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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Ob mau, wenn abermals ein Jahrhundert verflossen, sich noch um die Sage, ihre
Bearbeiter und Sammler kümmert, wer kann darüber urtheilen? Wie vieles von
dem, was wir heute thun und treiben und worin wir uns wunderwie wichtig dün¬
ken, wird dann noch bekannt und beachtet sein? Es ist dies kein Grund, die
Hände thatenlos sinken und der Väter Erbe zertrümmert zu lassen. Die Sage
ist es endlich, welche eine Landschaft poetisch zu verklären weiß; gewinnt aber
die eintönigste, nüchternste Gegend dadurch schon Leben und Interesse, daß große,
schöne Erinnerungen an ihr haften, wie viel mehr wird dies der Fall sein, wo
sich, wie am Main, mit den Nachklängen der Sage und Geschichte die mannig-
faltigsten Schönheiten der Natur vereinigt haben?" --

Der Herausgeber der "Erinnerungen an Platen" sagt ausdrücklich, daß die¬
selben nicht sowol für das größere Publicum, als für die besondern Freunde und
Verehrer des Dichters bestimmt seien. Von diesem Standpunkte aus wollen wir
sie denn auch empfehlen. Für die allgemeine Literatur haben sie keinen Werth.
Die mitgetheilte" Jugendgedichte sind sehr unbedeutend, und über Platens Leben
und Entwickelungsgang erfahren wir auch nichts wesentlich Neues. Daß er mit
Schelling und Schubert auf einem vertrauten Fuße stand, und daß diese beiden
geistvollen Männer sein Dichtertalent sehr hoch schätzten, hat weder zu seiner Bil¬
dung wesentlich beigetragen, noch kann es unser Urtheil bestimmen. Interessanter
waren uns einige Notizen über die Förderung, die ihm G. Schwab hat zu Theil
werden lassen, da wir diesen gemüthvollen Dichter auch schon bei Lenau in liebe¬
voll theilnehmender Thätigkeit sahen. --

Unter den neuern Gedichten, über die wir diesmal unsern kurzen Bericht ab¬
zustatten haben, sind viele recht gute, und zwar fast in jeder der von uns ange¬
führten Sammlungen. Die Soldatenbilder sind lebhaft und anschaulich erzählt, ohne
Prätensionen und in einem guten Sinn geschrieben. Die Gedichte von Delius
erinnern auffallend an Platen, dessen Einfluß auch wol maßgebend gewesen ist.
Die Formen sind sehr rein, zierlich und elegant. Der Inhalt ist durchaus unbe¬
deutend, nicht blos was die Empfindungen betrifft, sondern auch in Beziehung
auf die Gedanken. Die Gedichte von Reinhold stehen viel höher. Zwar ist in
der großen Anzahl derselben nicht alles zur gleichmäßigen Vollendung gebracht,
manches ist ziemlich unbedeutend und hätte bequem wegbleiben können, aber beim
Durchblättern stößt man hänfig auf eine schöne Melodie, eine gesunde klare Em¬
pfindung und ein anschauliches Bild. Der Verfasser, der blos seinen Vornamen
genannt hat, ist übrigens ein bekannter und hochgeachteter Jurist. Auch in den
Körnern," sowie in dem "Frühling" finden wir einige recht hübsche, wohlklin¬
gende Lieder. Leider hat der Verfasser der letztern sich zu dem verkehrten Unter¬
nehmen verleiten lassen, in diesen Gedichten eine neue Orthographie einführen zu
wollen, die sie den meisten Lesern ungenießbar machen wird. --

Die "poetischen Kleinigkeiten" sind Uebersetzungen aus verschiedenen französi-


Ob mau, wenn abermals ein Jahrhundert verflossen, sich noch um die Sage, ihre
Bearbeiter und Sammler kümmert, wer kann darüber urtheilen? Wie vieles von
dem, was wir heute thun und treiben und worin wir uns wunderwie wichtig dün¬
ken, wird dann noch bekannt und beachtet sein? Es ist dies kein Grund, die
Hände thatenlos sinken und der Väter Erbe zertrümmert zu lassen. Die Sage
ist es endlich, welche eine Landschaft poetisch zu verklären weiß; gewinnt aber
die eintönigste, nüchternste Gegend dadurch schon Leben und Interesse, daß große,
schöne Erinnerungen an ihr haften, wie viel mehr wird dies der Fall sein, wo
sich, wie am Main, mit den Nachklängen der Sage und Geschichte die mannig-
faltigsten Schönheiten der Natur vereinigt haben?" —

Der Herausgeber der „Erinnerungen an Platen" sagt ausdrücklich, daß die¬
selben nicht sowol für das größere Publicum, als für die besondern Freunde und
Verehrer des Dichters bestimmt seien. Von diesem Standpunkte aus wollen wir
sie denn auch empfehlen. Für die allgemeine Literatur haben sie keinen Werth.
Die mitgetheilte« Jugendgedichte sind sehr unbedeutend, und über Platens Leben
und Entwickelungsgang erfahren wir auch nichts wesentlich Neues. Daß er mit
Schelling und Schubert auf einem vertrauten Fuße stand, und daß diese beiden
geistvollen Männer sein Dichtertalent sehr hoch schätzten, hat weder zu seiner Bil¬
dung wesentlich beigetragen, noch kann es unser Urtheil bestimmen. Interessanter
waren uns einige Notizen über die Förderung, die ihm G. Schwab hat zu Theil
werden lassen, da wir diesen gemüthvollen Dichter auch schon bei Lenau in liebe¬
voll theilnehmender Thätigkeit sahen. —

Unter den neuern Gedichten, über die wir diesmal unsern kurzen Bericht ab¬
zustatten haben, sind viele recht gute, und zwar fast in jeder der von uns ange¬
führten Sammlungen. Die Soldatenbilder sind lebhaft und anschaulich erzählt, ohne
Prätensionen und in einem guten Sinn geschrieben. Die Gedichte von Delius
erinnern auffallend an Platen, dessen Einfluß auch wol maßgebend gewesen ist.
Die Formen sind sehr rein, zierlich und elegant. Der Inhalt ist durchaus unbe¬
deutend, nicht blos was die Empfindungen betrifft, sondern auch in Beziehung
auf die Gedanken. Die Gedichte von Reinhold stehen viel höher. Zwar ist in
der großen Anzahl derselben nicht alles zur gleichmäßigen Vollendung gebracht,
manches ist ziemlich unbedeutend und hätte bequem wegbleiben können, aber beim
Durchblättern stößt man hänfig auf eine schöne Melodie, eine gesunde klare Em¬
pfindung und ein anschauliches Bild. Der Verfasser, der blos seinen Vornamen
genannt hat, ist übrigens ein bekannter und hochgeachteter Jurist. Auch in den
Körnern," sowie in dem „Frühling" finden wir einige recht hübsche, wohlklin¬
gende Lieder. Leider hat der Verfasser der letztern sich zu dem verkehrten Unter¬
nehmen verleiten lassen, in diesen Gedichten eine neue Orthographie einführen zu
wollen, die sie den meisten Lesern ungenießbar machen wird. —

Die „poetischen Kleinigkeiten" sind Uebersetzungen aus verschiedenen französi-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/500>, abgerufen am 01.07.2024.