, die
sich gern „Charakterbilder" nennen und deren stereotype Figuren ein schurkischer
Großhändler oder Fabrikant, ein edelherziger Jüngling als Liebhaber seiner
Tochter, ein Wucherer oder ein seine „Parteien steigernder Hausherr" und endlich
ein patziger Bedienter in rothem Frack mit blauem Ueberfallkragen — Hans-
wnrsts leiblicher Sohn — wie man solchen in der Wirklichkeit wol vergebens
suchen würde, zu sein pflegen.

Während solcher localer Knnststrebungen gehen an diesem Theater etwa
zwanzig fest engagirte, norddeutsche Schauspieler spatzieren und lassen sich Voll¬
bärte wachsen. Ein solcher Gagenetat, wie hier, und ein Personal, mit dem
man quantitativ drei größere norddeutsche Stadttheater complet formiren könnte,
ist eben nur in Wien möglich. Nun aber kommen anch Abende, wo endlich der
Hauptträger einer solchen lnngenangreifendcn Posse heiser geworden, wo Tags


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/320>, abgerufen am 06.02.2025.