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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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ten, ihren Zauber geltend auch auf die glaubenslosesten Kinder des Jahrhunderts.
Vielleicht scheint die von Vauban erbaute Citadelle dem Sachverständigen noch mehr
der Betrachtung werth -- aber wohlthuender für Gefühl und Auge bleibt das
alte Gotteshaus, mit dem Frieden in seineu Gängen und Kapellen, dem Weih¬
rauchduft, dem Kerzenglanz, den Trostsnchenden und Dankbringenden, die hier zu
jeder Stunde aus- und eingehen; und wenn wir die dämmernden Hallen verlassen,
ist unser erstes Ausathmen in der warmen bewegten Abendluft fast wie ein'
Seufzen.

Indessen ist die Zeit des Spazierganges gekommen, und die feine Welt
wendet sich nach den Allees maritimes, die auf der einen Seite von kleinen rein¬
lichen Häusern, ans der andern von dem Quai begrenzt sind, der den Hafen
umschließt. Gegenüber liegt die Vorstadt Se. Esprit von der Citadelle überragt,
an ihrem Fuße zieht sich die Schiffswerst hin, wo Zimmerleute, Theersieder,
Seiler und Schmiede geschäftig sind.

Im Hafen liegen größtentheils Handelsfahrzenge vor Anker. Von hier aus
werden Eisen und Bauholz aus den Pyrenäen nach Spanien geführt, von dort
Wolle und Cordnan gebracht; die Bayonner Schinken nach andern französischen
Häfen, und Weine und Chocolade nach dem Norden Europas transportirt. Der
Wallfischfang ist seit der Revolution von den hiesigen Küstenbewohnern aufgegeben,
aber Thunfisch, Kabeljau und Sardine geben reichlichen Gewinn. Die Seeleute
dieser Gegend sind als Matrosen ebenso gesucht wie die aus der Bretagne; sie
ziehen gern soweit als möglich in die Welt hinaus, und es ist noch keiner heim¬
gekehrt, der nicht von ganz besonderen Nachstellungen des Teufels und ganz
besonderer Hilfe irgend eines Heiligen oder gar der Mutter Gottes zu erzählen
wüßte. Die Gallertmeere und Seeschlangen der Phönizier sind Kleinigkeiten
neben den Fährlichkeiten und Ungeheuern, die im Kopfe des biscayischen See¬
manns entstehen. Die Farben, womit er seine Geschichte ausmalt, sind auf das
kühnste gemischt, und die Flüche,, womit er alle Zweifel niederschmettert, zeugen
von unglaublicher Kraft und Gewandtheit im Gebrauch der Sprache. Aber auch
liebenswürdig müssen sie sein können, diese wilden Meeressöhue, wenigstens sieht
man sie oft mit den hübschesten Mädchen am Arme, und dann drängen sie sich
lachend zwischen die salonfähigen Spaziergänger, als wollten sie die zarteren,
bleicheren Schönheiten zum Wettstreit fordern.

Unter der Beau-monde begegnen wir hier den verschiedensten Nationalitäten:
der graziösen Französin am Arme ihres lebhaft sprechenden und gesticulirenden
Landsmannes, der Spanierin mit den langsameren Bewegungen, der stolzem
Haltung, dem glühenderen Auge; dem Spanier, der einherschreitet, als wäre er
noch der Beherrscher beider Hemisphären; dem Engländer, den ein wunderliches
Gemisch von Unruhe, Langweile und Mißtrauen selten zur rechten Reiselust
kommen läßt; dem Polen und Deutschen, die verwandtes Unglück in die Fremde


ten, ihren Zauber geltend auch auf die glaubenslosesten Kinder des Jahrhunderts.
Vielleicht scheint die von Vauban erbaute Citadelle dem Sachverständigen noch mehr
der Betrachtung werth — aber wohlthuender für Gefühl und Auge bleibt das
alte Gotteshaus, mit dem Frieden in seineu Gängen und Kapellen, dem Weih¬
rauchduft, dem Kerzenglanz, den Trostsnchenden und Dankbringenden, die hier zu
jeder Stunde aus- und eingehen; und wenn wir die dämmernden Hallen verlassen,
ist unser erstes Ausathmen in der warmen bewegten Abendluft fast wie ein'
Seufzen.

Indessen ist die Zeit des Spazierganges gekommen, und die feine Welt
wendet sich nach den Allees maritimes, die auf der einen Seite von kleinen rein¬
lichen Häusern, ans der andern von dem Quai begrenzt sind, der den Hafen
umschließt. Gegenüber liegt die Vorstadt Se. Esprit von der Citadelle überragt,
an ihrem Fuße zieht sich die Schiffswerst hin, wo Zimmerleute, Theersieder,
Seiler und Schmiede geschäftig sind.

Im Hafen liegen größtentheils Handelsfahrzenge vor Anker. Von hier aus
werden Eisen und Bauholz aus den Pyrenäen nach Spanien geführt, von dort
Wolle und Cordnan gebracht; die Bayonner Schinken nach andern französischen
Häfen, und Weine und Chocolade nach dem Norden Europas transportirt. Der
Wallfischfang ist seit der Revolution von den hiesigen Küstenbewohnern aufgegeben,
aber Thunfisch, Kabeljau und Sardine geben reichlichen Gewinn. Die Seeleute
dieser Gegend sind als Matrosen ebenso gesucht wie die aus der Bretagne; sie
ziehen gern soweit als möglich in die Welt hinaus, und es ist noch keiner heim¬
gekehrt, der nicht von ganz besonderen Nachstellungen des Teufels und ganz
besonderer Hilfe irgend eines Heiligen oder gar der Mutter Gottes zu erzählen
wüßte. Die Gallertmeere und Seeschlangen der Phönizier sind Kleinigkeiten
neben den Fährlichkeiten und Ungeheuern, die im Kopfe des biscayischen See¬
manns entstehen. Die Farben, womit er seine Geschichte ausmalt, sind auf das
kühnste gemischt, und die Flüche,, womit er alle Zweifel niederschmettert, zeugen
von unglaublicher Kraft und Gewandtheit im Gebrauch der Sprache. Aber auch
liebenswürdig müssen sie sein können, diese wilden Meeressöhue, wenigstens sieht
man sie oft mit den hübschesten Mädchen am Arme, und dann drängen sie sich
lachend zwischen die salonfähigen Spaziergänger, als wollten sie die zarteren,
bleicheren Schönheiten zum Wettstreit fordern.

Unter der Beau-monde begegnen wir hier den verschiedensten Nationalitäten:
der graziösen Französin am Arme ihres lebhaft sprechenden und gesticulirenden
Landsmannes, der Spanierin mit den langsameren Bewegungen, der stolzem
Haltung, dem glühenderen Auge; dem Spanier, der einherschreitet, als wäre er
noch der Beherrscher beider Hemisphären; dem Engländer, den ein wunderliches
Gemisch von Unruhe, Langweile und Mißtrauen selten zur rechten Reiselust
kommen läßt; dem Polen und Deutschen, die verwandtes Unglück in die Fremde


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/61>, abgerufen am 01.07.2024.