Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.Buch seinen Weg gebahnt, seine Resultate sind in den Organismus der Wissen¬ Nur auf diese Thatsache haben wir hier hinweisen wollen; fern aber soll es Das zweite Werk, dem wir die höchste Ehre anzuthun glauben, indem wir Buch seinen Weg gebahnt, seine Resultate sind in den Organismus der Wissen¬ Nur auf diese Thatsache haben wir hier hinweisen wollen; fern aber soll es Das zweite Werk, dem wir die höchste Ehre anzuthun glauben, indem wir <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0212" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/96917"/> <p xml:id="ID_574" prev="#ID_573"> Buch seinen Weg gebahnt, seine Resultate sind in den Organismus der Wissen¬<lb/> schaft eingedrungen, während es selbst als ein unvergängliches Zeugniß deutschen<lb/> Strebens fortbestehn wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_575"> Nur auf diese Thatsache haben wir hier hinweisen wollen; fern aber soll es<lb/> von uns liegen, in irgend einer Weise uns an eine Kritik wagen zu wollen, die<lb/> vor ein ganz anderes Forum gehört. —</p><lb/> <p xml:id="ID_576"> Das zweite Werk, dem wir die höchste Ehre anzuthun glauben, indem wir<lb/> es neben das Grimmsche stellen, steht dem Verständniß ungleich näher. Wir<lb/> kannten Heinrich Rückert, den Sohn des Dichters, bisher nur aus historische»<lb/> und deutschphilologischen Arbeiten von geringerem Umfang; sie zeichneten sich, so<lb/> namentlich seine compendiarische Geschichte des deutschen Volks, durch jene eigen¬<lb/> thümliche Mischung von Stolz und Bescheidenheit aus, die mau bei deutschen Ge¬<lb/> lehrten so häufig antrifft, und die uns so wohl ansteht: Stolz auf die solide Be¬<lb/> gründung der Kenntnisse, zaghafte Bescheidenheit in der Aufrichtung der Resul¬<lb/> tate. Der Ton der vorliegenden Schrift weicht wesentlich ab. Es ist in dersel¬<lb/> ben eine Unerschrockenheit der Combination und eine Zuversichtlichkeit des Ur¬<lb/> theils, die sür manche etwas schneidendes haben wird, an die man mehr bei<lb/> unsern Philosophen als bei unsern Historikern gewöhnt ist. Auf uns hat dieser<lb/> Ton einen sehr angenehmen Eindruck gemacht, denn wir lieben die feste männliche<lb/> Hand, die ihrer Geschicklichkeit in der Leitung des Zügels gewiß ist, und die kei¬<lb/> nen Augenblick zaudert und schwankt. Die Philosophie der Geschichte oder die<lb/> constructive Geschichtschreibung ist bei uns etwas in Verruf gekommen, weniger<lb/> ihres Inhalts als ihrer Form halber; denn wenn auch ihre Behauptungen häufig<lb/> eine überraschende, in die Augen springende Wahrheit hatten, so fühlte man doch<lb/> heraus, daß in der Motivirung derselben etwas Unangemessenes sei, daß man hi¬<lb/> storische Thatsachen unmöglich aus einer ideellen Dialektik herleiten könne. Das<lb/> wissenschaftliche Gewissen sträubte sich, Folgerungen anzuerkennen, die an und für<lb/> sich sehr annehmbar schienen, deren Beweisführung aber lückenhaft war. Aber es<lb/> gibt in der That eine Philosophie der Geschichte, eine Kunst, nach streng histo¬<lb/> rischem Gesetz ans genau bekannten Thatsachen auf Unbekanntes zu schließen,<lb/> und diese Kunst hat Herr Rückert auf eine Weise ausgeübt, die ihm nach unserer<lb/> Ueberzeugung eine sehr bedeutende Zukunft verspricht. Denn er verliert sich nir¬<lb/> gends in lustiges Räsonnement, er macht vielmehr überall zunächst den Eindruck<lb/> eines umfangreichen und tiefen Wissens, und das Gewebe der Thatsachen ist so<lb/> sest in einander gefügt, daß man hänfig die Kühnheit der Schlüsse gar nicht be¬<lb/> merkt. Wir wagen auch keineswegs zu behaupten, daß sich diese Construction in<lb/> allen einzelnen Punkten als stichhaltig bewähren wird, aber die Hauptzüge stehen<lb/> unerschütterlich fest,' und auf das Detail läßt sich wieder das schöne Wort I.<lb/> Grimms anwenden: „Wer nichts wagt, gewinnt nichts, und man darf mitten<lb/> unter dem Greisen nach der neuen Frucht auch den Muth des Fehlens haben."</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0212]
Buch seinen Weg gebahnt, seine Resultate sind in den Organismus der Wissen¬
schaft eingedrungen, während es selbst als ein unvergängliches Zeugniß deutschen
Strebens fortbestehn wird.
