Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. II. Band.Berlioz hat den Götheschen Faust übersetzt oder sich übersetzen lassen; natür¬ Doch dies ist el" äußerlicher Mißgriff, der leicht beseitigt werden kann, aber Unter den "Bildern des ersten Acts" ist das erste folgendermaßen im Pro¬ "Die Ebenen von Ungarn.. Faust beim Aufgang der Sonne. Zug der Die Ebenen von Ungarn nebst dem Sonnenaufgang werden in einer Jn- Berlioz hat den Götheschen Faust übersetzt oder sich übersetzen lassen; natür¬ Doch dies ist el» äußerlicher Mißgriff, der leicht beseitigt werden kann, aber Unter den „Bildern des ersten Acts" ist das erste folgendermaßen im Pro¬ „Die Ebenen von Ungarn.. Faust beim Aufgang der Sonne. Zug der Die Ebenen von Ungarn nebst dem Sonnenaufgang werden in einer Jn- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0130" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/96835"/> <p xml:id="ID_342"> Berlioz hat den Götheschen Faust übersetzt oder sich übersetzen lassen; natür¬<lb/> lich paßt seine Composition nicht auf die ursprünglichen Worte, allein es ist nicht<lb/> geschickt, daß er für seine Aufführungen einen rückübersetzten deutschen Text hat<lb/> unterlegen lassen. Mau kaun ihm nicht zumuthen zu empfinden, wie einem Deutschen<lb/> zu Muthe ist bei dieser fortgesetzten Verballhornisirung, durch welche man immer<lb/> noch die 6isisLl.l msmdrir xoetao erkennt, und die selbst eine sehr vorzügliche<lb/> Musik nicht würde zur Geltung kommen lassen. Viel besser wäre der französische<lb/> Text; wer ihn nicht versteht, den stört er doch nicht wie der deutsche.</p><lb/> <p xml:id="ID_343"> Doch dies ist el» äußerlicher Mißgriff, der leicht beseitigt werden kann, aber<lb/> wahrhaft entsetzlich ist die Weise, wie Berlioz sich aus den Elementen des Göthe¬<lb/> schen Gedichts seineu Text arrangirt hat. Er hat nicht etwa aus einzelnen Scenen<lb/> versetzt, sondern das Ganze ans seinen Fugen gelöst und jede einzelne Partikel<lb/> als gute Prise angebracht, wo er glaubte, daß sie Effect machen könnte, und mit<lb/> den heterogensten Dingen vermischt. Bei einem so totalen Mangel an Sinn und<lb/> Verständniß für ein Kunstwerk als Ganzes ist natürlich an eine künstlerische Auf¬<lb/> fassung und einheitliche Gestaltung bei der musikalischen Reproduction nicht zu<lb/> denken, und mau resignirt sich von vornherein auf Einzelnheiten, die etwa ge¬<lb/> lungen sein möchten.</p><lb/> <p xml:id="ID_344"> Unter den „Bildern des ersten Acts" ist das erste folgendermaßen im Pro¬<lb/> gramm bezeichnet:</p><lb/> <quote> „Die Ebenen von Ungarn.. Faust beim Aufgang der Sonne. Zug der<lb/> Landleute. Chor. Recitativ und ungarischer Marsch."</quote><lb/> <p xml:id="ID_345" next="#ID_346"> Die Ebenen von Ungarn nebst dem Sonnenaufgang werden in einer Jn-<lb/> strnmental-Einleitung geschildert; die folgende Situation ist ungefähr die des Spa-<lb/> zierganges mit Wagner. „Befreit vom Eis sind Strom und Bäche" fängt Fausts<lb/> Recitativ an und der Chor der Landleute ist das Lied: „Der Schäfer putzte sich<lb/> zum Tanz" — Alles in Ungarn. Warum? — Warum nicht? Wozu hat Faust<lb/> seinen Zaubermantel, wenn ihn Berlioz nicht auch nach Ungarn versetzen sollte,<lb/> wenn es ihm grade paßt? Und es paßt ihm, weil der Ragoczimarsch ein unga¬<lb/> rischer Marsch ist, von großer Wirkung und durch Liszt populär gemacht. Aber<lb/> Liszt hat doch »ur zehn Geiger zu seiner Disposition und Berlioz das ganze Or¬<lb/> chester, also muß Faust deu Ragoczimarsch in Ungarn hören, um dann zu erklären,<lb/> daß auch diese kriegerischen Töne ihn seinem Trübsinn nicht entreißen können.