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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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Realist kannte er keine andere Forderung als den jedesmaligen Nutzen; er war
ebensowenig für ideale und ritterliche Bestrebungen, als für irgend eine Grund¬
satz- oder Tcndenzpolitik. Er machte kein Hehl daraus, daß er den Friedens¬
schluß für das dringendste Bedürfniß hielt, und war ganz der Ansicht Dumouriers,
daß Preußen sich ans unverantwortliche Weise von Oestreich benutzen lasse und
sich für eine ihm fremde, Oestreich allein betreffende Sache in Kosten und Ge¬
fahren stecke, während Oestreich dazu eine Handvoll Leute stelle und in Osteuropa
gegen Preußen intriguire. Er stellte als Bedingungen des Friedens Herstellung
Ludwigs XVl. und Verzicht auf revolutionäre Eroberung, Aber Dumouriez
mußte ihm zu seinem Bedauern antworten, daß der Convent in seiner ersten
Sitzung das Königthum abgeschafft habe. Indeß das französische Ministerium!
wünschte eifrig den Separatfrieden mit Preußen und durch denselben die euro¬
päische Koalition zu spalten. Dumouriez stellte dem Obersten Manstein eine
neue Denkschrift zu, in welcher er die Trennung Preußens von Oestreich zum
alleinigen Thema nahm. Aber er hatte den Augenblick schlecht gewählt. Tags
zuvor war der Marquis Lucchesini, der die diplomatischen Geschäfte des Haupt¬
quartiers besorgte, nach längerer Abwesenheit wieder bei dem König eingetroffen
und hatte den Stand der Dinge vollkommen verwandelt. Er war Bischofswer¬
ders Schwager, aber mit Manstein nahe befreundet. Obgleich er wie dieser das
östreichische Bündniß als eine Thorheit betrachtete, fand er doch, daß sein mili¬
tärischer College höchst unbesonnen auf bodenlose Wege sich einlasse und daß
Dumouriez allem von der bisherigen Waffenruhe Vortheil ziehe, ohne bei der
damaligen Anarchie in Paris seine Versprechungen halten zu könne". Der König
erwiderte Dumouriez, daß er als den höchsten Grundsatz die Treue gegen seine
Bundesgenossen betrachte und gab dem Obersten Manstein, als dem ersten Be¬
treiber der Unterhandlung, sein kräftiges Mißfallen kund. Auch der Herzog von
Braunschweig wurde von dieser Ungnade mit betroffen und mußte ein neues Ma¬
nifest erlassen, in dem er alle früheren Drohungen den Franzosen wiederholte.
Eine Schlacht zu liefern, hielt jedoch auch Lucchesini nicht für gerathen.

Inzwischen kündigte Dumouriez seinen Angriff ans Belgien stets bedrohlicher
an, und die Kriegönoth wurde für Oestreich immer dringender. Das preußische
Heer setzte seinen Rückzug zunächst auf Luxemburg fort und der König wollte sich
zu einem zweiten Feldzug nur dann verpflichten, wenn Oestreich seine Ansprüche
auf Polen anerkenne. Der östreichische Bevollmächtigte, Spielmann, ging auf
diese Bedingungen ein, und die preußisch-französischen Unterhandlungen hörten
unter diesen Umständen gänzlich ans. "Der Rhein muß die Grenze unseres
Feldzugs sein, erklärte Dumouriez, von Genf bis Holland, vielleicht bis an das
Meer. Komme dann, was kommen kann: die europäische Revolution hat immer
einen mächtigen Fortschritt gemacht."

Dieser Revolution gegenüber dachten die alten Regierungen nicht mehr auf


Realist kannte er keine andere Forderung als den jedesmaligen Nutzen; er war
ebensowenig für ideale und ritterliche Bestrebungen, als für irgend eine Grund¬
satz- oder Tcndenzpolitik. Er machte kein Hehl daraus, daß er den Friedens¬
schluß für das dringendste Bedürfniß hielt, und war ganz der Ansicht Dumouriers,
daß Preußen sich ans unverantwortliche Weise von Oestreich benutzen lasse und
sich für eine ihm fremde, Oestreich allein betreffende Sache in Kosten und Ge¬
fahren stecke, während Oestreich dazu eine Handvoll Leute stelle und in Osteuropa
gegen Preußen intriguire. Er stellte als Bedingungen des Friedens Herstellung
Ludwigs XVl. und Verzicht auf revolutionäre Eroberung, Aber Dumouriez
mußte ihm zu seinem Bedauern antworten, daß der Convent in seiner ersten
Sitzung das Königthum abgeschafft habe. Indeß das französische Ministerium!
wünschte eifrig den Separatfrieden mit Preußen und durch denselben die euro¬
päische Koalition zu spalten. Dumouriez stellte dem Obersten Manstein eine
neue Denkschrift zu, in welcher er die Trennung Preußens von Oestreich zum
alleinigen Thema nahm. Aber er hatte den Augenblick schlecht gewählt. Tags
zuvor war der Marquis Lucchesini, der die diplomatischen Geschäfte des Haupt¬
quartiers besorgte, nach längerer Abwesenheit wieder bei dem König eingetroffen
und hatte den Stand der Dinge vollkommen verwandelt. Er war Bischofswer¬
ders Schwager, aber mit Manstein nahe befreundet. Obgleich er wie dieser das
östreichische Bündniß als eine Thorheit betrachtete, fand er doch, daß sein mili¬
tärischer College höchst unbesonnen auf bodenlose Wege sich einlasse und daß
Dumouriez allem von der bisherigen Waffenruhe Vortheil ziehe, ohne bei der
damaligen Anarchie in Paris seine Versprechungen halten zu könne». Der König
erwiderte Dumouriez, daß er als den höchsten Grundsatz die Treue gegen seine
Bundesgenossen betrachte und gab dem Obersten Manstein, als dem ersten Be¬
treiber der Unterhandlung, sein kräftiges Mißfallen kund. Auch der Herzog von
Braunschweig wurde von dieser Ungnade mit betroffen und mußte ein neues Ma¬
nifest erlassen, in dem er alle früheren Drohungen den Franzosen wiederholte.
Eine Schlacht zu liefern, hielt jedoch auch Lucchesini nicht für gerathen.

