Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

pharisäischem Hochmuth nicht zu verkeimen, obgleich sie nur selten vorkommen.
Die kleine Heldin der Erzählung empfindet von Zeit zu Zeit die Bekämpfung
ihres Stolzes und die Selbstdemüthignng als eine Pflicht, und dagegen ist nichts
einzuwenden; aber sie ist zuweilen über die Erfüllung dieser Pflicht so stolz und
selbstzufrieden, daß sie auf einem Umwege in den alten Fehler wieder zurückver-
sällt. Etwas weniger Casuistik im System der Pflichten und etwas mehr Hin¬
gebung an die Natur würde ihrem Gemüth nicht zum Schaden gereicht haben.--


Sevres cle I" Kodöme, psr Henri Nur-
Zer. -1830.--

Dieses Buch ist es gewesen, welches dem jungen Dichter, der jetzt zu
den beliebtesten Pariser Feuilletonisten gehört, zuerst ein großes Ansehen verschafft
hat. Es schildert das Zigeunerleben der Literaten und Künstler, die reicher an
kühnen Aussichten und Erwartungen, als an wirklichem Talent sind. Die einzel¬
nen Scenen gehe" bunt "ud willkürlich durcheinander, ungefähr wie in den Pick-
wickiern, nur daß hier trotz aller Munterkeit und Ausgelassenheit der Erzählung
doch im ganzen eine sehr düstere Lebensanschaiiung waltet. Auffallend ist die
Verwandtschaft mit den "Drei Musketieren" von Alex. Dumas. Die Charaktere
der vier Helden und ihr Verhältniß zueinander, ihr Umgang mit den Weibern
und ihre ganze Lebensanschauung erinnert aus das lebhafteste an Artaguan und
seine drei Freunde. Es ist das keine Copie, sondern nur eine Zurückführung des
idealistrten Portraits auf die Natur, die ihm als Modell gedient hat, denn jene
Musketiere lebten uur scheinbar im -17. Jahrhundert und ihre ganze Waffen-
rüstung war nur eine Maske; eigentlich waren sie aus Reminiscenzen des jour¬
nalistischen Zigeunerlebens zusammengewebt. --


Anton Gregor. Eine Erzählung von Th> König (Verfasser der "Reisebilder aus
Ost und West" und des "modernen Jesuitismus"). 2 Bde. Leipzig, Schultze.--

Die Intentionen des Verfassers sind durchaus zu loben. Er gibt sich Mühe,
den freien Bauernstand zu verherrlichen und auf den wohlthätigen Einfluß auf¬
merksam zu machen, welchen die Bildung aus ihn ausüben kann. Wir haben die
leichte, lebhafte Schreibart des Verfassers und die bunten Farben, mit denen er
sehr geschickt umzugehen weiß, bereits in seinen frühern Schriften anerkannt; sie
machen sich auch hier wieder geltend. Einzelne Scenen sind mit einer großen Leb¬
haftigkeit und Naturtreue dargestellt; im allgemeinen thut aber doch der Mangel an
stylistischer Correctheit und harmonischer Bildung diesen Vorzügen großen Abbruch.


Schulzenhannch en oder das Freien auf dem Lande. Eine das ganze Ehe- mit
Familienleben des Landmanns beleuchtende Volksschrist, nach der Wirklichkeit
gezeichnet von Gotth. Mor. Rocke. -- Leipzig. Reclam.--

Der Verfasser hat sich Jeremias Gotthelf zum Vorbild genommen, und er
ist von allen Nachahmern dieses Dichters, die uns vorgekommen sind, einer


pharisäischem Hochmuth nicht zu verkeimen, obgleich sie nur selten vorkommen.
Die kleine Heldin der Erzählung empfindet von Zeit zu Zeit die Bekämpfung
ihres Stolzes und die Selbstdemüthignng als eine Pflicht, und dagegen ist nichts
einzuwenden; aber sie ist zuweilen über die Erfüllung dieser Pflicht so stolz und
selbstzufrieden, daß sie auf einem Umwege in den alten Fehler wieder zurückver-
sällt. Etwas weniger Casuistik im System der Pflichten und etwas mehr Hin¬
gebung an die Natur würde ihrem Gemüth nicht zum Schaden gereicht haben.—


