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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.

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Verdacht, ein der vor 20 Jahren stattgehabten Ermordung des General Sucre
betheiligt zu sein; Obändo war Chef des Aufstandes von 18/.0; gegenwärtig ist
er der Erwählte, der Heros, die Hoffnung der demokratischen Gesellschaften, welche
von ihm die Verwirklichung aller socialistischen Versprechungen erwarten. Wenn
der General Obando ernannt sein wird, wird er nichts Anderes thun können, als
was schon jetzt in Neugranada geschieht. Er wird die Svcialistencomödie
verlängern, bis irgend ein Sturm Decorationen und Schauspieler zerschmettert;
er wird jenem Club von Gespenstern vorstehen, die sich Bürger nennen, welche
Mit den Worten "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" spielen, bis die Axt des
Indianers an ihre Thür schlägt oder eine Eroberung anderer Art sie von der
Barbarei errettet.

Gewiß bietet ein Land, das solchen Thorheiten sich hingibt, ein klägliches
Schauspiel. Der höchste Unsinn des Socialismus ist, daß er mit lächerlichen Na¬
men und künstlichen Agitationen die wirklichen Probleme verschleiert, die im Schoße
der neuen Welt sich erheben oder von außen sie bedrohe". Er ist die schreiendste
Fortsetzung jenes Knnstgriffs, der einen Reisenden ausrufen ließ: ,,Ju Amerika
sind die Namen civilistrt, die Sachen barbarisch." Die Verfassungsveränderungeu,
die politischen Revolutionen, die socialistischen Gesetzgebungen, obgleich Symptome
des Uebels, welches Südamerika durchwühlt, Heilen dasselbe nicht; sie vergrößern
es uur, indem sie es verkennen. Dieses Uebel ist der Mangel einer moralischen
Erziehung, eines moralischen Charakters bei diesen Stämmen, welche unablässig
zwischen barbarischen Eingebungen und intellectuellen Ausschweifungen schwanken.
ES ist die praktische Undichtigkeit gegenüber einer zu erobernden Welt und unend¬
lichen Elementen des Reichthums; es ist der Maugel einer Bevölkerung für -einen
unbegrenzten Boden. Südamerika hat bei Europa nicbt seine Theorien, seine
Systeme, seiue progressiven und socialen Gelüste zu suchen, sondern seine Missio¬
nare, seine Ingenieure, seine Arbeiter, seine Industrie, seine Capitale. -- Alles,
was in dem barbarischen Leben ein moralisches Licht eröffnet, die Gesellschaft
gründet, ein Stück Urwald lichtet, ein Stück Land mehr urbar macht, die Arbeit
entwickelt, eine Kraft ausmacht, kurz alles, was die Realität und Tüchtigkeit
der Civilisation schasst. Und was für Südamerika ein Bedürfniß, eine Noth¬
wendigkeit ist, würde für Europa eine wesentliche Erleichterung sein. Der Pau-
perismus und das Elend Europas würden in den ausgedehnten Laudgebieten,
welche die Amerikaner, mit unsinniger Leidenschaft die Excesse der französischen
Revolution nachahmend, unbebaut lassen, ein rasches und leichtes Hilfsmittel
finden. Während aber die amerikanischen Völker in politischem Fanatismus sich
berauschen und in müßigen, wenn nicht blutigen Revolutionen ihre Kräfte ver¬
geuden, ist bereits die angloamerikanische Macht gegen sie im Anzuge und läßt
sie nicht aus deu Augen.

Es ist eins der merkwürdigsten Schauspiele der Gegenwart, wie die cmglo-


Verdacht, ein der vor 20 Jahren stattgehabten Ermordung des General Sucre
betheiligt zu sein; Obändo war Chef des Aufstandes von 18/.0; gegenwärtig ist
er der Erwählte, der Heros, die Hoffnung der demokratischen Gesellschaften, welche
von ihm die Verwirklichung aller socialistischen Versprechungen erwarten. Wenn
der General Obando ernannt sein wird, wird er nichts Anderes thun können, als
was schon jetzt in Neugranada geschieht. Er wird die Svcialistencomödie
verlängern, bis irgend ein Sturm Decorationen und Schauspieler zerschmettert;
er wird jenem Club von Gespenstern vorstehen, die sich Bürger nennen, welche
Mit den Worten „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" spielen, bis die Axt des
Indianers an ihre Thür schlägt oder eine Eroberung anderer Art sie von der
Barbarei errettet.

