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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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der Post übergebenen Briefen gegen die Angeklagten verschafft hatte, von dem
Gerichtshof berücksichtigt werden dürften. Nach der rigoroser Bestimmung des
Gesetzes darf nur der Jnstrnctionsrichter Briefe eines Angeklagten in dessen Ge¬
genwart erbrechen, keineswegs aber die Polizei. Hebert und Dufaure griffen
mit großer Energie und juristischer Ueberlegenheit das Verfahren der Polizei an
und bestritten die Geltung der dadurch erlangten Beweise. Berryer aber erhob
sich in der ganzen leidenschaftlichen Gewalt seiner mächtigen Beredsamkeit gegen
das herrschende System, warf ihm nicht blos seine Jmmoralität in diesem Acte,
sondern im allgemeinen seine Bedrückung und Rechtlosigkeit in Ausdrücken vor,
deren Kühnheit den Mannesmuth dessen bewundern läßt, der furchtlos die Rache
einer' Regierung herausfordert, deren Macht ebenso groß, als die Scrupellosigkeit
ist, mit der sie davon gegen ihre Gegner Gebrauch macht. Da die französischen
Blätter keine Mittheilung über die Debatten bringen dursten, so haben wir nur
durch die Jndcpendance Belge einige abgerissene Stellen der Rede des berühmten
Legitimisten erhalten, ans denen sich auf den Inhalt des Ganzen ein Schluß
machen läßt. "Verdammen Sie", rief er den Richtern zu, "die Angeklagten zu
einem Monat Gefängniß auf Grund einiger Reimereien und auf Nachweise, die
von der Polizei geliefert und ans der unreinstem Quelle geschöpft sind, und die
Behörde wird sie nach Cayenne oder Lambessa schicken. Ich bedaure die Auf¬
hebung der Lettres de Cachet! Die Justiz war damals wenigstens unbetheiligt.
Es gibt nichts Unmoralischeres als das System der jetzigen Gesetzgebung. Sie
dazu benutzen, um der Strafe die Bahn zu breche", ist die gehässigste Willkür...
Aber hüte" Sie sich; man kann Gesänge anstimmen, man kann rufen, wir haben
das Vaterland gerettet, besteigen wir das Capitol. . . Man rettet nicht das
Vaterland, wenn man seine Institutionen zerbricht, wenn man die Gesetze zerreißt;
dies ist der erste Schritt zur absoluten Willkür. . . Wir erinnern uns derer des
ersten Kaiserreichs, unter der wir alle geseufzt haben, und welche die Gesänge
der Vorstädte und Wirthshäuser uns nicht vergessen machen können. . . Seien
Sie Ihrer selbst würdig. In den Zeiten, in denen wir leben, richten wir eine
Bitte, eine flehende Bitte an Sie. . . Sie allein stehen noch aufrecht, Sie allein
sind uns "och geblieben; beschützen Sie uns gegen die Rückkehr eines Regiments,
das wir unter dem Jubel von ganz Frankreich verwünscht haben ... Ich sagte
vorhin: diese Sache ist lächerlich; wenn die Doctrin des öffentlichen Ministeriums
triumphirt, ist sie fluchwürdig. Das ist genug!"

Man muß es anerkennend hervorheben, daß Berryer so sprechen durfte,
ohne daß ihm der Präsident oder der Anwalt der Regierung das Wort ab¬
schnitten. Es ist dies noch ein Ueberrest der parlamentarischen Epoche. Die
Traditionen und Gewohnheiten eines Menschenalters lassen sich nicht mit einem
Schlage ausrotten und zerbrechen, wie politische Formen. Noch offenbaren
sich in den Gerichtssälen, ja selbst noch in der unbedingter Willkür anheim-


der Post übergebenen Briefen gegen die Angeklagten verschafft hatte, von dem
Gerichtshof berücksichtigt werden dürften. Nach der rigoroser Bestimmung des
Gesetzes darf nur der Jnstrnctionsrichter Briefe eines Angeklagten in dessen Ge¬
genwart erbrechen, keineswegs aber die Polizei. Hebert und Dufaure griffen
mit großer Energie und juristischer Ueberlegenheit das Verfahren der Polizei an
und bestritten die Geltung der dadurch erlangten Beweise. Berryer aber erhob
sich in der ganzen leidenschaftlichen Gewalt seiner mächtigen Beredsamkeit gegen
das herrschende System, warf ihm nicht blos seine Jmmoralität in diesem Acte,
sondern im allgemeinen seine Bedrückung und Rechtlosigkeit in Ausdrücken vor,
deren Kühnheit den Mannesmuth dessen bewundern läßt, der furchtlos die Rache
einer' Regierung herausfordert, deren Macht ebenso groß, als die Scrupellosigkeit
ist, mit der sie davon gegen ihre Gegner Gebrauch macht. Da die französischen
Blätter keine Mittheilung über die Debatten bringen dursten, so haben wir nur
durch die Jndcpendance Belge einige abgerissene Stellen der Rede des berühmten
Legitimisten erhalten, ans denen sich auf den Inhalt des Ganzen ein Schluß
machen läßt. „Verdammen Sie", rief er den Richtern zu, „die Angeklagten zu
einem Monat Gefängniß auf Grund einiger Reimereien und auf Nachweise, die
von der Polizei geliefert und ans der unreinstem Quelle geschöpft sind, und die
Behörde wird sie nach Cayenne oder Lambessa schicken. Ich bedaure die Auf¬
hebung der Lettres de Cachet! Die Justiz war damals wenigstens unbetheiligt.
Es gibt nichts Unmoralischeres als das System der jetzigen Gesetzgebung. Sie
dazu benutzen, um der Strafe die Bahn zu breche», ist die gehässigste Willkür...
Aber hüte» Sie sich; man kann Gesänge anstimmen, man kann rufen, wir haben
das Vaterland gerettet, besteigen wir das Capitol. . . Man rettet nicht das
Vaterland, wenn man seine Institutionen zerbricht, wenn man die Gesetze zerreißt;
dies ist der erste Schritt zur absoluten Willkür. . . Wir erinnern uns derer des
ersten Kaiserreichs, unter der wir alle geseufzt haben, und welche die Gesänge
der Vorstädte und Wirthshäuser uns nicht vergessen machen können. . . Seien
Sie Ihrer selbst würdig. In den Zeiten, in denen wir leben, richten wir eine
Bitte, eine flehende Bitte an Sie. . . Sie allein stehen noch aufrecht, Sie allein
sind uns »och geblieben; beschützen Sie uns gegen die Rückkehr eines Regiments,
das wir unter dem Jubel von ganz Frankreich verwünscht haben ... Ich sagte
vorhin: diese Sache ist lächerlich; wenn die Doctrin des öffentlichen Ministeriums
triumphirt, ist sie fluchwürdig. Das ist genug!"