Sevres cle I» Kodöme, psr Henri Nur-
Zer. -1830.—

Dieses Buch ist es gewesen, welches dem jungen Dichter, der jetzt zu
den beliebtesten Pariser Feuilletonisten gehört, zuerst ein großes Ansehen verschafft
hat. Es schildert das Zigeunerleben der Literaten und Künstler, die reicher an
kühnen Aussichten und Erwartungen, als an wirklichem Talent sind. Die einzel¬
nen Scenen gehe» bunt »ud willkürlich durcheinander, ungefähr wie in den Pick-
wickiern, nur daß hier trotz aller Munterkeit und Ausgelassenheit der Erzählung
doch im ganzen eine sehr düstere Lebensanschaiiung waltet. Auffallend ist die
Verwandtschaft mit den „Drei Musketieren" von Alex. Dumas. Die Charaktere
der vier Helden und ihr Verhältniß zueinander, ihr Umgang mit den Weibern
und ihre ganze Lebensanschauung erinnert aus das lebhafteste an Artaguan und
seine drei Freunde. Es ist das keine Copie, sondern nur eine Zurückführung des
idealistrten Portraits auf die Natur, die ihm als Modell gedient hat, denn jene
Musketiere lebten uur scheinbar im -17. Jahrhundert und ihre ganze Waffen-
rüstung war nur eine Maske; eigentlich waren sie aus Reminiscenzen des jour¬
nalistischen Zigeunerlebens zusammengewebt. —


Anton Gregor. Eine Erzählung von Th> König (Verfasser der „Reisebilder aus
Ost und West" und des „modernen Jesuitismus"). 2 Bde. Leipzig, Schultze.—

Die Intentionen des Verfassers sind durchaus zu loben. Er gibt sich Mühe,
den freien Bauernstand zu verherrlichen und auf den wohlthätigen Einfluß auf¬
merksam zu machen, welchen die Bildung aus ihn ausüben kann. Wir haben die
leichte, lebhafte Schreibart des Verfassers und die bunten Farben, mit denen er
sehr geschickt umzugehen weiß, bereits in seinen frühern Schriften anerkannt; sie
machen sich auch hier wieder geltend. Einzelne Scenen sind mit einer großen Leb¬
haftigkeit und Naturtreue dargestellt; im allgemeinen thut aber doch der Mangel an
stylistischer Correctheit und harmonischer Bildung diesen Vorzügen großen Abbruch.


Schulzenhannch en oder das Freien auf dem Lande. Eine das ganze Ehe- mit
Familienleben des Landmanns beleuchtende Volksschrist, nach der Wirklichkeit
gezeichnet von Gotth. Mor. Rocke. — Leipzig. Reclam.—

Der Verfasser hat sich Jeremias Gotthelf zum Vorbild genommen, und er
ist von allen Nachahmern dieses Dichters, die uns vorgekommen sind, einer