Nur auf diese Thatsache haben wir hier hinweisen wollen; fern aber soll es
von uns liegen, in irgend einer Weise uns an eine Kritik wagen zu wollen, die
vor ein ganz anderes Forum gehört. —
Das zweite Werk, dem wir die höchste Ehre anzuthun glauben, indem wir
es neben das Grimmsche stellen, steht dem Verständniß ungleich näher. Wir
kannten Heinrich Rückert, den Sohn des Dichters, bisher nur aus historische»
und deutschphilologischen Arbeiten von geringerem Umfang; sie zeichneten sich, so
namentlich seine compendiarische Geschichte des deutschen Volks, durch jene eigen¬
thümliche Mischung von Stolz und Bescheidenheit aus, die mau bei deutschen Ge¬
lehrten so häufig antrifft, und die uns so wohl ansteht: Stolz auf die solide Be¬
gründung der Kenntnisse, zaghafte Bescheidenheit in der Aufrichtung der Resul¬
tate. Der Ton der vorliegenden Schrift weicht wesentlich ab. Es ist in dersel¬
ben eine Unerschrockenheit der Combination und eine Zuversichtlichkeit des Ur¬
theils, die sür manche etwas schneidendes haben wird, an die man mehr bei
unsern Philosophen als bei unsern Historikern gewöhnt ist. Auf uns hat dieser
Ton einen sehr angenehmen Eindruck gemacht, denn wir lieben die feste männliche
Hand, die ihrer Geschicklichkeit in der Leitung des Zügels gewiß ist, und die kei¬
nen Augenblick zaudert und schwankt. Die Philosophie der Geschichte oder die
constructive Geschichtschreibung ist bei uns etwas in Verruf gekommen, weniger
ihres Inhalts als ihrer Form halber; denn wenn auch ihre Behauptungen häufig
eine überraschende, in die Augen springende Wahrheit hatten, so fühlte man doch
heraus, daß in der Motivirung derselben etwas Unangemessenes sei, daß man hi¬
storische Thatsachen unmöglich aus einer ideellen Dialektik herleiten könne. Das
wissenschaftliche Gewissen sträubte sich, Folgerungen anzuerkennen, die an und für
sich sehr annehmbar schienen, deren Beweisführung aber lückenhaft war. Aber es
gibt in der That eine Philosophie der Geschichte, eine Kunst, nach streng histo¬
rischem Gesetz ans genau bekannten Thatsachen auf Unbekanntes zu schließen,
und diese Kunst hat Herr Rückert auf eine Weise ausgeübt, die ihm nach unserer
Ueberzeugung eine sehr bedeutende Zukunft verspricht. Denn er verliert sich nir¬
gends in lustiges Räsonnement, er macht vielmehr überall zunächst den Eindruck
eines umfangreichen und tiefen Wissens, und das Gewebe der Thatsachen ist so
sest in einander gefügt, daß man hänfig die Kühnheit der Schlüsse gar nicht be¬
merkt. Wir wagen auch keineswegs zu behaupten, daß sich diese Construction in
allen einzelnen Punkten als stichhaltig bewähren wird, aber die Hauptzüge stehen
unerschütterlich fest,' und auf das Detail läßt sich wieder das schöne Wort I.
Grimms anwenden: „Wer nichts wagt, gewinnt nichts, und man darf mitten
unter dem Greisen nach der neuen Frucht auch den Muth des Fehlens haben."
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