Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

gegen die Franzosen drohend die Spitze unsers Degens zu wenden. Sicher ist
das Bild, welches die französische Nation im gegenwärtigen Augenblick darstellt,
kein erfreuliches, obgleich wir daran zweifeln möchten, daß unsere Machthaber
von denselben Gesichtspunkten zu ihrer Antipathie getrieben werden, wie wir, da
sowol der Staatsstreich, als die absolutistische Verwaltung unter den Federn, die
unserm Ministerium dienstbar sind, die eifrigsten Vertheidiger fanden. In jener
Zeit der Krisis, wo man jeden Augenblick gewärtigen möchte, der neue Kaiser
werde, um deu Gährungöstoffen seines Landes einen Ableiter zu geben, zunächst
seine Nachbarn bedrohen, war es allerdings weise, alle diejenigen Elemente wie¬
der zusammenzusuchen, die den Sturz des ersten Napoleon herbeigeführt hatten;
aber gegenwärtig ist die Lage der Dinge eine andere. Durch die orientalische
Frage ist Europa in zwei Heerlager getheilt, und England ist der eifrige Ver¬
bündete Louis Napoleons geworden. Wenn uns auch Privatbeziehnngen und
Sympathien in den Ideen in dieser Frage dem russischen Reich näherten, und
uns von einer vermittelnden Politik, die unsern Interessen näher gelegen hätte,
zurückhielte", so können wir uns doch sicher der Empfindung nicht erwehren, daß
Rußlands immer weiter gehende Fortschritte an der Donan auch uns zum Unheil
gereichen müssen, und in eiuer solchen Lage das Ehrgefühl des französischen Volks
ohne Noth herauszufordern, scheint uns ein unbedachter Entschloß zu sein. Frei¬
lich haben wir es nur mit Demonstrationen zu thun, aber solche Demonstrationen
wirken häufig verletzender, als reale politische Thatsachen. Wenn auch alle Welt
davon überzeugt sein mag, daß trotz der immer schwieriger werdenden Verwicke¬
lungen die orientalische Frage zu einer friedlichen Lösung kommeu wird, weil die
Westmächte uicht deu Muth haben, Rußland den Handschuh hinzuwerfen, so kaun
doch einerseits niemand dafür bürgen, daß nicht durch einen unvorhergesehenen
Zufall das Verhängniß sich geltend macht und die Parteien selbst wider ihren
Willen ins Feld ruft, andererseits ist in jedem Fall die Lösung nnr eine proviso¬
rische, und die Schwierigkeiten der Frage werden dadurch uur noch vergrößert werden.
Während es also hier Preußens Ausgabe wäre, eine Einigung zwischen den West¬
mächten und Oestreich herbeizuführen, damit an der festen und geschlossenen Hal¬
tung der europäischen Mächte der Strom der slavischen Eroberung sich breche,
beeifern wir uns, die Kluft nur uoch tiefer zu machen.

Freilich lag eine derartige Wendung in den Absichten der dvctrinären Partei,
die sich seit der Revolution an die Spitze unsers Adels gestellt hat; allein wir
hatten gemeint, daß unsere Regierung in dieser Beziehung nicht Hand in Hand
mit ihr ginge. Daß hier in der That verschiedene Velleitäten obwalteten, wird
niemand verkennen, und die immer wieder von neuem auftauchenden Gerüchte, daß
die Partei der Kreuzzeitung endlich ihre Zeit gekommen glaube, daß sie bereit sei,
selbstständig das Ruder zu ergreife", während sie bisher nnr ans dem Verborgenen
aus die Haltung unsers Staatsschiffes Einfluß ausgeübt, werden wieder lebhast be-


gegen die Franzosen drohend die Spitze unsers Degens zu wenden. Sicher ist
das Bild, welches die französische Nation im gegenwärtigen Augenblick darstellt,
kein erfreuliches, obgleich wir daran zweifeln möchten, daß unsere Machthaber
von denselben Gesichtspunkten zu ihrer Antipathie getrieben werden, wie wir, da
sowol der Staatsstreich, als die absolutistische Verwaltung unter den Federn, die
unserm Ministerium dienstbar sind, die eifrigsten Vertheidiger fanden. In jener
Zeit der Krisis, wo man jeden Augenblick gewärtigen möchte, der neue Kaiser
werde, um deu Gährungöstoffen seines Landes einen Ableiter zu geben, zunächst
seine Nachbarn bedrohen, war es allerdings weise, alle diejenigen Elemente wie¬
der zusammenzusuchen, die den Sturz des ersten Napoleon herbeigeführt hatten;
aber gegenwärtig ist die Lage der Dinge eine andere. Durch die orientalische
Frage ist Europa in zwei Heerlager getheilt, und England ist der eifrige Ver¬
bündete Louis Napoleons geworden. Wenn uns auch Privatbeziehnngen und
Sympathien in den Ideen in dieser Frage dem russischen Reich näherten, und
uns von einer vermittelnden Politik, die unsern Interessen näher gelegen hätte,
zurückhielte», so können wir uns doch sicher der Empfindung nicht erwehren, daß
Rußlands immer weiter gehende Fortschritte an der Donan auch uns zum Unheil
gereichen müssen, und in eiuer solchen Lage das Ehrgefühl des französischen Volks
ohne Noth herauszufordern, scheint uns ein unbedachter Entschloß zu sein. Frei¬
lich haben wir es nur mit Demonstrationen zu thun, aber solche Demonstrationen
wirken häufig verletzender, als reale politische Thatsachen. Wenn auch alle Welt
davon überzeugt sein mag, daß trotz der immer schwieriger werdenden Verwicke¬
lungen die orientalische Frage zu einer friedlichen Lösung kommeu wird, weil die
Westmächte uicht deu Muth haben, Rußland den Handschuh hinzuwerfen, so kaun
doch einerseits niemand dafür bürgen, daß nicht durch einen unvorhergesehenen
Zufall das Verhängniß sich geltend macht und die Parteien selbst wider ihren
Willen ins Feld ruft, andererseits ist in jedem Fall die Lösung nnr eine proviso¬
rische, und die Schwierigkeiten der Frage werden dadurch uur noch vergrößert werden.
