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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Raum, solange er sich blos in Messungen ausdrückt, IM keine Beziehung zum
Gemüth, und das bloße Wissen von der Unendlichkeit, welche die verschiedenen
Sternbilder voneinander trennt, dient nicht dazN, die Seele zu bereichern. Erst
wenn diese allgemeinen Gedanken sich in ein Bild verwandeln, geht die Empfin¬
dung des Erhabenen in uns ans.

Und hier ist nicht zu leugne", daß die deutsche Wissenschaft in der neuesten
Zeit sehr viel dazu gethan hat, die abstracte Erkeuiituiß mit den Kräften der
Seele zu vermitteln. Zwar hat sich die eigentliche Forschung, seitdem sie die
Verirrung der mystischen Naturphilosophie überwunden, mehr und mehr in Detail-
studien verloren und den großen constructiver Sinn, der früher in ihr lebte, und
der selbst anch in jenen Verirrungen einen, wenn auch nur trüben Ausdruck ge¬
winnt, wenigstens zum Theil eingebüßt; aber der Mann, dessen mächtiger Geist
als der bedeutendste Träger der Naturwissenschaft in ihrer Gesammtheit erscheint,
und der mit Recht als der Stolz der deutschen Nation bezeichnet werden kann,
Alexander v. Humboldt, hat mich die Wissenschaft auf deu Weg gelenkt, das,
was sie im einzelnen erkannt, zu einem großen Gesammtbilde zusammenzudrängen.
Als der "Kosmos" erschien, wurden die hochgespannter Erwartungen des Volks
zwar zum Theil getäuscht, es blieb in diesem riesenhaft angelegten Gemälde von
der Gesammtheit der Natur dem Laien doch vieles ganz unverständlich, und wenn
anch überall der große und edle Geist des Mannes durchschien, es war ihm nicht
gelungen, was er selber so lebhaft und vollständig erkannt, in lebendige Gegen¬
wart zu übersetzen; allein ein unmittelbarer Gewinn zeigte sich wenigstens augen¬
blicklich, das Gefühl der Andacht vor der Große der Natur und vor der Macht
des menschlichen Geistes, der dieselbe durchforscht hatte. Man hatte wenigstens
eine Ahnung von jenem MakrokosmuS erlangt, den Goethe in seinem Faust noch
mit einem gewissen fremden Schauder empfunden hatte, und von allen Seiten
strömte man nnn, nachdem die Bahn geebnet war, herbei, um das Verständniß
im einzelnen zu fordern und zu beleben. Die große Reihe populärer naturwissen¬
schaftlicher Schriften, die durch deu Kosmos angeregt wurden, bildet eins der
wesentlichsten und besten Elemente unserer neuern Literatur, und hat ebenso dazu
beigetragen, das Gemüth zu veredeln, als die Aufklärung zu verbreiten.

Die beiden Werke, die wir an die Spitze dieses Abschnittes gestellt haben,
ergänzen sich einander auf eine sehr wohlthuende Weise. Der Mensch steht in
der Mitte zweier Unendlichkeiten, denen seine Sinne nicht mehr gewachsen sind;
die eine erschließt ihm das Fernrohr, die andere das Mikroskop. Wenn wir
einen Wassertropfen unter das Mikroskop legen, so ist die Mannigfaltigkeit der
kleinen Welt, die sich in demselben bewegt, fast ebenso wunderbar, als die Un¬
endlichkeit der Welten, die uns das Fernrohr in der Milchstraße eröffnet. Der
Blick nach beiden Seiten hin hat etwas Berauschendes und Schwindelerregendes,
aber durch einen Umstand wird dieser Schauder, der zunächst nahe an Gedanken-


Grenzboten. III. 1863. . 32

Raum, solange er sich blos in Messungen ausdrückt, IM keine Beziehung zum
Gemüth, und das bloße Wissen von der Unendlichkeit, welche die verschiedenen
Sternbilder voneinander trennt, dient nicht dazN, die Seele zu bereichern. Erst
wenn diese allgemeinen Gedanken sich in ein Bild verwandeln, geht die Empfin¬
dung des Erhabenen in uns ans.

Und hier ist nicht zu leugne», daß die deutsche Wissenschaft in der neuesten
Zeit sehr viel dazu gethan hat, die abstracte Erkeuiituiß mit den Kräften der
Seele zu vermitteln. Zwar hat sich die eigentliche Forschung, seitdem sie die
Verirrung der mystischen Naturphilosophie überwunden, mehr und mehr in Detail-
studien verloren und den großen constructiver Sinn, der früher in ihr lebte, und
der selbst anch in jenen Verirrungen einen, wenn auch nur trüben Ausdruck ge¬
winnt, wenigstens zum Theil eingebüßt; aber der Mann, dessen mächtiger Geist
als der bedeutendste Träger der Naturwissenschaft in ihrer Gesammtheit erscheint,
und der mit Recht als der Stolz der deutschen Nation bezeichnet werden kann,
Alexander v. Humboldt, hat mich die Wissenschaft auf deu Weg gelenkt, das,
was sie im einzelnen erkannt, zu einem großen Gesammtbilde zusammenzudrängen.
Als der „Kosmos" erschien, wurden die hochgespannter Erwartungen des Volks
zwar zum Theil getäuscht, es blieb in diesem riesenhaft angelegten Gemälde von
der Gesammtheit der Natur dem Laien doch vieles ganz unverständlich, und wenn
anch überall der große und edle Geist des Mannes durchschien, es war ihm nicht
gelungen, was er selber so lebhaft und vollständig erkannt, in lebendige Gegen¬
wart zu übersetzen; allein ein unmittelbarer Gewinn zeigte sich wenigstens augen¬
blicklich, das Gefühl der Andacht vor der Große der Natur und vor der Macht
des menschlichen Geistes, der dieselbe durchforscht hatte. Man hatte wenigstens
eine Ahnung von jenem MakrokosmuS erlangt, den Goethe in seinem Faust noch
mit einem gewissen fremden Schauder empfunden hatte, und von allen Seiten
strömte man nnn, nachdem die Bahn geebnet war, herbei, um das Verständniß
im einzelnen zu fordern und zu beleben. Die große Reihe populärer naturwissen¬
schaftlicher Schriften, die durch deu Kosmos angeregt wurden, bildet eins der
wesentlichsten und besten Elemente unserer neuern Literatur, und hat ebenso dazu
beigetragen, das Gemüth zu veredeln, als die Aufklärung zu verbreiten.

