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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Omer zu küsst", und fügte hinzu: "Und ich werde nun in mein Protokoll
einschreiben, daß ihr keiner von dem andern mehr etwas z" fordern habet."

Der Jude sowol als Omer küßten des Kadja Kaftan und Fußteppich,
dankten ihm für die gerechte Entscheidung nud verließen die Gerichtsstube.

Die eine Thüre ging zu, die andere auf: der echte Kadja trat ein, vor
Lachen wackelnd: "Gott sei mir gnädig, Frauenzimmer!"-- sprach er --"soviele
Klugheit hat uicht das Musaf (Buch der Weisheit) in sich. Bei Gott, es ist
Schade, daß du kein Mann bist! Einen besseren Kadja hätten sie nicht in
Konstantin opel."

Mejra dankte für soviele Gnade, daß er ihr gestattet, eine Stunde laug
den Kadja zu spielen und bot ihm zum Beweise ihrer Dankbarkeit fünfzehn von
den eben erhaltenen dreißig Beuteln. Der Kadja aber nahm dies Geschenk uicht
an, ja schenkte ihr sogar selbst noch einen Beutel. Mejra legte nun das richterliche
Obergewand ab und entfernte sich dankend.

Omer war unterwegs in einer Kasseescheuke eingekehrt, um sich nach
solcher Angst zu erquicken; Mejra war also noch früher nach Hanse gekommen, als
Omer, und als sie ihn über den Hof kommen sah, rief sie ihm scherzend entgegen:
"El sieh da! Omer mit der abgeschnittene" Zunge! Er stammelt nnn gewiß."
Dann stellte sie sich erstaunt, daß Omer uicht stammte und eine unbeschnittene
Zunge behalten habe und fragte, wer ihm geholfen?

"Gott und der weise Kadja!" -- war Omerö Antwort. "Und schön ist der
Kadja, wie ein Quitteuapfel. Gott gebe ihm immerdar seinen Segen. Er hat
mich gerettet aus großer Gefahr und den Juden beschämt."

"Und ist dieser Kadja vielleicht schöner als ich? fragte Mejra und zeigte
ihrem Gatten die erhaltenen 3-1 Beutel.

Omer weinte Freudenthränen an dem Busen seines klugen Weibes und küßte
sie auf die weiße Stirn und liebte und verehrte seine Mejra noch mehr, als je zuvor,
ja er befolgte ihre wohlgemeinten Rathschläge von nun an aus das aufmerksamste,
ward eifrig in seinem Geschäfte und erwarb sich binnen kurzer Zeit beträchtliche
Reichthümer.*)

Anmerkung. Die Verwandtschaft dieses höhnischen Märchens mit dem Stoffe des
Shakesvcarcschcu Dramas "der Kaufmann von Venedig" ist auffallend und besonders
interessant wird für den Literarhistoriker die Vergleichung der böhmischen Volks-



-I) Tambnrica, el" bei den Türken wie auch bei den Slaven der Türkei sehr beliebtes
Instrument, ans welchem die Bulgaren am besten zu spielen verstehen. Es ist birnförmig "ut
mit Drcithscitcn bespannt; es wird mittelst eines Federkiels oder eines Stiftes, "Tercian"
gespielt. -- 2) Kolovodja, ein Rcigcnsührcr. 3) Dram, ein Gewicht, etwa wie Drachme,
i) BvScaluk ein Geschenk, Ehrengeschenk genannt, nach einer zu feinden Geschenken häufig
gesuchten TabakSsvrte, BvSca. ö) Dies ist türkische Sitte, einen höher Gestellten zu grüßen ;
die Türken deuten diesen pantomimischen Gruß: Mein Haupt schätzt dich hoch und mein Herz
will dir wohl. -- 6) Beölnk, eine kleine Münze, etwa '/-Kreuzer Conv. Mzc.

Omer zu küsst», und fügte hinzu: „Und ich werde nun in mein Protokoll
einschreiben, daß ihr keiner von dem andern mehr etwas z» fordern habet."

Der Jude sowol als Omer küßten des Kadja Kaftan und Fußteppich,
dankten ihm für die gerechte Entscheidung nud verließen die Gerichtsstube.

Die eine Thüre ging zu, die andere auf: der echte Kadja trat ein, vor
Lachen wackelnd: „Gott sei mir gnädig, Frauenzimmer!"— sprach er —„soviele
Klugheit hat uicht das Musaf (Buch der Weisheit) in sich. Bei Gott, es ist
Schade, daß du kein Mann bist! Einen besseren Kadja hätten sie nicht in
Konstantin opel."

Mejra dankte für soviele Gnade, daß er ihr gestattet, eine Stunde laug
den Kadja zu spielen und bot ihm zum Beweise ihrer Dankbarkeit fünfzehn von
den eben erhaltenen dreißig Beuteln. Der Kadja aber nahm dies Geschenk uicht
an, ja schenkte ihr sogar selbst noch einen Beutel. Mejra legte nun das richterliche
Obergewand ab und entfernte sich dankend.

Omer war unterwegs in einer Kasseescheuke eingekehrt, um sich nach
solcher Angst zu erquicken; Mejra war also noch früher nach Hanse gekommen, als
Omer, und als sie ihn über den Hof kommen sah, rief sie ihm scherzend entgegen:
„El sieh da! Omer mit der abgeschnittene» Zunge! Er stammelt nnn gewiß."
Dann stellte sie sich erstaunt, daß Omer uicht stammte und eine unbeschnittene
Zunge behalten habe und fragte, wer ihm geholfen?

„Gott und der weise Kadja!" — war Omerö Antwort. „Und schön ist der
Kadja, wie ein Quitteuapfel. Gott gebe ihm immerdar seinen Segen. Er hat
mich gerettet aus großer Gefahr und den Juden beschämt."

