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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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die Aufmerksamkeit, ja die Besorgniß Rußlands erregte, wenigstens wurde die
unmittelbar darauf folgende brüske Sendung Menschikoffs in Konstantinopel und
anderswo als gewagter Versuch angesehen, die Wirkung dieser diplomatischen
Action zu überbieten. Was darauf folgte, ist bekannt. Die russischen Diplo¬
maten hielten die Frucht für gereift, sie waren" in bedenklicher Täuschung über
die Beschaffenheit des Moments. Die Besetzung der Fürstenthümer erwies sich
als ein übereilter Schritt.

Oestreich kam dadurch in eine schwierige Lage. Die Verpflichtungen von
-1849, der ganze Zug der Politik, fesselten an Rußland, die Interessen in diesem
Kampfe waren direct entgegengesetzt. Für Rußland war die Hauptfrage, ob es
ihm gelingen werde, Oestreich als Bundesgenossen durch persönliche Einwirkung
und die Macht der Verhältnisse fortzureißen. Auf Preußens Neutralität konnte
mau bei der genauen Kenntniß der dort maßgebenden Persönlichkeiten mit ziem¬
licher Sicherheit rechnen, Frankreichs Gewinn erschien wenigstens nicht unmöglich.
Mit Oestreich konnte Rußland einen Streit gegen England wol aufnehmen. --
In Wien war in diesem Sommer der stille Schauplatz eines geheime" Kampfes
zwischen Ost- und Westeuropa, lind es scheint allerdings Tage gegeben zu
haben, wo das östreichische Cabinet dem stürmischen Nachbar nachzugeben bereit
war. Aber bereits vor der Zusammenkunft von Olmütz hatte die Regierung sich
entschlossen, und es wird wol noch auf Jahre ungewiß bleiben, wieviel Antheil
an diesem Entschluß die entschiedene Abneigung des preußischen Gouvernements
gegen ein Bündniß mit Rußland, die zwingende Rücksicht auf die Finanzlage des
Staates oder die volle Einsicht in das für Oestreich Nützliche hatten. Genug, die
Regierung wurde fest in dem weise" Entschluß, neutral zu bleiben, und erklärte
dies in höchst wirksamer, ja großartiger Weise dnrch die Entlassung von-100,000
Soldaten.

Durch diese ruhige, beobachtende Politik ist Oestreichs Stellung entschieden
besser geworden, als sie vor dem russischen Einfall in die Herzogtümer war.
Der Staat hat seine Selbstständigkeit in der auswärtigen Politik wiedergewonnen,
er steht ans dem richtigen Boden seiner Interessen, und was Nußland durch sein
übereiltes Losbrechen, durch die diplomatischen Niederlagen dieses Sommers an
Ansehn und Einfluß eingebüßt, das fällt zum großen Theil Oestreich zu. Auch
bei den Südslaweu wird, soweit überhaupt von einer selbstständigen Politik bei
ihnen die.^Rede sein kann, diese beobachtende sichere Haltung Oestreichs "lebt
verloren gehn. Denn so roh auch dort die Masse deu KriegSlärm des Tages
beurtheilt, so habe" doch die Führer Einsicht genng, um in kurzem zu begreifen,
daß Nußland eine stille Einbuße erlitten hat, den" der Maugel großer Resultate
ist bei dei" gegenwärtigen Kriege für Rußland -eine Niederlage.

Es läßt sich nnter diesen Uniständen hoffe", daß der türkische Krieg mehr
el" blutiges Wasserspiel, als ein Terrain großer Entscheidungen sei" wird. Was


die Aufmerksamkeit, ja die Besorgniß Rußlands erregte, wenigstens wurde die
unmittelbar darauf folgende brüske Sendung Menschikoffs in Konstantinopel und
anderswo als gewagter Versuch angesehen, die Wirkung dieser diplomatischen
Action zu überbieten. Was darauf folgte, ist bekannt. Die russischen Diplo¬
maten hielten die Frucht für gereift, sie waren« in bedenklicher Täuschung über
die Beschaffenheit des Moments. Die Besetzung der Fürstenthümer erwies sich
als ein übereilter Schritt.

Oestreich kam dadurch in eine schwierige Lage. Die Verpflichtungen von
-1849, der ganze Zug der Politik, fesselten an Rußland, die Interessen in diesem
Kampfe waren direct entgegengesetzt. Für Rußland war die Hauptfrage, ob es
ihm gelingen werde, Oestreich als Bundesgenossen durch persönliche Einwirkung
und die Macht der Verhältnisse fortzureißen. Auf Preußens Neutralität konnte
mau bei der genauen Kenntniß der dort maßgebenden Persönlichkeiten mit ziem¬
licher Sicherheit rechnen, Frankreichs Gewinn erschien wenigstens nicht unmöglich.
Mit Oestreich konnte Rußland einen Streit gegen England wol aufnehmen. —
In Wien war in diesem Sommer der stille Schauplatz eines geheime» Kampfes
zwischen Ost- und Westeuropa, lind es scheint allerdings Tage gegeben zu
haben, wo das östreichische Cabinet dem stürmischen Nachbar nachzugeben bereit
war. Aber bereits vor der Zusammenkunft von Olmütz hatte die Regierung sich
entschlossen, und es wird wol noch auf Jahre ungewiß bleiben, wieviel Antheil
an diesem Entschluß die entschiedene Abneigung des preußischen Gouvernements
gegen ein Bündniß mit Rußland, die zwingende Rücksicht auf die Finanzlage des
Staates oder die volle Einsicht in das für Oestreich Nützliche hatten. Genug, die
Regierung wurde fest in dem weise» Entschluß, neutral zu bleiben, und erklärte
dies in höchst wirksamer, ja großartiger Weise dnrch die Entlassung von-100,000
Soldaten.

