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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Das Weltall. Couversationslexicon der physischen und mathematischen Astronomie.
Von I. W. Schmitz. (Preis 1 Thlr. 1t) Sgr.) -- Köln.
Die Wundererscheinungen des Vitalismus (Tischdrehen, Tischklopfcn, Tisch-
sprcchcn ze.) nebst ihrer rationellen Erklärung in Briefen an eine Dame. Von
I",-. Adalb. Cohnseld. -- Bremen, Schünemann. --

Die Naturwissenschaft nimmt gegenwärtig nicht blos in Deutschland, sondern
auch in England und Frankreich "uter allen Wissenschaften die erste Stelle ein.
Zwar hat in sämmtlichen Wissenschaften der Fleiß und die Gelehrsamkeit immer
mehr in die Tiefe gegraben, und wenn wir z. B. den heutigen Zustand der
Alterthumskunde mit dem vor hundert Jahren vergleichen, so ist es uns, als ob
wir in eine ganz neue Welt eingeführt würden; allein was die philologischen und
historischen Wissenschaften an Tiefe und Breite gewonnen haben, das haben sie
an Popularität, an unmittelbarer Einwirkung auf das Leben und an Gestaltungs¬
kraft eingebüßt. Die Philologen des vorigen Jahrhunderts waren Kinder am
Wisse", wenn man sie neben unsere heutige Gelehrsamkeit stellt; aber sie wirkten
bestimmend ans die allgemeine Bildung, ans die Schule, auf die Poesie und alle
übrigen Künste ein. Heutzutage wird die Wissenschaft immer unnahbarer, und
der Umfang derselben nimmt eine so ungeheure Ausdehnung an, daß es vielleicht
keinen einzigen Philologen mehr gibt, der das Gesammtgebiet der Wissenschaft
nach allen Richtungen hin mit gleicher Energie zu umfassen vermöchte. Eine
ähnliche Erfahrung begegnet uns in dem Gebiet der Geschichte. Hier steht
übrigens Deutschland gegen die Engländer und Franzosen in einem sehr wahr¬
nehmbaren Gegensatz. In Beziehung aus die eigentliche Gelehrsamkeit, namentlich
ans die Gewissenhaftigkeit unsrer Forschung, stehen wir entschieden in der ersten
Reihe, aber "nsre Darstellnngs- und Gestaltungskraft scheinen wir über diesen
mikroskopischen Studien fast ganz eingebüßt zu habe". Bei den Engländern und
Franzosen erscheinen von Jahr zu Jahr eine Reihe von Werken, die von
wirklichen Gelehrten geschrieben siud, und die doch ans den Ruhm eines Kunst¬
werks ausgehen. Bei uus scheint beides von einander getrennt zu sein. Die
Gelehrten ersten Ranges schreiben nnr für Gelehrte und überlassen es den Di¬
lettanten oder Schülern, ihre Forschung für das größere Publicum zu bearbeiten.
Ausnahmen kommen zwar vor, aber sie erregen auch immer ein ganz ungeheures
Aufsehn; ja es scheint bei den wirklichen Gelehrten auch in der historischen
Wissenschaft der Grundsatz, der früher nnr bei den Philosophen und Philologen
herrschte, angenommen worden zu sein, daß mau der profanen Masse den Zugang
zur Wissenschaft so sehr als möglich verschließen müsse. Für die eigentliche
Bildung des Volks ist ein solches Verfahren gewiß kein Gewinn.

Ganz anders steht es mit den Naturwissenschaften. Hier sind die Fortschritte
in der Erkenntniß noch unendlich viel bedeutender, als in der Historie. Zwar


Das Weltall. Couversationslexicon der physischen und mathematischen Astronomie.
Von I. W. Schmitz. (Preis 1 Thlr. 1t) Sgr.) — Köln.
Die Wundererscheinungen des Vitalismus (Tischdrehen, Tischklopfcn, Tisch-
sprcchcn ze.) nebst ihrer rationellen Erklärung in Briefen an eine Dame. Von
I»,-. Adalb. Cohnseld. — Bremen, Schünemann. —