Man muß es anerkennend hervorheben, daß Berryer so sprechen durfte,
ohne daß ihm der Präsident oder der Anwalt der Regierung das Wort ab¬
schnitten. Es ist dies noch ein Ueberrest der parlamentarischen Epoche. Die
Traditionen und Gewohnheiten eines Menschenalters lassen sich nicht mit einem
Schlage ausrotten und zerbrechen, wie politische Formen. Noch offenbaren
sich in den Gerichtssälen, ja selbst noch in der unbedingter Willkür anheim-


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[0395] der Post übergebenen Briefen gegen die Angeklagten verschafft hatte, von dem Gerichtshof berücksichtigt werden dürften. Nach der rigoroser Bestimmung des Gesetzes darf nur der Jnstrnctionsrichter Briefe eines Angeklagten in dessen Ge¬ genwart erbrechen, keineswegs aber die Polizei. Hebert und Dufaure griffen mit großer Energie und juristischer Ueberlegenheit das Verfahren der Polizei an und bestritten die Geltung der dadurch erlangten Beweise. Berryer aber erhob sich in der ganzen leidenschaftlichen Gewalt seiner mächtigen Beredsamkeit gegen das herrschende System, warf ihm nicht blos seine Jmmoralität in diesem Acte, sondern im allgemeinen seine Bedrückung und Rechtlosigkeit in Ausdrücken vor, deren Kühnheit den Mannesmuth dessen bewundern läßt, der furchtlos die Rache einer' Regierung herausfordert, deren Macht ebenso groß, als die Scrupellosigkeit ist, mit der sie davon gegen ihre Gegner Gebrauch macht. Da die französischen Blätter keine Mittheilung über die Debatten bringen dursten, so haben wir nur durch die Jndcpendance Belge einige abgerissene Stellen der Rede des berühmten Legitimisten erhalten, ans denen sich auf den Inhalt des Ganzen ein Schluß machen läßt. „Verdammen Sie", rief er den Richtern zu, „die Angeklagten zu einem Monat Gefängniß auf Grund einiger Reimereien und auf Nachweise, die von der Polizei geliefert und ans der unreinstem Quelle geschöpft sind, und die Behörde wird sie nach Cayenne oder Lambessa schicken. Ich bedaure die Auf¬ hebung der Lettres de Cachet! Die Justiz war damals wenigstens unbetheiligt. Es gibt nichts Unmoralischeres als das System der jetzigen Gesetzgebung. Sie dazu benutzen, um der Strafe die Bahn zu breche», ist die gehässigste Willkür... Aber hüte» Sie sich; man kann Gesänge anstimmen, man kann rufen, wir haben das Vaterland gerettet, besteigen wir das Capitol. . . Man rettet nicht das Vaterland, wenn man seine Institutionen zerbricht, wenn man die Gesetze zerreißt; dies ist der erste Schritt zur absoluten Willkür. . . Wir erinnern uns derer des ersten Kaiserreichs, unter der wir alle geseufzt haben, und welche die Gesänge der Vorstädte und Wirthshäuser uns nicht vergessen machen können. . . Seien Sie Ihrer selbst würdig. In den Zeiten, in denen wir leben, richten wir eine Bitte, eine flehende Bitte an Sie. . . Sie allein stehen noch aufrecht, Sie allein sind uns »och geblieben; beschützen Sie uns gegen die Rückkehr eines Regiments, das wir unter dem Jubel von ganz Frankreich verwünscht haben ... Ich sagte vorhin: diese Sache ist lächerlich; wenn die Doctrin des öffentlichen Ministeriums triumphirt, ist sie fluchwürdig. Das ist genug!" Man muß es anerkennend hervorheben, daß Berryer so sprechen durfte, ohne daß ihm der Präsident oder der Anwalt der Regierung das Wort ab¬ schnitten. Es ist dies noch ein Ueberrest der parlamentarischen Epoche. Die Traditionen und Gewohnheiten eines Menschenalters lassen sich nicht mit einem Schlage ausrotten und zerbrechen, wie politische Formen. Noch offenbaren sich in den Gerichtssälen, ja selbst noch in der unbedingter Willkür anheim-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/395>, abgerufen am 01.07.2024.