Durch diese ruhige, beobachtende Politik ist Oestreichs Stellung entschieden
besser geworden, als sie vor dem russischen Einfall in die Herzogtümer war.
Der Staat hat seine Selbstständigkeit in der auswärtigen Politik wiedergewonnen,
er steht ans dem richtigen Boden seiner Interessen, und was Nußland durch sein
übereiltes Losbrechen, durch die diplomatischen Niederlagen dieses Sommers an
Ansehn und Einfluß eingebüßt, das fällt zum großen Theil Oestreich zu. Auch
bei den Südslaweu wird, soweit überhaupt von einer selbstständigen Politik bei
ihnen die.^Rede sein kann, diese beobachtende sichere Haltung Oestreichs »lebt
verloren gehn. Denn so roh auch dort die Masse deu KriegSlärm des Tages
beurtheilt, so habe» doch die Führer Einsicht genng, um in kurzem zu begreifen,
daß Nußland eine stille Einbuße erlitten hat, den» der Maugel großer Resultate
ist bei dei» gegenwärtigen Kriege für Rußland -eine Niederlage.

Es läßt sich nnter diesen Uniständen hoffe», daß der türkische Krieg mehr
el» blutiges Wasserspiel, als ein Terrain großer Entscheidungen sei» wird. Was


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[0312] die Aufmerksamkeit, ja die Besorgniß Rußlands erregte, wenigstens wurde die unmittelbar darauf folgende brüske Sendung Menschikoffs in Konstantinopel und anderswo als gewagter Versuch angesehen, die Wirkung dieser diplomatischen Action zu überbieten. Was darauf folgte, ist bekannt. Die russischen Diplo¬ maten hielten die Frucht für gereift, sie waren« in bedenklicher Täuschung über die Beschaffenheit des Moments. Die Besetzung der Fürstenthümer erwies sich als ein übereilter Schritt. Oestreich kam dadurch in eine schwierige Lage. Die Verpflichtungen von -1849, der ganze Zug der Politik, fesselten an Rußland, die Interessen in diesem Kampfe waren direct entgegengesetzt. Für Rußland war die Hauptfrage, ob es ihm gelingen werde, Oestreich als Bundesgenossen durch persönliche Einwirkung und die Macht der Verhältnisse fortzureißen. Auf Preußens Neutralität konnte mau bei der genauen Kenntniß der dort maßgebenden Persönlichkeiten mit ziem¬ licher Sicherheit rechnen, Frankreichs Gewinn erschien wenigstens nicht unmöglich. Mit Oestreich konnte Rußland einen Streit gegen England wol aufnehmen. — In Wien war in diesem Sommer der stille Schauplatz eines geheime» Kampfes zwischen Ost- und Westeuropa, lind es scheint allerdings Tage gegeben zu haben, wo das östreichische Cabinet dem stürmischen Nachbar nachzugeben bereit war. Aber bereits vor der Zusammenkunft von Olmütz hatte die Regierung sich entschlossen, und es wird wol noch auf Jahre ungewiß bleiben, wieviel Antheil an diesem Entschluß die entschiedene Abneigung des preußischen Gouvernements gegen ein Bündniß mit Rußland, die zwingende Rücksicht auf die Finanzlage des Staates oder die volle Einsicht in das für Oestreich Nützliche hatten. Genug, die Regierung wurde fest in dem weise» Entschluß, neutral zu bleiben, und erklärte dies in höchst wirksamer, ja großartiger Weise dnrch die Entlassung von-100,000 Soldaten. Durch diese ruhige, beobachtende Politik ist Oestreichs Stellung entschieden besser geworden, als sie vor dem russischen Einfall in die Herzogtümer war. Der Staat hat seine Selbstständigkeit in der auswärtigen Politik wiedergewonnen, er steht ans dem richtigen Boden seiner Interessen, und was Nußland durch sein übereiltes Losbrechen, durch die diplomatischen Niederlagen dieses Sommers an Ansehn und Einfluß eingebüßt, das fällt zum großen Theil Oestreich zu. Auch bei den Südslaweu wird, soweit überhaupt von einer selbstständigen Politik bei ihnen die.^Rede sein kann, diese beobachtende sichere Haltung Oestreichs »lebt verloren gehn. Denn so roh auch dort die Masse deu KriegSlärm des Tages beurtheilt, so habe» doch die Führer Einsicht genng, um in kurzem zu begreifen, daß Nußland eine stille Einbuße erlitten hat, den» der Maugel großer Resultate ist bei dei» gegenwärtigen Kriege für Rußland -eine Niederlage. Es läßt sich nnter diesen Uniständen hoffe», daß der türkische Krieg mehr el» blutiges Wasserspiel, als ein Terrain großer Entscheidungen sei» wird. Was

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/312>, abgerufen am 05.02.2025.