Die Naturwissenschaft nimmt gegenwärtig nicht blos in Deutschland, sondern
auch in England und Frankreich »uter allen Wissenschaften die erste Stelle ein.
Zwar hat in sämmtlichen Wissenschaften der Fleiß und die Gelehrsamkeit immer
mehr in die Tiefe gegraben, und wenn wir z. B. den heutigen Zustand der
Alterthumskunde mit dem vor hundert Jahren vergleichen, so ist es uns, als ob
wir in eine ganz neue Welt eingeführt würden; allein was die philologischen und
historischen Wissenschaften an Tiefe und Breite gewonnen haben, das haben sie
an Popularität, an unmittelbarer Einwirkung auf das Leben und an Gestaltungs¬
kraft eingebüßt. Die Philologen des vorigen Jahrhunderts waren Kinder am
Wisse», wenn man sie neben unsere heutige Gelehrsamkeit stellt; aber sie wirkten
bestimmend ans die allgemeine Bildung, ans die Schule, auf die Poesie und alle
übrigen Künste ein. Heutzutage wird die Wissenschaft immer unnahbarer, und
der Umfang derselben nimmt eine so ungeheure Ausdehnung an, daß es vielleicht
keinen einzigen Philologen mehr gibt, der das Gesammtgebiet der Wissenschaft
nach allen Richtungen hin mit gleicher Energie zu umfassen vermöchte. Eine
ähnliche Erfahrung begegnet uns in dem Gebiet der Geschichte. Hier steht
übrigens Deutschland gegen die Engländer und Franzosen in einem sehr wahr¬
nehmbaren Gegensatz. In Beziehung aus die eigentliche Gelehrsamkeit, namentlich
ans die Gewissenhaftigkeit unsrer Forschung, stehen wir entschieden in der ersten
Reihe, aber »nsre Darstellnngs- und Gestaltungskraft scheinen wir über diesen
mikroskopischen Studien fast ganz eingebüßt zu habe». Bei den Engländern und
Franzosen erscheinen von Jahr zu Jahr eine Reihe von Werken, die von
wirklichen Gelehrten geschrieben siud, und die doch ans den Ruhm eines Kunst¬
werks ausgehen. Bei uus scheint beides von einander getrennt zu sein. Die
Gelehrten ersten Ranges schreiben nnr für Gelehrte und überlassen es den Di¬
lettanten oder Schülern, ihre Forschung für das größere Publicum zu bearbeiten.
Ausnahmen kommen zwar vor, aber sie erregen auch immer ein ganz ungeheures
Aufsehn; ja es scheint bei den wirklichen Gelehrten auch in der historischen
Wissenschaft der Grundsatz, der früher nnr bei den Philosophen und Philologen
herrschte, angenommen worden zu sein, daß mau der profanen Masse den Zugang
zur Wissenschaft so sehr als möglich verschließen müsse. Für die eigentliche
Bildung des Volks ist ein solches Verfahren gewiß kein Gewinn.

Ganz anders steht es mit den Naturwissenschaften. Hier sind die Fortschritte
in der Erkenntniß noch unendlich viel bedeutender, als in der Historie. Zwar


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[0413] Das Weltall. Couversationslexicon der physischen und mathematischen Astronomie. Von I. W. Schmitz. (Preis 1 Thlr. 1t) Sgr.) — Köln. Die Wundererscheinungen des Vitalismus (Tischdrehen, Tischklopfcn, Tisch- sprcchcn ze.) nebst ihrer rationellen Erklärung in Briefen an eine Dame. Von I»,-. Adalb. Cohnseld. — Bremen, Schünemann. — Die Naturwissenschaft nimmt gegenwärtig nicht blos in Deutschland, sondern auch in England und Frankreich »uter allen Wissenschaften die erste Stelle ein. Zwar hat in sämmtlichen Wissenschaften der Fleiß und die Gelehrsamkeit immer mehr in die Tiefe gegraben, und wenn wir z. B. den heutigen Zustand der Alterthumskunde mit dem vor hundert Jahren vergleichen, so ist es uns, als ob wir in eine ganz neue Welt eingeführt würden; allein was die philologischen und historischen Wissenschaften an Tiefe und Breite gewonnen haben, das haben sie an Popularität, an unmittelbarer Einwirkung auf das Leben und an Gestaltungs¬ kraft eingebüßt. Die Philologen des vorigen Jahrhunderts waren Kinder am Wisse», wenn man sie neben unsere heutige Gelehrsamkeit stellt; aber sie wirkten bestimmend ans die allgemeine Bildung, ans die Schule, auf die Poesie und alle übrigen Künste ein. Heutzutage wird die Wissenschaft immer unnahbarer, und der Umfang derselben nimmt eine so ungeheure Ausdehnung an, daß es vielleicht keinen einzigen Philologen mehr gibt, der das Gesammtgebiet der Wissenschaft nach allen Richtungen hin mit gleicher Energie zu umfassen vermöchte. Eine ähnliche Erfahrung begegnet uns in dem Gebiet der Geschichte. Hier steht übrigens Deutschland gegen die Engländer und Franzosen in einem sehr wahr¬ nehmbaren Gegensatz. In Beziehung aus die eigentliche Gelehrsamkeit, namentlich ans die Gewissenhaftigkeit unsrer Forschung, stehen wir entschieden in der ersten Reihe, aber »nsre Darstellnngs- und Gestaltungskraft scheinen wir über diesen mikroskopischen Studien fast ganz eingebüßt zu habe». Bei den Engländern und Franzosen erscheinen von Jahr zu Jahr eine Reihe von Werken, die von wirklichen Gelehrten geschrieben siud, und die doch ans den Ruhm eines Kunst¬ werks ausgehen. Bei uus scheint beides von einander getrennt zu sein. Die Gelehrten ersten Ranges schreiben nnr für Gelehrte und überlassen es den Di¬ lettanten oder Schülern, ihre Forschung für das größere Publicum zu bearbeiten. Ausnahmen kommen zwar vor, aber sie erregen auch immer ein ganz ungeheures Aufsehn; ja es scheint bei den wirklichen Gelehrten auch in der historischen Wissenschaft der Grundsatz, der früher nnr bei den Philosophen und Philologen herrschte, angenommen worden zu sein, daß mau der profanen Masse den Zugang zur Wissenschaft so sehr als möglich verschließen müsse. Für die eigentliche Bildung des Volks ist ein solches Verfahren gewiß kein Gewinn. Ganz anders steht es mit den Naturwissenschaften. Hier sind die Fortschritte in der Erkenntniß noch unendlich viel bedeutender, als in der Historie. Zwar

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/413>, abgerufen am 23.07.2024.