Inzwischen kündigte Dumouriez seinen Angriff ans Belgien stets bedrohlicher
an, und die Kriegönoth wurde für Oestreich immer dringender. Das preußische
Heer setzte seinen Rückzug zunächst auf Luxemburg fort und der König wollte sich
zu einem zweiten Feldzug nur dann verpflichten, wenn Oestreich seine Ansprüche
auf Polen anerkenne. Der östreichische Bevollmächtigte, Spielmann, ging auf
diese Bedingungen ein, und die preußisch-französischen Unterhandlungen hörten
unter diesen Umständen gänzlich ans. „Der Rhein muß die Grenze unseres
Feldzugs sein, erklärte Dumouriez, von Genf bis Holland, vielleicht bis an das
Meer. Komme dann, was kommen kann: die europäische Revolution hat immer
einen mächtigen Fortschritt gemacht."

Dieser Revolution gegenüber dachten die alten Regierungen nicht mehr auf


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[0178] Realist kannte er keine andere Forderung als den jedesmaligen Nutzen; er war ebensowenig für ideale und ritterliche Bestrebungen, als für irgend eine Grund¬ satz- oder Tcndenzpolitik. Er machte kein Hehl daraus, daß er den Friedens¬ schluß für das dringendste Bedürfniß hielt, und war ganz der Ansicht Dumouriers, daß Preußen sich ans unverantwortliche Weise von Oestreich benutzen lasse und sich für eine ihm fremde, Oestreich allein betreffende Sache in Kosten und Ge¬ fahren stecke, während Oestreich dazu eine Handvoll Leute stelle und in Osteuropa gegen Preußen intriguire. Er stellte als Bedingungen des Friedens Herstellung Ludwigs XVl. und Verzicht auf revolutionäre Eroberung, Aber Dumouriez mußte ihm zu seinem Bedauern antworten, daß der Convent in seiner ersten Sitzung das Königthum abgeschafft habe. Indeß das französische Ministerium! wünschte eifrig den Separatfrieden mit Preußen und durch denselben die euro¬ päische Koalition zu spalten. Dumouriez stellte dem Obersten Manstein eine neue Denkschrift zu, in welcher er die Trennung Preußens von Oestreich zum alleinigen Thema nahm. Aber er hatte den Augenblick schlecht gewählt. Tags zuvor war der Marquis Lucchesini, der die diplomatischen Geschäfte des Haupt¬ quartiers besorgte, nach längerer Abwesenheit wieder bei dem König eingetroffen und hatte den Stand der Dinge vollkommen verwandelt. Er war Bischofswer¬ ders Schwager, aber mit Manstein nahe befreundet. Obgleich er wie dieser das östreichische Bündniß als eine Thorheit betrachtete, fand er doch, daß sein mili¬ tärischer College höchst unbesonnen auf bodenlose Wege sich einlasse und daß Dumouriez allem von der bisherigen Waffenruhe Vortheil ziehe, ohne bei der damaligen Anarchie in Paris seine Versprechungen halten zu könne». Der König erwiderte Dumouriez, daß er als den höchsten Grundsatz die Treue gegen seine Bundesgenossen betrachte und gab dem Obersten Manstein, als dem ersten Be¬ treiber der Unterhandlung, sein kräftiges Mißfallen kund. Auch der Herzog von Braunschweig wurde von dieser Ungnade mit betroffen und mußte ein neues Ma¬ nifest erlassen, in dem er alle früheren Drohungen den Franzosen wiederholte. Eine Schlacht zu liefern, hielt jedoch auch Lucchesini nicht für gerathen. Inzwischen kündigte Dumouriez seinen Angriff ans Belgien stets bedrohlicher an, und die Kriegönoth wurde für Oestreich immer dringender. Das preußische Heer setzte seinen Rückzug zunächst auf Luxemburg fort und der König wollte sich zu einem zweiten Feldzug nur dann verpflichten, wenn Oestreich seine Ansprüche auf Polen anerkenne. Der östreichische Bevollmächtigte, Spielmann, ging auf diese Bedingungen ein, und die preußisch-französischen Unterhandlungen hörten unter diesen Umständen gänzlich ans. „Der Rhein muß die Grenze unseres Feldzugs sein, erklärte Dumouriez, von Genf bis Holland, vielleicht bis an das Meer. Komme dann, was kommen kann: die europäische Revolution hat immer einen mächtigen Fortschritt gemacht." Dieser Revolution gegenüber dachten die alten Regierungen nicht mehr auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/178>, abgerufen am 11.02.2025.