Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.eS Herrn Beda Weber nicht zum Vorwurfe machen, daß er in seinen "Charakter¬ Es ist darum gewiß von großer Bedeutung, daß hier, wie anderwärts, das eS Herrn Beda Weber nicht zum Vorwurfe machen, daß er in seinen „Charakter¬ Es ist darum gewiß von großer Bedeutung, daß hier, wie anderwärts, das <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0304" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/97009"/> <p xml:id="ID_906" prev="#ID_905"> eS Herrn Beda Weber nicht zum Vorwurfe machen, daß er in seinen „Charakter¬<lb/> bildern" sowol „Uebertreibungen und gemeine Ausfälle", als bcwcislose Ver¬<lb/> dächtigungen von Personen, unwahre Datirungen seiner Aufsätze u. s. w. ange-<lb/> wendet habe. Solange er nur nicht als Geistlicher anch so predigt, hat niemand<lb/> ein Recht, ihm einen Vorwurf zu machen, wenn er sich mit dem Chorrock a»es<lb/> des lästigen Zwanges entledigt, den ihm seine Kirche auferlegt." Diese Meinung<lb/> können wir nmsomeniger theilen, als grade seit der geistlichen Wirksamkeit des<lb/> Herrn Weber in hiesiger Stadt jene Spaltungen zwischen Katholiken und Prote¬<lb/> stanten ins Leben getreten sind. Ueberall trat er als Soldat der Koelssio, rrMwns<lb/> in den Vorgrund und also ist zwischen dem Geistliche» und dem politischen Par¬<lb/> teimann keine Grenze zu ziehen. Ja, wenn man der allgemeinen Meinung eini¬<lb/> ges Gewicht beilegen darf, so hat dieser Mann gradezu die meiste Schuld an<lb/> jenem Hervordrängen der confessionellen Spaltungen. Freilich „predigt" er sie<lb/> nicht von der Kanzel. Aber in der katholischen Kirche ist die Predigt überhaupt<lb/> Nebensache und die Wirksamkeit des Geistlichen als Gewissensrath und Beicht¬<lb/> vater die Hauptsache.</p><lb/> <p xml:id="ID_907"> Es ist darum gewiß von großer Bedeutung, daß hier, wie anderwärts, das<lb/> starrkatholische Element mit dem blind reaktionären fast identisch genannt werden<lb/> muß. Und in gewisser Art ölige sich daran die Bemerkung, daß bei den Ur-<lb/> wähler zu der gesetzgebenden Versammlung (— bei welchen nach dem neuen Ge¬<lb/> setz die israelitischen Staatsbürger wahlfähig sind —) nicht nnr die starre Reaction<lb/> christlichen Stammes neben der extremen Demokratie, sondern auch die Mitglieder<lb/> der altglänbigen Judengemeinde sich der Abstimmung enthielten. So sinds aller¬<lb/> dings Minoritätswahleu geworden, aus denen die gesetzgebende Körperschaft, bis<lb/> auf die nen hiuzugewählten z Jsraeliten, in der unveränderten Gestalt ihrer vorigen<lb/> Zusammensetzung wieder hervorging. Anzufechten sind aber trotzdem die Wahlen<lb/> nicht, und ein hiesiges Blatt weist sogar nach, daß in A2 Jahren (—also auch<lb/> unter der Herrschaft jener Leute, die sich conservativ oder gar „Reformer"<lb/> nennen—) neunmal noch minder zahlreiche Minoritätswahlen stattgefunden haben.—<lb/> Daß wir noch nicht am Ende der Wirkungen in unserem Staatsleben ange¬<lb/> kommen sind, verhehlt sich niemand. Ebensowenig kann aber anch jemand<lb/> daran zweifeln, daß eine Intervention des Bundestags nnr denjenigen Principien<lb/> zugute kommen könnte, welche Südwestdeutschland immer mehr vom Gesamml-<lb/> dentschland loszutrennen und anßernationalen Einflüssen anheimzugeben streben.<lb/> Die Neutralität des Frankfurter Bodens würde bald aufhören und die Ver¬<lb/> tretungen deutscher, paritätischer, dem Fortschritt huldigender Interessen, konnten<lb/> bald nichts weiter sein, als vorläufig geduldete Gäste, Fremde, Untergeordnete.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0304]
eS Herrn Beda Weber nicht zum Vorwurfe machen, daß er in seinen „Charakter¬
bildern" sowol „Uebertreibungen und gemeine Ausfälle", als bcwcislose Ver¬
dächtigungen von Personen, unwahre Datirungen seiner Aufsätze u. s. w. ange-
wendet habe. Solange er nur nicht als Geistlicher anch so predigt, hat niemand
ein Recht, ihm einen Vorwurf zu machen, wenn er sich mit dem Chorrock a»es
des lästigen Zwanges entledigt, den ihm seine Kirche auferlegt." Diese Meinung
können wir nmsomeniger theilen, als grade seit der geistlichen Wirksamkeit des
Herrn Weber in hiesiger Stadt jene Spaltungen zwischen Katholiken und Prote¬
stanten ins Leben getreten sind. Ueberall trat er als Soldat der Koelssio, rrMwns
in den Vorgrund und also ist zwischen dem Geistliche» und dem politischen Par¬
teimann keine Grenze zu ziehen. Ja, wenn man der allgemeinen Meinung eini¬
ges Gewicht beilegen darf, so hat dieser Mann gradezu die meiste Schuld an
jenem Hervordrängen der confessionellen Spaltungen. Freilich „predigt" er sie
nicht von der Kanzel. Aber in der katholischen Kirche ist die Predigt überhaupt
Nebensache und die Wirksamkeit des Geistlichen als Gewissensrath und Beicht¬
vater die Hauptsache.
Es ist darum gewiß von großer Bedeutung, daß hier, wie anderwärts, das
starrkatholische Element mit dem blind reaktionären fast identisch genannt werden
muß. Und in gewisser Art ölige sich daran die Bemerkung, daß bei den Ur-
wähler zu der gesetzgebenden Versammlung (— bei welchen nach dem neuen Ge¬
setz die israelitischen Staatsbürger wahlfähig sind —) nicht nnr die starre Reaction
christlichen Stammes neben der extremen Demokratie, sondern auch die Mitglieder
der altglänbigen Judengemeinde sich der Abstimmung enthielten. So sinds aller¬
dings Minoritätswahleu geworden, aus denen die gesetzgebende Körperschaft, bis
auf die nen hiuzugewählten z Jsraeliten, in der unveränderten Gestalt ihrer vorigen
Zusammensetzung wieder hervorging. Anzufechten sind aber trotzdem die Wahlen
nicht, und ein hiesiges Blatt weist sogar nach, daß in A2 Jahren (—also auch
unter der Herrschaft jener Leute, die sich conservativ oder gar „Reformer"
nennen—) neunmal noch minder zahlreiche Minoritätswahlen stattgefunden haben.—
Daß wir noch nicht am Ende der Wirkungen in unserem Staatsleben ange¬
kommen sind, verhehlt sich niemand. Ebensowenig kann aber anch jemand
daran zweifeln, daß eine Intervention des Bundestags nnr denjenigen Principien
zugute kommen könnte, welche Südwestdeutschland immer mehr vom Gesamml-
dentschland loszutrennen und anßernationalen Einflüssen anheimzugeben streben.
Die Neutralität des Frankfurter Bodens würde bald aufhören und die Ver¬
tretungen deutscher, paritätischer, dem Fortschritt huldigender Interessen, konnten
bald nichts weiter sein, als vorläufig geduldete Gäste, Fremde, Untergeordnete.
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