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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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diesen Gegenden keine Festungen, die wiederhergestellt hätten werden können,
mit Ausnahme des zur Hälfte geschleiften Dschiurgewo, gegenüber von Nnstschnk.
Ein großer Russenkrieg, und zumal wenn er die defensive Form wählen müßte,
oder man mindestens Anlaß hätte, derartige Eventualitäten zu berücksichtigen,
kann nur auf große Festungen basirt werden. Für die sortificatorische Wissen¬
schaft wird es dereinst interessant sein, zu erfahre", wie die Russen mit den
Mitteln der provisorischen Befestigungskunst im Stande gewesen sind, so große
und ins kolossale reichende Verhältnisse, als sie "in Ort wie Bukarest bietet,
fortificatorisch zu bewältigen.

Rücksichtlich des Ausgangs eines etwaigen Kampfes, den Rußland beginnen
möchte, kennen Sie im allgemeinen meine Ansichten. Sie laufen darauf hinaus,
daß die Türkei auf sich beschränkt, kaum etwas, gegenüber der Angriffsmacht des
Zaren, auszurichten vermögen wird, daß aber der Krieg seinen Charakter noth¬
wendig wechseln müsse, sofern europäische Truppen deu türkischen zur Seite trete".
Im besonderen bezeichnete ich englische Heereskräste als eine treffliche Beimischung.
Es ist eine abgeschmackte Behauptung, wenn man leugnet, England und Frank¬
reich zusammen seien nicht im Stande, gegen 60,000 Mann zwischen dem Balkan
und der Donau fechten zu lassen. Dergleichen Maximen hatte" zur Zeit der
ausschließlichen Scgelschiffahrt Geltung, habe" dieselbe indeß in unseren Tagen
nunmehr schon lange verloren. Auch sind, soviel ich weiß, die Maßregel" in
Frankreich bereits i" einem Umfange genommen, der andeuten mag, daß man ent¬
schlösse" ist, Rußland gegenüber an den Mündungen der Donau erforderlichen
Falls mit einer enormen Streitmacht aufzutreten. Schlage ich dieselbe ans 100,000
Mann an, so greise ich kaum zu hoch.

Für ein solches französisches Landnugsheer wäre Warna der beste Ausschif-
fuugs- nud Basiöpuukt. Mau hat von dort aus nnr zwei Märsche bis Schumla,
drei bis Silistria und vier oder fünf bis Rustschnck. Außerdem ist die Festung
Warna unter allen türkischen eine der stärksten, was nicht sowol ans der Anlage
ihrer Werke, die nnr unbedeutend sind, als ans ihrer allgemeinen Situation
entspringt. Unter der Voraussetzung einer starke" Garnison dürfte es schwer sein,
diesen Platz mit nicht ganz bedeutenden Kräften überhaupt nur einzuschließen,
geschweige denn wirklich zu belagern. Außerdem würde ihm, auch bei der engsten
Laudblockade unter deu meisten Umständen die Verbindung mit der See verbleiben.

Im Hinblick ans diese Verhältnisse muß es bedauernswerth erscheine", daß
Rußland noch immer angestanden hat, sich mit der Türkei zu einem ernste" Kampfe
zu engagiren. Ist der letzteren die Mitwirkung Frankreichs und Englands sicher,
so steht anßer aller Frage, daß eine Demüthigung der nordischen Kvlossalmacht
nicht erspart werden würde. Zeigen aber Preußen und Oestreich ernsten Willen, den
Druck energisch zurückzuweisen, den Rußland so lange Jahre hindurch auf Europa,
namentlich auf dem mittleren, lasten läßt -- und ist beinahe dies z" hoffen


diesen Gegenden keine Festungen, die wiederhergestellt hätten werden können,
mit Ausnahme des zur Hälfte geschleiften Dschiurgewo, gegenüber von Nnstschnk.
Ein großer Russenkrieg, und zumal wenn er die defensive Form wählen müßte,
oder man mindestens Anlaß hätte, derartige Eventualitäten zu berücksichtigen,
kann nur auf große Festungen basirt werden. Für die sortificatorische Wissen¬
schaft wird es dereinst interessant sein, zu erfahre», wie die Russen mit den
Mitteln der provisorischen Befestigungskunst im Stande gewesen sind, so große
und ins kolossale reichende Verhältnisse, als sie «in Ort wie Bukarest bietet,
fortificatorisch zu bewältigen.

Rücksichtlich des Ausgangs eines etwaigen Kampfes, den Rußland beginnen
möchte, kennen Sie im allgemeinen meine Ansichten. Sie laufen darauf hinaus,
daß die Türkei auf sich beschränkt, kaum etwas, gegenüber der Angriffsmacht des
Zaren, auszurichten vermögen wird, daß aber der Krieg seinen Charakter noth¬
wendig wechseln müsse, sofern europäische Truppen deu türkischen zur Seite trete».
Im besonderen bezeichnete ich englische Heereskräste als eine treffliche Beimischung.
Es ist eine abgeschmackte Behauptung, wenn man leugnet, England und Frank¬
reich zusammen seien nicht im Stande, gegen 60,000 Mann zwischen dem Balkan
und der Donau fechten zu lassen. Dergleichen Maximen hatte» zur Zeit der
ausschließlichen Scgelschiffahrt Geltung, habe» dieselbe indeß in unseren Tagen
nunmehr schon lange verloren. Auch sind, soviel ich weiß, die Maßregel» in
Frankreich bereits i» einem Umfange genommen, der andeuten mag, daß man ent¬
schlösse» ist, Rußland gegenüber an den Mündungen der Donau erforderlichen
Falls mit einer enormen Streitmacht aufzutreten. Schlage ich dieselbe ans 100,000
Mann an, so greise ich kaum zu hoch.

