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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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betrachten, und daß vielmehr die beiden östlichen Mächte in Ermangelung einer
Flotte dnrch ihren diplomatischen Einfluß in Konstantinopel das Werk fortsetzen
helfen werden, das in Wien an der famosen vierspännigen Note verunglückt war.
Diese Fricdcusausficht wird noch durch die in Form einer Hoffnung ausgesprochene
Drohung verstärkt: es stehe zu erwarten, daß die durch den Mangel von Kriegs¬
schiffen hervorgerufene Neutralität Oestreichs und Preußens keiner sträflichen
Gleichgiltigkeit gleichkommen werde.

Soll diese Note irgend einen Verstand haben, so drückt sie, wenngleich ver¬
blümt, die Localisirnngshoffnung der Aberdeenschen Politik aus, und insofern muß
man allerdings dem Moniteur beistimmen, daß Frankreich und England eine ebenso
rührende als bewunderungswürdige Eintracht in der orientalischen Angelegenheit
an den Tag gelegt haben. Es kann uns daher auch nicht befremden, wenn Lord
Aberdeen bereit ist, die Königin zu einer förmlichen Einladung des Kaisers und
der Kaiserin nach London zu bewegen. Diese Note, sowie die eben ausgesprochene
Verlängerung der Parlamcntsvertagung sind nun allerdings geeignet, solchen Spe-
culanten und Politikern Muth einzuflößen, welche trotz der bis zur Evidenz er¬
wiesenen Untauglichkeit und Ohnmacht der europäischen Diplomatie noch immer
die Losung dieses großen Ereignisses von Paris und London ans erwarten. Wir
gehören nicht zu diesen gläubigen Seelen. Wir sind im Gegentheile fest über¬
zeugt, daß die Entscheidung nunmehr blos am Kriegsschauplatze selbst zu suchen
sei, und wir glauben ferner, daß auch die fernere Politik Englands und Frank¬
reichs von dem bedingt ist, was im Oriente geschieht. Lord Aberdeen und
Dronyn de Lhuys mögen wol heute noch hoffen, die Flotten werden nur Schild¬
wache zu stehen brauchen im Marmorameer oder in den Gewässern von Konstan¬
tinopel, die Ereignisse werden es anders erheischen. Die orientalische Angelegen¬
heit ist seit Menschikoffs Abreise eine chronische Krankheit geworden und hat als
solche ihre regelmäßige Entwicklung genommen. Trotz aller diplomatischen Me¬
dicamente konnte diese nicht verhindert werden, und England und Frankreich sahen
sich heute gezwungen, die Kriegserklärung, den Ausbruch des Krieges zu billigen,
nachdem sie" vergebens alles aufgeboten hatten, beides zu hintertreiben.

Der fernere Verlauf muß aller Wahrscheinlichkeitsberechnung nach ein ähn¬
licher sein. Man wird solange bewaffnete Diplomatie treiben, bis die Dinge so¬
weit gedeihen, daß die Diplomatie ganz über Bord fällt und nnr die Waffen
bleibe". England und Frankreich verwickeln sich allmälig in das uuauflösbare
Gewinde ihrer diplomatischen Fehlgriffe so fest, bis sie ohne Schwertstreich nicht
mehr herauskönnen. Die römischen Artikel der Times werden es nicht anders
gestalten, und zur Ehre des englischen Handels sei es gesagt, die City ist jetzt
weniger kriegschcu als ihr sonst getreues Organ. Die Times ist katholischer als
der Papst. Man fühlt es in England, im Lande besser als im Kreise seiner
Staatsmänner, daß die Zukunft des britischen Handels weit mehr von der feigen


betrachten, und daß vielmehr die beiden östlichen Mächte in Ermangelung einer
Flotte dnrch ihren diplomatischen Einfluß in Konstantinopel das Werk fortsetzen
helfen werden, das in Wien an der famosen vierspännigen Note verunglückt war.
Diese Fricdcusausficht wird noch durch die in Form einer Hoffnung ausgesprochene
Drohung verstärkt: es stehe zu erwarten, daß die durch den Mangel von Kriegs¬
schiffen hervorgerufene Neutralität Oestreichs und Preußens keiner sträflichen
Gleichgiltigkeit gleichkommen werde.

Soll diese Note irgend einen Verstand haben, so drückt sie, wenngleich ver¬
blümt, die Localisirnngshoffnung der Aberdeenschen Politik aus, und insofern muß
man allerdings dem Moniteur beistimmen, daß Frankreich und England eine ebenso
rührende als bewunderungswürdige Eintracht in der orientalischen Angelegenheit
an den Tag gelegt haben. Es kann uns daher auch nicht befremden, wenn Lord
Aberdeen bereit ist, die Königin zu einer förmlichen Einladung des Kaisers und
der Kaiserin nach London zu bewegen. Diese Note, sowie die eben ausgesprochene
Verlängerung der Parlamcntsvertagung sind nun allerdings geeignet, solchen Spe-
culanten und Politikern Muth einzuflößen, welche trotz der bis zur Evidenz er¬
wiesenen Untauglichkeit und Ohnmacht der europäischen Diplomatie noch immer
die Losung dieses großen Ereignisses von Paris und London ans erwarten. Wir
gehören nicht zu diesen gläubigen Seelen. Wir sind im Gegentheile fest über¬
zeugt, daß die Entscheidung nunmehr blos am Kriegsschauplatze selbst zu suchen
sei, und wir glauben ferner, daß auch die fernere Politik Englands und Frank¬
reichs von dem bedingt ist, was im Oriente geschieht. Lord Aberdeen und
Dronyn de Lhuys mögen wol heute noch hoffen, die Flotten werden nur Schild¬
wache zu stehen brauchen im Marmorameer oder in den Gewässern von Konstan¬
tinopel, die Ereignisse werden es anders erheischen. Die orientalische Angelegen¬
heit ist seit Menschikoffs Abreise eine chronische Krankheit geworden und hat als
solche ihre regelmäßige Entwicklung genommen. Trotz aller diplomatischen Me¬
dicamente konnte diese nicht verhindert werden, und England und Frankreich sahen
sich heute gezwungen, die Kriegserklärung, den Ausbruch des Krieges zu billigen,
nachdem sie» vergebens alles aufgeboten hatten, beides zu hintertreiben.

Der fernere Verlauf muß aller Wahrscheinlichkeitsberechnung nach ein ähn¬
licher sein. Man wird solange bewaffnete Diplomatie treiben, bis die Dinge so¬
weit gedeihen, daß die Diplomatie ganz über Bord fällt und nnr die Waffen
bleibe». England und Frankreich verwickeln sich allmälig in das uuauflösbare
Gewinde ihrer diplomatischen Fehlgriffe so fest, bis sie ohne Schwertstreich nicht
mehr herauskönnen. Die römischen Artikel der Times werden es nicht anders
gestalten, und zur Ehre des englischen Handels sei es gesagt, die City ist jetzt
weniger kriegschcu als ihr sonst getreues Organ. Die Times ist katholischer als
der Papst. Man fühlt es in England, im Lande besser als im Kreise seiner
Staatsmänner, daß die Zukunft des britischen Handels weit mehr von der feigen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/277>, abgerufen am 05.02.2025.