Gewiß bietet ein Land, das solchen Thorheiten sich hingibt, ein klägliches
Schauspiel. Der höchste Unsinn des Socialismus ist, daß er mit lächerlichen Na¬
men und künstlichen Agitationen die wirklichen Probleme verschleiert, die im Schoße
der neuen Welt sich erheben oder von außen sie bedrohe». Er ist die schreiendste
Fortsetzung jenes Knnstgriffs, der einen Reisenden ausrufen ließ: ,,Ju Amerika
sind die Namen civilistrt, die Sachen barbarisch." Die Verfassungsveränderungeu,
die politischen Revolutionen, die socialistischen Gesetzgebungen, obgleich Symptome
des Uebels, welches Südamerika durchwühlt, Heilen dasselbe nicht; sie vergrößern
es uur, indem sie es verkennen. Dieses Uebel ist der Mangel einer moralischen
Erziehung, eines moralischen Charakters bei diesen Stämmen, welche unablässig
zwischen barbarischen Eingebungen und intellectuellen Ausschweifungen schwanken.
ES ist die praktische Undichtigkeit gegenüber einer zu erobernden Welt und unend¬
lichen Elementen des Reichthums; es ist der Maugel einer Bevölkerung für -einen
unbegrenzten Boden. Südamerika hat bei Europa nicbt seine Theorien, seine
Systeme, seiue progressiven und socialen Gelüste zu suchen, sondern seine Missio¬
nare, seine Ingenieure, seine Arbeiter, seine Industrie, seine Capitale. — Alles,
was in dem barbarischen Leben ein moralisches Licht eröffnet, die Gesellschaft
gründet, ein Stück Urwald lichtet, ein Stück Land mehr urbar macht, die Arbeit
entwickelt, eine Kraft ausmacht, kurz alles, was die Realität und Tüchtigkeit
der Civilisation schasst. Und was für Südamerika ein Bedürfniß, eine Noth¬
wendigkeit ist, würde für Europa eine wesentliche Erleichterung sein. Der Pau-
perismus und das Elend Europas würden in den ausgedehnten Laudgebieten,
welche die Amerikaner, mit unsinniger Leidenschaft die Excesse der französischen
Revolution nachahmend, unbebaut lassen, ein rasches und leichtes Hilfsmittel
finden. Während aber die amerikanischen Völker in politischem Fanatismus sich
berauschen und in müßigen, wenn nicht blutigen Revolutionen ihre Kräfte ver¬
geuden, ist bereits die angloamerikanische Macht gegen sie im Anzuge und läßt
sie nicht aus deu Augen.

Es ist eins der merkwürdigsten Schauspiele der Gegenwart, wie die cmglo-


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[0143] Verdacht, ein der vor 20 Jahren stattgehabten Ermordung des General Sucre betheiligt zu sein; Obändo war Chef des Aufstandes von 18/.0; gegenwärtig ist er der Erwählte, der Heros, die Hoffnung der demokratischen Gesellschaften, welche von ihm die Verwirklichung aller socialistischen Versprechungen erwarten. Wenn der General Obando ernannt sein wird, wird er nichts Anderes thun können, als was schon jetzt in Neugranada geschieht. Er wird die Svcialistencomödie verlängern, bis irgend ein Sturm Decorationen und Schauspieler zerschmettert; er wird jenem Club von Gespenstern vorstehen, die sich Bürger nennen, welche Mit den Worten „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" spielen, bis die Axt des Indianers an ihre Thür schlägt oder eine Eroberung anderer Art sie von der Barbarei errettet. Gewiß bietet ein Land, das solchen Thorheiten sich hingibt, ein klägliches Schauspiel. Der höchste Unsinn des Socialismus ist, daß er mit lächerlichen Na¬ men und künstlichen Agitationen die wirklichen Probleme verschleiert, die im Schoße der neuen Welt sich erheben oder von außen sie bedrohe». Er ist die schreiendste Fortsetzung jenes Knnstgriffs, der einen Reisenden ausrufen ließ: ,,Ju Amerika sind die Namen civilistrt, die Sachen barbarisch." Die Verfassungsveränderungeu, die politischen Revolutionen, die socialistischen Gesetzgebungen, obgleich Symptome des Uebels, welches Südamerika durchwühlt, Heilen dasselbe nicht; sie vergrößern es uur, indem sie es verkennen. Dieses Uebel ist der Mangel einer moralischen Erziehung, eines moralischen Charakters bei diesen Stämmen, welche unablässig zwischen barbarischen Eingebungen und intellectuellen Ausschweifungen schwanken. ES ist die praktische Undichtigkeit gegenüber einer zu erobernden Welt und unend¬ lichen Elementen des Reichthums; es ist der Maugel einer Bevölkerung für -einen unbegrenzten Boden. Südamerika hat bei Europa nicbt seine Theorien, seine Systeme, seiue progressiven und socialen Gelüste zu suchen, sondern seine Missio¬ nare, seine Ingenieure, seine Arbeiter, seine Industrie, seine Capitale. — Alles, was in dem barbarischen Leben ein moralisches Licht eröffnet, die Gesellschaft gründet, ein Stück Urwald lichtet, ein Stück Land mehr urbar macht, die Arbeit entwickelt, eine Kraft ausmacht, kurz alles, was die Realität und Tüchtigkeit der Civilisation schasst. Und was für Südamerika ein Bedürfniß, eine Noth¬ wendigkeit ist, würde für Europa eine wesentliche Erleichterung sein. Der Pau- perismus und das Elend Europas würden in den ausgedehnten Laudgebieten, welche die Amerikaner, mit unsinniger Leidenschaft die Excesse der französischen Revolution nachahmend, unbebaut lassen, ein rasches und leichtes Hilfsmittel finden. Während aber die amerikanischen Völker in politischem Fanatismus sich berauschen und in müßigen, wenn nicht blutigen Revolutionen ihre Kräfte ver¬ geuden, ist bereits die angloamerikanische Macht gegen sie im Anzuge und läßt sie nicht aus deu Augen. Es ist eins der merkwürdigsten Schauspiele der Gegenwart, wie die cmglo-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96706/143>, abgerufen am 06.02.2025.