Für ein solches französisches Landnugsheer wäre Warna der beste Ausschif-
fuugs- nud Basiöpuukt. Mau hat von dort aus nnr zwei Märsche bis Schumla,
drei bis Silistria und vier oder fünf bis Rustschnck. Außerdem ist die Festung
Warna unter allen türkischen eine der stärksten, was nicht sowol ans der Anlage
ihrer Werke, die nnr unbedeutend sind, als ans ihrer allgemeinen Situation
entspringt. Unter der Voraussetzung einer starke» Garnison dürfte es schwer sein,
diesen Platz mit nicht ganz bedeutenden Kräften überhaupt nur einzuschließen,
geschweige denn wirklich zu belagern. Außerdem würde ihm, auch bei der engsten
Laudblockade unter deu meisten Umständen die Verbindung mit der See verbleiben.

Im Hinblick ans diese Verhältnisse muß es bedauernswerth erscheine», daß
Rußland noch immer angestanden hat, sich mit der Türkei zu einem ernste» Kampfe
zu engagiren. Ist der letzteren die Mitwirkung Frankreichs und Englands sicher,
so steht anßer aller Frage, daß eine Demüthigung der nordischen Kvlossalmacht
nicht erspart werden würde. Zeigen aber Preußen und Oestreich ernsten Willen, den
Druck energisch zurückzuweisen, den Rußland so lange Jahre hindurch auf Europa,
namentlich auf dem mittleren, lasten läßt — und ist beinahe dies z» hoffen


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[0480] diesen Gegenden keine Festungen, die wiederhergestellt hätten werden können, mit Ausnahme des zur Hälfte geschleiften Dschiurgewo, gegenüber von Nnstschnk. Ein großer Russenkrieg, und zumal wenn er die defensive Form wählen müßte, oder man mindestens Anlaß hätte, derartige Eventualitäten zu berücksichtigen, kann nur auf große Festungen basirt werden. Für die sortificatorische Wissen¬ schaft wird es dereinst interessant sein, zu erfahre», wie die Russen mit den Mitteln der provisorischen Befestigungskunst im Stande gewesen sind, so große und ins kolossale reichende Verhältnisse, als sie «in Ort wie Bukarest bietet, fortificatorisch zu bewältigen. Rücksichtlich des Ausgangs eines etwaigen Kampfes, den Rußland beginnen möchte, kennen Sie im allgemeinen meine Ansichten. Sie laufen darauf hinaus, daß die Türkei auf sich beschränkt, kaum etwas, gegenüber der Angriffsmacht des Zaren, auszurichten vermögen wird, daß aber der Krieg seinen Charakter noth¬ wendig wechseln müsse, sofern europäische Truppen deu türkischen zur Seite trete». Im besonderen bezeichnete ich englische Heereskräste als eine treffliche Beimischung. Es ist eine abgeschmackte Behauptung, wenn man leugnet, England und Frank¬ reich zusammen seien nicht im Stande, gegen 60,000 Mann zwischen dem Balkan und der Donau fechten zu lassen. Dergleichen Maximen hatte» zur Zeit der ausschließlichen Scgelschiffahrt Geltung, habe» dieselbe indeß in unseren Tagen nunmehr schon lange verloren. Auch sind, soviel ich weiß, die Maßregel» in Frankreich bereits i» einem Umfange genommen, der andeuten mag, daß man ent¬ schlösse» ist, Rußland gegenüber an den Mündungen der Donau erforderlichen Falls mit einer enormen Streitmacht aufzutreten. Schlage ich dieselbe ans 100,000 Mann an, so greise ich kaum zu hoch. Für ein solches französisches Landnugsheer wäre Warna der beste Ausschif- fuugs- nud Basiöpuukt. Mau hat von dort aus nnr zwei Märsche bis Schumla, drei bis Silistria und vier oder fünf bis Rustschnck. Außerdem ist die Festung Warna unter allen türkischen eine der stärksten, was nicht sowol ans der Anlage ihrer Werke, die nnr unbedeutend sind, als ans ihrer allgemeinen Situation entspringt. Unter der Voraussetzung einer starke» Garnison dürfte es schwer sein, diesen Platz mit nicht ganz bedeutenden Kräften überhaupt nur einzuschließen, geschweige denn wirklich zu belagern. Außerdem würde ihm, auch bei der engsten Laudblockade unter deu meisten Umständen die Verbindung mit der See verbleiben. Im Hinblick ans diese Verhältnisse muß es bedauernswerth erscheine», daß Rußland noch immer angestanden hat, sich mit der Türkei zu einem ernste» Kampfe zu engagiren. Ist der letzteren die Mitwirkung Frankreichs und Englands sicher, so steht anßer aller Frage, daß eine Demüthigung der nordischen Kvlossalmacht nicht erspart werden würde. Zeigen aber Preußen und Oestreich ernsten Willen, den Druck energisch zurückzuweisen, den Rußland so lange Jahre hindurch auf Europa, namentlich auf dem mittleren, lasten läßt — und ist beinahe dies z» hoffen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/480>, abgerufen am 23.07.2024.