Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.Mitglieder der Bühne eine Sitte annehmen, die in der wirklichen Welt nicht stattfindet. Aber ein einzelner Schauspieler kann nicht für die Mängel einer einzelnen, ge¬ Wir wollen für heute von den großen Weltercignissen schwei¬ Mitglieder der Bühne eine Sitte annehmen, die in der wirklichen Welt nicht stattfindet. Aber ein einzelner Schauspieler kann nicht für die Mängel einer einzelnen, ge¬ Wir wollen für heute von den großen Weltercignissen schwei¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0159" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/96864"/> <p xml:id="ID_415" prev="#ID_414"> Mitglieder der Bühne eine Sitte annehmen, die in der wirklichen Welt nicht stattfindet.<lb/> Weder der gesittete Mann, noch der Bauer faßt ein Frauenzimmer immer bei der<lb/> Hand, noch weniger der Mann den Mann. Diese Gewohnheit kommt von der Ver-<lb/> legenheit, was man mit den Händen anfangen soll, diese Verlegenheit von dem Wahn,<lb/> daß die Hände immer in Bewegung sein müssen. Beobachtet man, während drei<lb/> Stunden, eine Gesellschaft von vierundzwanzig Personen, so wird man finden, daß die<lb/> gegenseitigen Hände nicht so oft berührt werden, als auf dem Theater unter vier Per¬<lb/> sonen in einer halben Stunde ze."</p><lb/> <p xml:id="ID_416"> Aber ein einzelner Schauspieler kann nicht für die Mängel einer einzelnen, ge¬<lb/> schweige der gesammten Bühne verantwortlich gemacht werden. Was ist von dem ein¬<lb/> zelnen Schauspieler zu erwarten, wenn die wenigsten mehr als auswendig lernen, wenn<lb/> kaum ordentliche Leseproben stattfinden und jeder zu eitel ist, sich für sein Spiel einer<lb/> Anweisung und Autorität zu unterwerfen, oder wenn diese Anweisung auch<lb/> ganz fehlt?</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> </head> <p xml:id="ID_417" next="#ID_418"> Wir wollen für heute von den großen Weltercignissen schwei¬<lb/> gen und nicht nach den Beschlüssen fragen, welche das Ministerium am 7. in dem Ca-<lb/> binetsrath (dem ersten vollständigen seit dem Beginn der Parlamcntsfcncn) gefaßt hat,<lb/> sondern ein kleines Geschichtchen aus den Polizeiannalen Englands erzählen. Vor den<lb/> vorigen Assisen in Glvcester ward ein Mann wegen Schwindelei und Betrug verur-<lb/> theilt, der sich für Sir Richard Smyth vou Ashtonconrt, das Haupt einer alten und<lb/> reichen Familie ausgab. Er wurde als ein gewisser Tom Provis von Warminster iden-<lb/> tificirt und demgemäß verurtheilt. Ein solches Resultat zu erlangen, erscheint einem<lb/> deutschen Polizeimann, der jedes armselige Menschenkind einregistrirt, numerirt, daguer-<lb/> reotipirt und unter beständiger Aufsicht hat, als eine Kleinigkeit, ist es aber nicht in<lb/> England, wo das polizeiliche Anmelden, die Anfenthaltskarten und andere unentbehrliche<lb/> Säulen der Gesellschaft noch nicht eingeführt sind, und wo es dem Verhörrichtcr nicht<lb/> gestattet ist, durch den sanften Zwang der Strafen wegen hartnäckigen LeugnenS den<lb/> Mangel an eigenem Scharfsinn zu ersetzen, wo es dem Angeklagten freisteht, jede Ant¬<lb/> wort zu verweigern, und wo es Sache des Gerichts ist, den Beweis der Schuld voll¬<lb/> ständig herbeizuschaffen. Als der angebliche Sir N. Smyth zuerst auftrat, wußte die<lb/> die Familie, deren Namen und Vermögen er beanspruchte, nicht das Mindeste von ihm;<lb/> sie wußte weder wer er war, »och was er war, oder wo er herkam; sie war daher ganz<lb/> wehrlos seinen Zudringlichkeiten ausgesetzt. Erst allmälig erfuhr sie, daß der Präten¬<lb/> dent sich für den Sprößling einer heimlichen Ehe ausgab und unter dem Namen Provis<lb/> erzogen sein wollte. Diese vereinzelte Thatsache war der einzige Anhaltpunkt, den der<lb/> Polizciinspector Field, der berühmte Detective oder Entdeckungspolizeicr., den die Fa¬<lb/> milie Smyth in ihre Dienste nahm, um den Betrüger zu entlarven, bei dem Beginn<lb/> seiner Nachforschungen hatte. Es kam vor allen Dingen darauf an, zu erfahren, ob<lb/> Provis wirklich ein Smyth sei, und wenn dies nicht der Fall sei, wer es war. Field<lb/> sah alle Adreßbücher Englands nach und fand darin eine große Menge Provis; aber<lb/> England ist ein großes Land, und er wußte anfangs gar nicht, wohin er sich wenden<lb/> sollte. Endlich gelang es ihm, zu erfahren, daß der angebliche Baronet seine Jugend</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0159]
Mitglieder der Bühne eine Sitte annehmen, die in der wirklichen Welt nicht stattfindet.
