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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Kopf, und während er sie, dem Wirthshause zu, ein sich vorbei defiliren läßt,
nennt er sie zärtlich beim Namen: die wilde Lota, die braune Zacca, die lustige
Malta, die störrige Nossa, jede wird der Obhut eines besonderen l Heiligen
und schließlich der des Stallknechts empfohlen. Bald nachher erscheint an der
Ecke des Platzes eine vornehme Cavalcade, den Morgenrill in die Berge an¬
zutreten. Es sind Engländer, die als Frankreichs Gäste um alles nicht be¬
leidigt werden dürfen. Aber während man sie ungehindert ihren Weg verfolgen
läßt, ballt sich manche Faust und manche Lippe murmelt einen Fluch. Der
Spanier besonders schaut grimmig drein, er kann den Fall der Festung Font-
arabie nicht vergessen.

Aber wie durch Zauberschlag sind die Blicke erheitert. Eine schlanke weiße
Baskin mit großen Augen und lang herabhängenden Zöpfen kommt mit den
Männern ihres Dorfes durch das Gedränge. Alles wendet sich ihr zu -- alles
grüßt mit den bewundernden Worten: ,,dörn> dero^o!" (sehr schön!) und eine
Stimme beginnt das Lied des Langued'oc:


"?s la bHas bsi'v kullo
"1s Is, dHas höre> modi'o."

Wörtlich: "Mögest Du sie sehn als schönes Mädchen,
Mögest Du sie sehn als schöne Braut."


Die Baskin erröthet, aber mit niedergeschlagnen Augen und stolzer Haltung
geht sie weiter ohne zu danken.

An der nächsten Ecke haben Matrosen und Soldaten gewürfelt, sie gerathen
in Streit und die Umstehenden nehmen Partei. Die blauen Barrels, wie die
Basken ihrer Kopfbedeckung wegen genannt werden, schaaren sich um die See¬
leute. Die braunen Barrels eilen den Soldaten zu Hilfe, Mädchen, Frauen und
Gassenbuben thun das Mögliche durch Geschrei und Spott. Nun fliegen die
wunderbarsten Schimpfworte hin und wieder, alle Heiligen werden angerufen und
alle höllischen Mächte aufgeboten, um die "verdammten Seehunde" zu verschlingen.
Die Basken erwidern mit Lachen, Frankreich wäre seit ewiger Zeit "16 äomame
ein cliiMö" und er brauche sich nicht die Mühe zu geben, einzelne aus der
Masse aufzusuchen. Jetzt aber wirds erst recht schlimm. Die ewige Seligkeit
läßt sich der Bearner nicht ohne weiteres absprechen. Die schweren Stöcke der
Landleute sausen durch die Luft, der Baste fängt die drohende Waffe mit der
Hand auf und sucht sie dem Gegner zu entreißen -- hier und da blinken die
Messer und das blitzende Auge vervollständigt die Worte, die der Mund nur
abgebrochen ausstößt. Schreiend laufen die Kinder davon, heulend stürzen die
Weiber ins Gedränge, ihre Lieblinge zu retten; die Gendarmen eilen fluchend
herbei, aber man hört sie nicht und schimpft und schlägt nach Herzenslust darauf
los.-- Aber plötzlich fährt alles auseinander, die Muskeln erschlaffen, die kräftigen
Gestalten beugen sich, die glühenden Stirnen senken sich zu Boden. Ein Priester


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Kopf, und während er sie, dem Wirthshause zu, ein sich vorbei defiliren läßt,
nennt er sie zärtlich beim Namen: die wilde Lota, die braune Zacca, die lustige
Malta, die störrige Nossa, jede wird der Obhut eines besonderen l Heiligen
und schließlich der des Stallknechts empfohlen. Bald nachher erscheint an der
Ecke des Platzes eine vornehme Cavalcade, den Morgenrill in die Berge an¬
zutreten. Es sind Engländer, die als Frankreichs Gäste um alles nicht be¬
leidigt werden dürfen. Aber während man sie ungehindert ihren Weg verfolgen
läßt, ballt sich manche Faust und manche Lippe murmelt einen Fluch. Der
Spanier besonders schaut grimmig drein, er kann den Fall der Festung Font-
arabie nicht vergessen.

Aber wie durch Zauberschlag sind die Blicke erheitert. Eine schlanke weiße
Baskin mit großen Augen und lang herabhängenden Zöpfen kommt mit den
Männern ihres Dorfes durch das Gedränge. Alles wendet sich ihr zu — alles
grüßt mit den bewundernden Worten: ,,dörn> dero^o!" (sehr schön!) und eine
Stimme beginnt das Lied des Langued'oc:


„?s la bHas bsi'v kullo
„1s Is, dHas höre> modi'o."

Wörtlich: „Mögest Du sie sehn als schönes Mädchen,
Mögest Du sie sehn als schöne Braut."


Die Baskin erröthet, aber mit niedergeschlagnen Augen und stolzer Haltung
geht sie weiter ohne zu danken.

An der nächsten Ecke haben Matrosen und Soldaten gewürfelt, sie gerathen
in Streit und die Umstehenden nehmen Partei. Die blauen Barrels, wie die
Basken ihrer Kopfbedeckung wegen genannt werden, schaaren sich um die See¬
leute. Die braunen Barrels eilen den Soldaten zu Hilfe, Mädchen, Frauen und
Gassenbuben thun das Mögliche durch Geschrei und Spott. Nun fliegen die
wunderbarsten Schimpfworte hin und wieder, alle Heiligen werden angerufen und
alle höllischen Mächte aufgeboten, um die „verdammten Seehunde" zu verschlingen.
Die Basken erwidern mit Lachen, Frankreich wäre seit ewiger Zeit „16 äomame
ein cliiMö" und er brauche sich nicht die Mühe zu geben, einzelne aus der
Masse aufzusuchen. Jetzt aber wirds erst recht schlimm. Die ewige Seligkeit
läßt sich der Bearner nicht ohne weiteres absprechen. Die schweren Stöcke der
Landleute sausen durch die Luft, der Baste fängt die drohende Waffe mit der
Hand auf und sucht sie dem Gegner zu entreißen — hier und da blinken die
Messer und das blitzende Auge vervollständigt die Worte, die der Mund nur
abgebrochen ausstößt. Schreiend laufen die Kinder davon, heulend stürzen die
Weiber ins Gedränge, ihre Lieblinge zu retten; die Gendarmen eilen fluchend
herbei, aber man hört sie nicht und schimpft und schlägt nach Herzenslust darauf
los.— Aber plötzlich fährt alles auseinander, die Muskeln erschlaffen, die kräftigen
Gestalten beugen sich, die glühenden Stirnen senken sich zu Boden. Ein Priester


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/59>, abgerufen am 22.07.2024.