<lb/> Allerdings bewährt sich das Talent Berlioz', zu fremden Gedanken wirksame Or-<lb/> chestereffecte zu finden, anch hier und der reich und originell instrumeutirte Marsch<lb/> klingt sehr gut, aber ist es eines Künstlers würdig um eines so äußerlichen Effets<lb/> willen ein Kunstwerk zu zerstöre»? Wozu habe» wir denn Wachparaden? Minde¬<lb/> stens sollte ma» erwarten, daß der nationale Ton auch in der ganzen Scene fest¬<lb/> gehalten werde, aber das kann man freilich nicht mit der Jnstrumentation allein.<lb/> Vielleicht gelingt es anderen, i» der Introduction die Chorographie der ungarischen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0130]
Berlioz hat den Götheschen Faust übersetzt oder sich übersetzen lassen; natür¬
lich paßt seine Composition nicht auf die ursprünglichen Worte, allein es ist nicht
geschickt, daß er für seine Aufführungen einen rückübersetzten deutschen Text hat
unterlegen lassen. Mau kaun ihm nicht zumuthen zu empfinden, wie einem Deutschen
zu Muthe ist bei dieser fortgesetzten Verballhornisirung, durch welche man immer
noch die 6isisLl.l msmdrir xoetao erkennt, und die selbst eine sehr vorzügliche
Musik nicht würde zur Geltung kommen lassen. Viel besser wäre der französische
Text; wer ihn nicht versteht, den stört er doch nicht wie der deutsche.
Doch dies ist el» äußerlicher Mißgriff, der leicht beseitigt werden kann, aber
wahrhaft entsetzlich ist die Weise, wie Berlioz sich aus den Elementen des Göthe¬
schen Gedichts seineu Text arrangirt hat. Er hat nicht etwa aus einzelnen Scenen
versetzt, sondern das Ganze ans seinen Fugen gelöst und jede einzelne Partikel
als gute Prise angebracht, wo er glaubte, daß sie Effect machen könnte, und mit
den heterogensten Dingen vermischt. Bei einem so totalen Mangel an Sinn und
Verständniß für ein Kunstwerk als Ganzes ist natürlich an eine künstlerische Auf¬
fassung und einheitliche Gestaltung bei der musikalischen Reproduction nicht zu
denken, und mau resignirt sich von vornherein auf Einzelnheiten, die etwa ge¬
lungen sein möchten.
Unter den „Bildern des ersten Acts" ist das erste folgendermaßen im Pro¬
gramm bezeichnet:
„Die Ebenen von Ungarn.. Faust beim Aufgang der Sonne. Zug der
Landleute. Chor. Recitativ und ungarischer Marsch."
Die Ebenen von Ungarn nebst dem Sonnenaufgang werden in einer Jn-
strnmental-Einleitung geschildert; die folgende Situation ist ungefähr die des Spa-
zierganges mit Wagner. „Befreit vom Eis sind Strom und Bäche" fängt Fausts
Recitativ an und der Chor der Landleute ist das Lied: „Der Schäfer putzte sich
zum Tanz" — Alles in Ungarn. Warum? — Warum nicht? Wozu hat Faust
seinen Zaubermantel, wenn ihn Berlioz nicht auch nach Ungarn versetzen sollte,
wenn es ihm grade paßt? Und es paßt ihm, weil der Ragoczimarsch ein unga¬
rischer Marsch ist, von großer Wirkung und durch Liszt populär gemacht. Aber
Liszt hat doch »ur zehn Geiger zu seiner Disposition und Berlioz das ganze Or¬
chester, also muß Faust deu Ragoczimarsch in Ungarn hören, um dann zu erklären,
daß auch diese kriegerischen Töne ihn seinem Trübsinn nicht entreißen können.
Allerdings bewährt sich das Talent Berlioz', zu fremden Gedanken wirksame Or-
chestereffecte zu finden, anch hier und der reich und originell instrumeutirte Marsch
klingt sehr gut, aber ist es eines Künstlers würdig um eines so äußerlichen Effets
willen ein Kunstwerk zu zerstöre»? Wozu habe» wir denn Wachparaden? Minde¬
stens sollte ma» erwarten, daß der nationale Ton auch in der ganzen Scene fest¬
gehalten werde, aber das kann man freilich nicht mit der Jnstrumentation allein.
Vielleicht gelingt es anderen, i» der Introduction die Chorographie der ungarischen
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