Weder der gesittete Mann, noch der Bauer faßt ein Frauenzimmer immer bei der
Hand, noch weniger der Mann den Mann. Diese Gewohnheit kommt von der Ver-
legenheit, was man mit den Händen anfangen soll, diese Verlegenheit von dem Wahn,
daß die Hände immer in Bewegung sein müssen. Beobachtet man, während drei
Stunden, eine Gesellschaft von vierundzwanzig Personen, so wird man finden, daß die
gegenseitigen Hände nicht so oft berührt werden, als auf dem Theater unter vier Per¬
sonen in einer halben Stunde ze."
Aber ein einzelner Schauspieler kann nicht für die Mängel einer einzelnen, ge¬
schweige der gesammten Bühne verantwortlich gemacht werden. Was ist von dem ein¬
zelnen Schauspieler zu erwarten, wenn die wenigsten mehr als auswendig lernen, wenn
kaum ordentliche Leseproben stattfinden und jeder zu eitel ist, sich für sein Spiel einer
Anweisung und Autorität zu unterwerfen, oder wenn diese Anweisung auch
ganz fehlt?
Wir wollen für heute von den großen Weltercignissen schwei¬
gen und nicht nach den Beschlüssen fragen, welche das Ministerium am 7. in dem Ca-
binetsrath (dem ersten vollständigen seit dem Beginn der Parlamcntsfcncn) gefaßt hat,
sondern ein kleines Geschichtchen aus den Polizeiannalen Englands erzählen. Vor den
vorigen Assisen in Glvcester ward ein Mann wegen Schwindelei und Betrug verur-
theilt, der sich für Sir Richard Smyth vou Ashtonconrt, das Haupt einer alten und
reichen Familie ausgab. Er wurde als ein gewisser Tom Provis von Warminster iden-
tificirt und demgemäß verurtheilt. Ein solches Resultat zu erlangen, erscheint einem
deutschen Polizeimann, der jedes armselige Menschenkind einregistrirt, numerirt, daguer-
reotipirt und unter beständiger Aufsicht hat, als eine Kleinigkeit, ist es aber nicht in
England, wo das polizeiliche Anmelden, die Anfenthaltskarten und andere unentbehrliche
Säulen der Gesellschaft noch nicht eingeführt sind, und wo es dem Verhörrichtcr nicht
gestattet ist, durch den sanften Zwang der Strafen wegen hartnäckigen LeugnenS den
Mangel an eigenem Scharfsinn zu ersetzen, wo es dem Angeklagten freisteht, jede Ant¬
wort zu verweigern, und wo es Sache des Gerichts ist, den Beweis der Schuld voll¬
ständig herbeizuschaffen. Als der angebliche Sir N. Smyth zuerst auftrat, wußte die
die Familie, deren Namen und Vermögen er beanspruchte, nicht das Mindeste von ihm;
sie wußte weder wer er war, »och was er war, oder wo er herkam; sie war daher ganz
wehrlos seinen Zudringlichkeiten ausgesetzt. Erst allmälig erfuhr sie, daß der Präten¬
dent sich für den Sprößling einer heimlichen Ehe ausgab und unter dem Namen Provis
erzogen sein wollte. Diese vereinzelte Thatsache war der einzige Anhaltpunkt, den der
Polizciinspector Field, der berühmte Detective oder Entdeckungspolizeicr., den die Fa¬
milie Smyth in ihre Dienste nahm, um den Betrüger zu entlarven, bei dem Beginn
seiner Nachforschungen hatte. Es kam vor allen Dingen darauf an, zu erfahren, ob
Provis wirklich ein Smyth sei, und wenn dies nicht der Fall sei, wer es war. Field
sah alle Adreßbücher Englands nach und fand darin eine große Menge Provis; aber
England ist ein großes Land, und er wußte anfangs gar nicht, wohin er sich wenden
sollte. Endlich gelang es ihm, zu erfahren, daß der angebliche Baronet seine Jugend
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |