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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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Nachgiebigkeit der Abcrdecnschen Politik zu leiden hätte, als die Gegenwart durch
eine zeitweilige Stockung des Absatzes im Falle eines Krieges. Wir meinen also,
daß sich die westliche Friedenspolitik sachte in die Nothwendigkeit des Krieges
hineinarbeitet und wir sind überzeugt, daß dem offenbaren Versuche von Paris und
London, die bloße Zuschauerschaft abzugeben, ein glänzendes Fiasco bevorstehe.

Die Gerechtigkeit müssen wir jedoch der svanzöstscheu Regierung widerfahren
lassen, sie scheint die Möglichkeit einer solchen Eventualität zum Bewußtsein sich
geführt zu haben, wenn wir anders nach verschiedenen, bis jetzt blos angekün¬
digten Maßregeln so urtheilen dürfen. Die Ersetzung de la Cours durch
einen französischen General und einige sonstige Militärmaßuahmen, die mir
von guter Quelle als im Werke begriffen angekündigt werden, deute" auf die Ge¬
faßtheit der srauzöstschen Regierung, es könne denn doch auch zum Schlage kom¬
men. Und hierbei wird sich die neue Lage Frankreichs seit dem zweiten Dezember
in entscheidender Weise geltend machen. Die Parteien in der Regierung oder,
um diesem Begriffe die erforderliche Ausdehnung zu lassen, im Hofe, haben inso¬
fern ein leichteres Spiel, als sie ohne Controle eines einflußreichen Parlaments
und eiuer freien Presse auf den Willen des Staatsoberhauptes wirken können.
Es darf daher bei Beurtheilung und Abschätzung zukünftiger Eventualitäten nicht
außer Acht gelassen werden, wie sich jetzt über Nacht alles anders gestalten könne.
Ich habe in meinem jüngsten Briefe angedeutet, mit welchen Plänen die Kriegs-
partei sich herumtrage, und so entschieden anch der Wille und die persönliche
Ansicht des Kaisers sein mögen, er kann sich vom Einflüsse seiner Umgebung doch
nicht fern halten. Noch muß bedacht werden, daß, sowie die Ereignisse im
Oriente bis zu einem gewissen Punkte gereift sind, derjenige der westlichen Groß-
staaten den andern ins Schlepptau nimmt, der zuerst eine entschiedene Politik
befolgt. Lord Aberdeen kann daher unsern Kriegslustigen nicht immer als Hinder¬
niß entgegengehalten werden. Es muß auch bald zur Entscheidung kommen.
Die Türkei, welche in der letzten Zeit nicht blos die würdigste Haltung eingenom¬
men, sondern zugleich auch die gesündeste Politik durchgeführt, fühlt dies. So
ungeheure Kraftanstrengungen wie die ihrigen lassen sich nicht auf lajige in dem¬
selben Grade erhalten, und die Pforte muß durch alle ihr zu Gebote stehenden
Mittel darauf hinarbeiten, das Hinausschieben der Entscheidung, wie es in Ru߬
lands Absicht liegen mag, unmöglich zu machen. Es ist nicht genug, das Banner
des Propheten zu entfalten, es muß rasch vorwärts getragen werden. Solange
die Begeisterung der Nation so groß ist wie jetzt, kann ein gefährlicher Angriff
nicht so verderbenbringend werden, anch im schlimmsten Falle nicht, als es das
allmälige Verglimmen des heiligen Feuers im Busen der Nation wäre. Hier¬
durch wird aber auch die Haltung der beiden westlichen Mächte sich bald ändern,
denn entweder ist die Türkei die Besiegte, und dann müssen England und Frank¬
reich Rußland die Zähne zeigen oder nöthigenfalls dreinschlagen, wenn sie sich


Nachgiebigkeit der Abcrdecnschen Politik zu leiden hätte, als die Gegenwart durch
eine zeitweilige Stockung des Absatzes im Falle eines Krieges. Wir meinen also,
daß sich die westliche Friedenspolitik sachte in die Nothwendigkeit des Krieges
hineinarbeitet und wir sind überzeugt, daß dem offenbaren Versuche von Paris und
London, die bloße Zuschauerschaft abzugeben, ein glänzendes Fiasco bevorstehe.

Die Gerechtigkeit müssen wir jedoch der svanzöstscheu Regierung widerfahren
lassen, sie scheint die Möglichkeit einer solchen Eventualität zum Bewußtsein sich
geführt zu haben, wenn wir anders nach verschiedenen, bis jetzt blos angekün¬
digten Maßregeln so urtheilen dürfen. Die Ersetzung de la Cours durch
einen französischen General und einige sonstige Militärmaßuahmen, die mir
von guter Quelle als im Werke begriffen angekündigt werden, deute» auf die Ge¬
faßtheit der srauzöstschen Regierung, es könne denn doch auch zum Schlage kom¬
men. Und hierbei wird sich die neue Lage Frankreichs seit dem zweiten Dezember
in entscheidender Weise geltend machen. Die Parteien in der Regierung oder,
um diesem Begriffe die erforderliche Ausdehnung zu lassen, im Hofe, haben inso¬
fern ein leichteres Spiel, als sie ohne Controle eines einflußreichen Parlaments
und eiuer freien Presse auf den Willen des Staatsoberhauptes wirken können.
Es darf daher bei Beurtheilung und Abschätzung zukünftiger Eventualitäten nicht
außer Acht gelassen werden, wie sich jetzt über Nacht alles anders gestalten könne.
Ich habe in meinem jüngsten Briefe angedeutet, mit welchen Plänen die Kriegs-
partei sich herumtrage, und so entschieden anch der Wille und die persönliche
Ansicht des Kaisers sein mögen, er kann sich vom Einflüsse seiner Umgebung doch
nicht fern halten. Noch muß bedacht werden, daß, sowie die Ereignisse im
Oriente bis zu einem gewissen Punkte gereift sind, derjenige der westlichen Groß-
staaten den andern ins Schlepptau nimmt, der zuerst eine entschiedene Politik
befolgt. Lord Aberdeen kann daher unsern Kriegslustigen nicht immer als Hinder¬
niß entgegengehalten werden. Es muß auch bald zur Entscheidung kommen.
Die Türkei, welche in der letzten Zeit nicht blos die würdigste Haltung eingenom¬
men, sondern zugleich auch die gesündeste Politik durchgeführt, fühlt dies. So
ungeheure Kraftanstrengungen wie die ihrigen lassen sich nicht auf lajige in dem¬
selben Grade erhalten, und die Pforte muß durch alle ihr zu Gebote stehenden
Mittel darauf hinarbeiten, das Hinausschieben der Entscheidung, wie es in Ru߬
lands Absicht liegen mag, unmöglich zu machen. Es ist nicht genug, das Banner
des Propheten zu entfalten, es muß rasch vorwärts getragen werden. Solange
die Begeisterung der Nation so groß ist wie jetzt, kann ein gefährlicher Angriff
nicht so verderbenbringend werden, anch im schlimmsten Falle nicht, als es das
allmälige Verglimmen des heiligen Feuers im Busen der Nation wäre. Hier¬
durch wird aber auch die Haltung der beiden westlichen Mächte sich bald ändern,
denn entweder ist die Türkei die Besiegte, und dann müssen England und Frank¬
reich Rußland die Zähne zeigen oder nöthigenfalls dreinschlagen, wenn sie sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/278>, abgerufen am 05.02.2025.