Während es also hier Preußens Ausgabe wäre, eine Einigung zwischen den West¬
mächten und Oestreich herbeizuführen, damit an der festen und geschlossenen Hal¬
tung der europäischen Mächte der Strom der slavischen Eroberung sich breche,
beeifern wir uns, die Kluft nur uoch tiefer zu machen.

Freilich lag eine derartige Wendung in den Absichten der dvctrinären Partei,
die sich seit der Revolution an die Spitze unsers Adels gestellt hat; allein wir
hatten gemeint, daß unsere Regierung in dieser Beziehung nicht Hand in Hand
mit ihr ginge. Daß hier in der That verschiedene Velleitäten obwalteten, wird
niemand verkennen, und die immer wieder von neuem auftauchenden Gerüchte, daß
die Partei der Kreuzzeitung endlich ihre Zeit gekommen glaube, daß sie bereit sei,
selbstständig das Ruder zu ergreife», während sie bisher nnr ans dem Verborgenen
aus die Haltung unsers Staatsschiffes Einfluß ausgeübt, werden wieder lebhast be-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0504" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/96679"/>
          <p xml:id="ID_1758" prev="#ID_1757"> gegen die Franzosen drohend die Spitze unsers Degens zu wenden. Sicher ist<lb/>
das Bild, welches die französische Nation im gegenwärtigen Augenblick darstellt,<lb/>
kein erfreuliches, obgleich wir daran zweifeln möchten, daß unsere Machthaber<lb/>
von denselben Gesichtspunkten zu ihrer Antipathie getrieben werden, wie wir, da<lb/>
sowol der Staatsstreich, als die absolutistische Verwaltung unter den Federn, die<lb/>
unserm Ministerium dienstbar sind, die eifrigsten Vertheidiger fanden. In jener<lb/>
Zeit der Krisis, wo man jeden Augenblick gewärtigen möchte, der neue Kaiser<lb/>
werde, um deu Gährungöstoffen seines Landes einen Ableiter zu geben, zunächst<lb/>
seine Nachbarn bedrohen, war es allerdings weise, alle diejenigen Elemente wie¬<lb/>
der zusammenzusuchen, die den Sturz des ersten Napoleon herbeigeführt hatten;<lb/>
aber gegenwärtig ist die Lage der Dinge eine andere. Durch die orientalische<lb/>
Frage ist Europa in zwei Heerlager getheilt, und England ist der eifrige Ver¬<lb/>
bündete Louis Napoleons geworden. Wenn uns auch Privatbeziehnngen und<lb/>
Sympathien in den Ideen in dieser Frage dem russischen Reich näherten, und<lb/>
uns von einer vermittelnden Politik, die unsern Interessen näher gelegen hätte,<lb/>
zurückhielte», so können wir uns doch sicher der Empfindung nicht erwehren, daß<lb/>
Rußlands immer weiter gehende Fortschritte an der Donan auch uns zum Unheil<lb/>
gereichen müssen, und in eiuer solchen Lage das Ehrgefühl des französischen Volks<lb/>
ohne Noth herauszufordern, scheint uns ein unbedachter Entschloß zu sein. Frei¬<lb/>
lich haben wir es nur mit Demonstrationen zu thun, aber solche Demonstrationen<lb/>
wirken häufig verletzender, als reale politische Thatsachen. Wenn auch alle Welt<lb/>
davon überzeugt sein mag, daß trotz der immer schwieriger werdenden Verwicke¬<lb/>
lungen die orientalische Frage zu einer friedlichen Lösung kommeu wird, weil die<lb/>
Westmächte uicht deu Muth haben, Rußland den Handschuh hinzuwerfen, so kaun<lb/>
doch einerseits niemand dafür bürgen, daß nicht durch einen unvorhergesehenen<lb/>
Zufall das Verhängniß sich geltend macht und die Parteien selbst wider ihren<lb/>
Willen ins Feld ruft, andererseits ist in jedem Fall die Lösung nnr eine proviso¬<lb/>
rische, und die Schwierigkeiten der Frage werden dadurch uur noch vergrößert werden.<lb/>
Während es also hier Preußens Ausgabe wäre, eine Einigung zwischen den West¬<lb/>
mächten und Oestreich herbeizuführen, damit an der festen und geschlossenen Hal¬<lb/>
tung der europäischen Mächte der Strom der slavischen Eroberung sich breche,<lb/>
beeifern wir uns, die Kluft nur uoch tiefer zu machen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1759" next="#ID_1760"> Freilich lag eine derartige Wendung in den Absichten der dvctrinären Partei,<lb/>
