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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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so wäre jetzt die Stunde gekommen, in der, wie ehedem die fränkisch-napoleonische
Obergewalt von dem vereinten Europa, die russische Zarenübcrmacht zer¬
brochen werden würde. Und wer ohne Befangenheit ist, mag sich die Frage
vorlegen: ob es noch einen andern Ausweg gibt, und, ob früher oder später,
man nicht endlich zu dieser Entschließung herantreten müssen wird? Der Ueber¬
zeugung wolle man aber Raum gönnen: daß eS nie wieder in so günstiger, glück¬
getragener Stunde geschehen könne, wie eben jetzt. Man darf es dreist behaup¬
ten! niemals wieder findet Europa Rußland so schwach, wie in diesem Augenblick.

Unter deu hiesigen Diplomaten hat, gleich bei seinem ersten Auftreten, Herr
von Brück einen hervorragenden Platz eingenommen. Die Anwesenheit dieses
Mannes am hiesigen Orte und namentlich in der heutigen Stunde wird für die
deutschen Interessen im Orient möglicherweise Epoche machend sein. Wenn
irgend einem die klare Uebersicht alles dessen innewohnt, was Oestreich und
das gesammte Deutschland hier zu erreichen vermögen, so ist er es. Seine
schwungvolle GeisteSuatur war nothwendig, um die grandiose Idee einer bis zur
Mündung geregelten nud von allen Naturhindernissen befreiten Douauschiffahrt
wiederum auf das Feld praktischer Erwägung zu trage". Ein anderes Mal von
seinem Kaualprojecte zwischen Czernawoda und Küstendsche. Ich werde auch
dann Gelegenheit finden, seine Ideen über deutsche Colonisation der enropäischen
Türkei, soweit sie bekannt wurden, wie überhaupt die Stellung, welche Oestreich
zu der Zukunft dieses gewaltigen Ländercomplexes einnimmt, zu erörtern.

Das Project der großen Stambul-Belgrad-Eisenbahn, welches dnrch mich
vielfach schon berichtet worden ist, scheint nunmehr zur Ausführung reif zu sein.
Die Unternehmer nehmen indeß eine ziemlich ausschließende Stellung ein, und
es ist fraglich, ob andere als hier seßhafte Kaufleute und Kapitalisten sich werden
betheiligen können. Außerdem sind die Actien sehr hoch gestellt; man redet
von 100,000 Piastern für eine jede. Nach anderen Angaben wäre es noch mehr.
Die specnlationösüchtigen Armenier sind eben damit beschäftigt, Grundstücke längs
der projectirte" Eisenbahn, natürlich zu wahren Schleuderpreisen, an sich zu brin¬
gen. Dieses bemerke ich ausdrücklich, um die deutsche Speculation ans ein aus¬
nehmend ergiebiges Feld aufmerksam zu machen.

Was die Bauausführung der Bahn selber angeht, so wird es einige Schwie¬
rigkeiten haben, die benöthigte Anzahl von Arbeitern herbeizuschaffen. Außerdem
steht der Tagelohn, auch im Innern des Landes, höher, als man bei den obwal¬
tenden Umständen erwarten sollte. Vorschub wird dagegen die große Billigkeit
des Holzes gebe", denn solange das Ausfuhrverbot besteht, wird, Rußland aus-
genommen und etwa die Vereinigten Staaten, der Unterbau (Schwellen) der
Bahnen nirgends billiger wie hier herzustellen sein.

Zu den Stadtneuigkeitcn gehört der Tod von Rasis Pascha. Wie man
wissen will, wurde er mit Kaffee vergiftet.


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so wäre jetzt die Stunde gekommen, in der, wie ehedem die fränkisch-napoleonische
Obergewalt von dem vereinten Europa, die russische Zarenübcrmacht zer¬
brochen werden würde. Und wer ohne Befangenheit ist, mag sich die Frage
vorlegen: ob es noch einen andern Ausweg gibt, und, ob früher oder später,
man nicht endlich zu dieser Entschließung herantreten müssen wird? Der Ueber¬
zeugung wolle man aber Raum gönnen: daß eS nie wieder in so günstiger, glück¬
getragener Stunde geschehen könne, wie eben jetzt. Man darf es dreist behaup¬
ten! niemals wieder findet Europa Rußland so schwach, wie in diesem Augenblick.

Unter deu hiesigen Diplomaten hat, gleich bei seinem ersten Auftreten, Herr
von Brück einen hervorragenden Platz eingenommen. Die Anwesenheit dieses
Mannes am hiesigen Orte und namentlich in der heutigen Stunde wird für die
deutschen Interessen im Orient möglicherweise Epoche machend sein. Wenn
irgend einem die klare Uebersicht alles dessen innewohnt, was Oestreich und
das gesammte Deutschland hier zu erreichen vermögen, so ist er es. Seine
schwungvolle GeisteSuatur war nothwendig, um die grandiose Idee einer bis zur
Mündung geregelten nud von allen Naturhindernissen befreiten Douauschiffahrt
wiederum auf das Feld praktischer Erwägung zu trage». Ein anderes Mal von
seinem Kaualprojecte zwischen Czernawoda und Küstendsche. Ich werde auch
dann Gelegenheit finden, seine Ideen über deutsche Colonisation der enropäischen
Türkei, soweit sie bekannt wurden, wie überhaupt die Stellung, welche Oestreich
zu der Zukunft dieses gewaltigen Ländercomplexes einnimmt, zu erörtern.

Das Project der großen Stambul-Belgrad-Eisenbahn, welches dnrch mich
vielfach schon berichtet worden ist, scheint nunmehr zur Ausführung reif zu sein.
Die Unternehmer nehmen indeß eine ziemlich ausschließende Stellung ein, und
es ist fraglich, ob andere als hier seßhafte Kaufleute und Kapitalisten sich werden
betheiligen können. Außerdem sind die Actien sehr hoch gestellt; man redet
von 100,000 Piastern für eine jede. Nach anderen Angaben wäre es noch mehr.
Die specnlationösüchtigen Armenier sind eben damit beschäftigt, Grundstücke längs
der projectirte» Eisenbahn, natürlich zu wahren Schleuderpreisen, an sich zu brin¬
gen. Dieses bemerke ich ausdrücklich, um die deutsche Speculation ans ein aus¬
nehmend ergiebiges Feld aufmerksam zu machen.

Was die Bauausführung der Bahn selber angeht, so wird es einige Schwie¬
rigkeiten haben, die benöthigte Anzahl von Arbeitern herbeizuschaffen. Außerdem
steht der Tagelohn, auch im Innern des Landes, höher, als man bei den obwal¬
tenden Umständen erwarten sollte. Vorschub wird dagegen die große Billigkeit
des Holzes gebe», denn solange das Ausfuhrverbot besteht, wird, Rußland aus-
genommen und etwa die Vereinigten Staaten, der Unterbau (Schwellen) der
Bahnen nirgends billiger wie hier herzustellen sein.

Zu den Stadtneuigkeitcn gehört der Tod von Rasis Pascha. Wie man
wissen will, wurde er mit Kaffee vergiftet.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/481>, abgerufen am 07.01.2025.