Die beiden Werke, die wir an die Spitze dieses Abschnittes gestellt haben,
ergänzen sich einander auf eine sehr wohlthuende Weise. Der Mensch steht in
der Mitte zweier Unendlichkeiten, denen seine Sinne nicht mehr gewachsen sind;
die eine erschließt ihm das Fernrohr, die andere das Mikroskop. Wenn wir
einen Wassertropfen unter das Mikroskop legen, so ist die Mannigfaltigkeit der
kleinen Welt, die sich in demselben bewegt, fast ebenso wunderbar, als die Un¬
endlichkeit der Welten, die uns das Fernrohr in der Milchstraße eröffnet. Der
Blick nach beiden Seiten hin hat etwas Berauschendes und Schwindelerregendes,
aber durch einen Umstand wird dieser Schauder, der zunächst nahe an Gedanken-


Grenzboten. III. 1863. . 32
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[0415] Raum, solange er sich blos in Messungen ausdrückt, IM keine Beziehung zum Gemüth, und das bloße Wissen von der Unendlichkeit, welche die verschiedenen Sternbilder voneinander trennt, dient nicht dazN, die Seele zu bereichern. Erst wenn diese allgemeinen Gedanken sich in ein Bild verwandeln, geht die Empfin¬ dung des Erhabenen in uns ans. Und hier ist nicht zu leugne», daß die deutsche Wissenschaft in der neuesten Zeit sehr viel dazu gethan hat, die abstracte Erkeuiituiß mit den Kräften der Seele zu vermitteln. Zwar hat sich die eigentliche Forschung, seitdem sie die Verirrung der mystischen Naturphilosophie überwunden, mehr und mehr in Detail- studien verloren und den großen constructiver Sinn, der früher in ihr lebte, und der selbst anch in jenen Verirrungen einen, wenn auch nur trüben Ausdruck ge¬ winnt, wenigstens zum Theil eingebüßt; aber der Mann, dessen mächtiger Geist als der bedeutendste Träger der Naturwissenschaft in ihrer Gesammtheit erscheint, und der mit Recht als der Stolz der deutschen Nation bezeichnet werden kann, Alexander v. Humboldt, hat mich die Wissenschaft auf deu Weg gelenkt, das, was sie im einzelnen erkannt, zu einem großen Gesammtbilde zusammenzudrängen. Als der „Kosmos" erschien, wurden die hochgespannter Erwartungen des Volks zwar zum Theil getäuscht, es blieb in diesem riesenhaft angelegten Gemälde von der Gesammtheit der Natur dem Laien doch vieles ganz unverständlich, und wenn anch überall der große und edle Geist des Mannes durchschien, es war ihm nicht gelungen, was er selber so lebhaft und vollständig erkannt, in lebendige Gegen¬ wart zu übersetzen; allein ein unmittelbarer Gewinn zeigte sich wenigstens augen¬ blicklich, das Gefühl der Andacht vor der Große der Natur und vor der Macht des menschlichen Geistes, der dieselbe durchforscht hatte. Man hatte wenigstens eine Ahnung von jenem MakrokosmuS erlangt, den Goethe in seinem Faust noch mit einem gewissen fremden Schauder empfunden hatte, und von allen Seiten strömte man nnn, nachdem die Bahn geebnet war, herbei, um das Verständniß im einzelnen zu fordern und zu beleben. Die große Reihe populärer naturwissen¬ schaftlicher Schriften, die durch deu Kosmos angeregt wurden, bildet eins der wesentlichsten und besten Elemente unserer neuern Literatur, und hat ebenso dazu beigetragen, das Gemüth zu veredeln, als die Aufklärung zu verbreiten. Die beiden Werke, die wir an die Spitze dieses Abschnittes gestellt haben, ergänzen sich einander auf eine sehr wohlthuende Weise. Der Mensch steht in der Mitte zweier Unendlichkeiten, denen seine Sinne nicht mehr gewachsen sind; die eine erschließt ihm das Fernrohr, die andere das Mikroskop. Wenn wir einen Wassertropfen unter das Mikroskop legen, so ist die Mannigfaltigkeit der kleinen Welt, die sich in demselben bewegt, fast ebenso wunderbar, als die Un¬ endlichkeit der Welten, die uns das Fernrohr in der Milchstraße eröffnet. Der Blick nach beiden Seiten hin hat etwas Berauschendes und Schwindelerregendes, aber durch einen Umstand wird dieser Schauder, der zunächst nahe an Gedanken- Grenzboten. III. 1863. . 32

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/415>, abgerufen am 01.07.2024.