die sich seit der Revolution an die Spitze unsers Adels gestellt hat; allein wir<lb/>
hatten gemeint, daß unsere Regierung in dieser Beziehung nicht Hand in Hand<lb/>
mit ihr ginge. Daß hier in der That verschiedene Velleitäten obwalteten, wird<lb/>
niemand verkennen, und die immer wieder von neuem auftauchenden Gerüchte, daß<lb/>
die Partei der Kreuzzeitung endlich ihre Zeit gekommen glaube, daß sie bereit sei,<lb/>
selbstständig das Ruder zu ergreife», während sie bisher nnr ans dem Verborgenen<lb/>
aus die Haltung unsers Staatsschiffes Einfluß ausgeübt, werden wieder lebhast be-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0504] gegen die Franzosen drohend die Spitze unsers Degens zu wenden. Sicher ist das Bild, welches die französische Nation im gegenwärtigen Augenblick darstellt, kein erfreuliches, obgleich wir daran zweifeln möchten, daß unsere Machthaber von denselben Gesichtspunkten zu ihrer Antipathie getrieben werden, wie wir, da sowol der Staatsstreich, als die absolutistische Verwaltung unter den Federn, die unserm Ministerium dienstbar sind, die eifrigsten Vertheidiger fanden. In jener Zeit der Krisis, wo man jeden Augenblick gewärtigen möchte, der neue Kaiser werde, um deu Gährungöstoffen seines Landes einen Ableiter zu geben, zunächst seine Nachbarn bedrohen, war es allerdings weise, alle diejenigen Elemente wie¬ der zusammenzusuchen, die den Sturz des ersten Napoleon herbeigeführt hatten; aber gegenwärtig ist die Lage der Dinge eine andere. Durch die orientalische Frage ist Europa in zwei Heerlager getheilt, und England ist der eifrige Ver¬ bündete Louis Napoleons geworden. Wenn uns auch Privatbeziehnngen und Sympathien in den Ideen in dieser Frage dem russischen Reich näherten, und uns von einer vermittelnden Politik, die unsern Interessen näher gelegen hätte, zurückhielte», so können wir uns doch sicher der Empfindung nicht erwehren, daß Rußlands immer weiter gehende Fortschritte an der Donan auch uns zum Unheil gereichen müssen, und in eiuer solchen Lage das Ehrgefühl des französischen Volks ohne Noth herauszufordern, scheint uns ein unbedachter Entschloß zu sein. Frei¬ lich haben wir es nur mit Demonstrationen zu thun, aber solche Demonstrationen wirken häufig verletzender, als reale politische Thatsachen. Wenn auch alle Welt davon überzeugt sein mag, daß trotz der immer schwieriger werdenden Verwicke¬ lungen die orientalische Frage zu einer friedlichen Lösung kommeu wird, weil die Westmächte uicht deu Muth haben, Rußland den Handschuh hinzuwerfen, so kaun doch einerseits niemand dafür bürgen, daß nicht durch einen unvorhergesehenen Zufall das Verhängniß sich geltend macht und die Parteien selbst wider ihren Willen ins Feld ruft, andererseits ist in jedem Fall die Lösung nnr eine proviso¬ rische, und die Schwierigkeiten der Frage werden dadurch uur noch vergrößert werden. Während es also hier Preußens Ausgabe wäre, eine Einigung zwischen den West¬ mächten und Oestreich herbeizuführen, damit an der festen und geschlossenen Hal¬ tung der europäischen Mächte der Strom der slavischen Eroberung sich breche, beeifern wir uns, die Kluft nur uoch tiefer zu machen. Freilich lag eine derartige Wendung in den Absichten der dvctrinären Partei, die sich seit der Revolution an die Spitze unsers Adels gestellt hat; allein wir hatten gemeint, daß unsere Regierung in dieser Beziehung nicht Hand in Hand mit ihr ginge. Daß hier in der That verschiedene Velleitäten obwalteten, wird niemand verkennen, und die immer wieder von neuem auftauchenden Gerüchte, daß die Partei der Kreuzzeitung endlich ihre Zeit gekommen glaube, daß sie bereit sei, selbstständig das Ruder zu ergreife», während sie bisher nnr ans dem Verborgenen aus die Haltung unsers Staatsschiffes Einfluß ausgeübt, werden wieder lebhast be-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/504
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/504>, abgerufen am 03.07.2024.