„Und ist dieser Kadja vielleicht schöner als ich? fragte Mejra und zeigte
ihrem Gatten die erhaltenen 3-1 Beutel.

Omer weinte Freudenthränen an dem Busen seines klugen Weibes und küßte
sie auf die weiße Stirn und liebte und verehrte seine Mejra noch mehr, als je zuvor,
ja er befolgte ihre wohlgemeinten Rathschläge von nun an aus das aufmerksamste,
ward eifrig in seinem Geschäfte und erwarb sich binnen kurzer Zeit beträchtliche
Reichthümer.*)

Anmerkung. Die Verwandtschaft dieses höhnischen Märchens mit dem Stoffe des
Shakesvcarcschcu Dramas „der Kaufmann von Venedig" ist auffallend und besonders
interessant wird für den Literarhistoriker die Vergleichung der böhmischen Volks-



-I) Tambnrica, el» bei den Türken wie auch bei den Slaven der Türkei sehr beliebtes
Instrument, ans welchem die Bulgaren am besten zu spielen verstehen. Es ist birnförmig »ut
mit Drcithscitcn bespannt; es wird mittelst eines Federkiels oder eines Stiftes, „Tercian"
gespielt. — 2) Kolovodja, ein Rcigcnsührcr. 3) Dram, ein Gewicht, etwa wie Drachme,
i) BvScaluk ein Geschenk, Ehrengeschenk genannt, nach einer zu feinden Geschenken häufig
gesuchten TabakSsvrte, BvSca. ö) Dies ist türkische Sitte, einen höher Gestellten zu grüßen ;
die Türken deuten diesen pantomimischen Gruß: Mein Haupt schätzt dich hoch und mein Herz
will dir wohl. — 6) Beölnk, eine kleine Münze, etwa '/-Kreuzer Conv. Mzc.
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[0467] Omer zu küsst», und fügte hinzu: „Und ich werde nun in mein Protokoll einschreiben, daß ihr keiner von dem andern mehr etwas z» fordern habet." Der Jude sowol als Omer küßten des Kadja Kaftan und Fußteppich, dankten ihm für die gerechte Entscheidung nud verließen die Gerichtsstube. Die eine Thüre ging zu, die andere auf: der echte Kadja trat ein, vor Lachen wackelnd: „Gott sei mir gnädig, Frauenzimmer!"— sprach er —„soviele Klugheit hat uicht das Musaf (Buch der Weisheit) in sich. Bei Gott, es ist Schade, daß du kein Mann bist! Einen besseren Kadja hätten sie nicht in Konstantin opel." Mejra dankte für soviele Gnade, daß er ihr gestattet, eine Stunde laug den Kadja zu spielen und bot ihm zum Beweise ihrer Dankbarkeit fünfzehn von den eben erhaltenen dreißig Beuteln. Der Kadja aber nahm dies Geschenk uicht an, ja schenkte ihr sogar selbst noch einen Beutel. Mejra legte nun das richterliche Obergewand ab und entfernte sich dankend. Omer war unterwegs in einer Kasseescheuke eingekehrt, um sich nach solcher Angst zu erquicken; Mejra war also noch früher nach Hanse gekommen, als Omer, und als sie ihn über den Hof kommen sah, rief sie ihm scherzend entgegen: „El sieh da! Omer mit der abgeschnittene» Zunge! Er stammelt nnn gewiß." Dann stellte sie sich erstaunt, daß Omer uicht stammte und eine unbeschnittene Zunge behalten habe und fragte, wer ihm geholfen? „Gott und der weise Kadja!" — war Omerö Antwort. „Und schön ist der Kadja, wie ein Quitteuapfel. Gott gebe ihm immerdar seinen Segen. Er hat mich gerettet aus großer Gefahr und den Juden beschämt." „Und ist dieser Kadja vielleicht schöner als ich? fragte Mejra und zeigte ihrem Gatten die erhaltenen 3-1 Beutel. Omer weinte Freudenthränen an dem Busen seines klugen Weibes und küßte sie auf die weiße Stirn und liebte und verehrte seine Mejra noch mehr, als je zuvor, ja er befolgte ihre wohlgemeinten Rathschläge von nun an aus das aufmerksamste, ward eifrig in seinem Geschäfte und erwarb sich binnen kurzer Zeit beträchtliche Reichthümer.*) Anmerkung. Die Verwandtschaft dieses höhnischen Märchens mit dem Stoffe des Shakesvcarcschcu Dramas „der Kaufmann von Venedig" ist auffallend und besonders interessant wird für den Literarhistoriker die Vergleichung der böhmischen Volks- -I) Tambnrica, el» bei den Türken wie auch bei den Slaven der Türkei sehr beliebtes Instrument, ans welchem die Bulgaren am besten zu spielen verstehen. Es ist birnförmig »ut mit Drcithscitcn bespannt; es wird mittelst eines Federkiels oder eines Stiftes, „Tercian" gespielt. — 2) Kolovodja, ein Rcigcnsührcr. 3) Dram, ein Gewicht, etwa wie Drachme, i) BvScaluk ein Geschenk, Ehrengeschenk genannt, nach einer zu feinden Geschenken häufig gesuchten TabakSsvrte, BvSca. ö) Dies ist türkische Sitte, einen höher Gestellten zu grüßen ; die Türken deuten diesen pantomimischen Gruß: Mein Haupt schätzt dich hoch und mein Herz will dir wohl. — 6) Beölnk, eine kleine Münze, etwa '/-Kreuzer Conv. Mzc.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/467>, abgerufen am 01.07.2024.