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0374" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/96549"/>
            <p xml:id="ID_1300" prev="#ID_1299"> pharisäischem Hochmuth nicht zu verkeimen, obgleich sie nur selten vorkommen.<lb/>
Die kleine Heldin der Erzählung empfindet von Zeit zu Zeit die Bekämpfung<lb/>
ihres Stolzes und die Selbstdemüthignng als eine Pflicht, und dagegen ist nichts<lb/>
einzuwenden; aber sie ist zuweilen über die Erfüllung dieser Pflicht so stolz und<lb/>
selbstzufrieden, daß sie auf einem Umwege in den alten Fehler wieder zurückver-<lb/>
sällt. Etwas weniger Casuistik im System der Pflichten und etwas mehr Hin¬<lb/>
gebung an die Natur würde ihrem Gemüth nicht zum Schaden gereicht haben.&#x2014;</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> Sevres cle I» Kodöme, psr Henri Nur-<lb/>
Zer. -1830.&#x2014;</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1301"> Dieses Buch ist es gewesen, welches dem jungen Dichter, der jetzt zu<lb/>
den beliebtesten Pariser Feuilletonisten gehört, zuerst ein großes Ansehen verschafft<lb/>
hat. Es schildert das Zigeunerleben der Literaten und Künstler, die reicher an<lb/>
kühnen Aussichten und Erwartungen, als an wirklichem Talent sind. Die einzel¬<lb/>
nen Scenen gehe» bunt »ud willkürlich durcheinander, ungefähr wie in den Pick-<lb/>
wickiern, nur daß hier trotz aller Munterkeit und Ausgelassenheit der Erzählung<lb/>
doch im ganzen eine sehr düstere Lebensanschaiiung waltet. Auffallend ist die<lb/>
Verwandtschaft mit den &#x201E;Drei Musketieren" von Alex. Dumas. Die Charaktere<lb/>
der vier Helden und ihr Verhältniß zueinander, ihr Umgang mit den Weibern<lb/>
und ihre ganze Lebensanschauung erinnert aus das lebhafteste an Artaguan und<lb/>
seine drei Freunde. Es ist das keine Copie, sondern nur eine Zurückführung des<lb/>
idealistrten Portraits auf die Natur, die ihm als Modell gedient hat, denn jene<lb/>
Musketiere lebten uur scheinbar im -17. Jahrhundert und ihre ganze Waffen-<lb/>
rüstung war nur eine Maske; eigentlich waren sie aus Reminiscenzen des jour¬<lb/>
nalistischen Zigeunerlebens zusammengewebt. &#x2014;</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> Anton Gregor. Eine Erzählung von Th&gt; König (Verfasser der &#x201E;Reisebilder aus<lb/>
Ost und West" und des &#x201E;modernen Jesuitismus"). 2 Bde. Leipzig, Schultze.&#x2014;</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1302"> Die Intentionen des Verfassers sind durchaus zu loben. Er gibt sich Mühe,<lb/>
den freien Bauernstand zu verherrlichen und auf den wohlthätigen Einfluß auf¬<lb/>
merksam zu machen, welchen die Bildung aus ihn ausüben kann. Wir haben die<lb/>
leichte, lebhafte Schreibart des Verfassers und die bunten Farben, mit denen er<lb/>
sehr geschickt umzugehen weiß, bereits in seinen frühern Schriften anerkannt; sie<lb/>
machen sich auch hier wieder geltend. Einzelne Scenen sind mit einer großen Leb¬<lb/>
haftigkeit und Naturtreue dargestellt; im allgemeinen thut aber doch der Mangel an<lb/>
stylistischer Correctheit und harmonischer Bildung diesen Vorzügen großen Abbruch.</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> Schulzenhannch en oder das Freien auf dem Lande. Eine das ganze Ehe- mit<lb/>
Familienleben des Landmanns beleuchtende Volksschrist, nach der Wirklichkeit<lb/>
gezeichnet von Gotth. Mor. Rocke. &#x2014; Leipzig. Reclam.&#x2014;</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1303" next="#ID_1304"> Der Verfasser hat sich Jeremias Gotthelf zum Vorbild genommen, und er<lb/>
ist von allen Nachahmern dieses Dichters, die uns vorgekommen sind, einer</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0374] pharisäischem Hochmuth nicht zu verkeimen, obgleich sie nur selten vorkommen. Die kleine Heldin der Erzählung empfindet von Zeit zu Zeit die Bekämpfung ihres Stolzes und die Selbstdemüthignng als eine Pflicht, und dagegen ist nichts einzuwenden; aber sie ist zuweilen über die Erfüllung dieser Pflicht so stolz und selbstzufrieden, daß sie auf einem Umwege in den alten Fehler wieder zurückver- sällt. Etwas weniger Casuistik im System der Pflichten und etwas mehr Hin¬ gebung an die Natur würde ihrem Gemüth nicht zum Schaden gereicht haben.— Sevres cle I» Kodöme, psr Henri Nur- Zer. -1830.— Dieses Buch ist es gewesen, welches dem jungen Dichter, der jetzt zu den beliebtesten Pariser Feuilletonisten gehört, zuerst ein großes Ansehen verschafft hat. Es schildert das Zigeunerleben der Literaten und Künstler, die reicher an kühnen Aussichten und Erwartungen, als an wirklichem Talent sind. Die einzel¬ nen Scenen gehe» bunt »ud willkürlich durcheinander, ungefähr wie in den Pick- wickiern, nur daß hier trotz aller Munterkeit und Ausgelassenheit der Erzählung doch im ganzen eine sehr düstere Lebensanschaiiung waltet. Auffallend ist die Verwandtschaft mit den „Drei Musketieren" von Alex. Dumas. Die Charaktere der vier Helden und ihr Verhältniß zueinander, ihr Umgang mit den Weibern und ihre ganze Lebensanschauung erinnert aus das lebhafteste an Artaguan und seine drei Freunde. Es ist das keine Copie, sondern nur eine Zurückführung des idealistrten Portraits auf die Natur, die ihm als Modell gedient hat, denn jene Musketiere lebten uur scheinbar im -17. Jahrhundert und ihre ganze Waffen- rüstung war nur eine Maske; eigentlich waren sie aus Reminiscenzen des jour¬ nalistischen Zigeunerlebens zusammengewebt. — Anton Gregor. Eine Erzählung von Th> König (Verfasser der „Reisebilder aus Ost und West" und des „modernen Jesuitismus"). 2 Bde. Leipzig, Schultze.— Die Intentionen des Verfassers sind durchaus zu loben. Er gibt sich Mühe, den freien Bauernstand zu verherrlichen und auf den wohlthätigen Einfluß auf¬ merksam zu machen, welchen die Bildung aus ihn ausüben kann. Wir haben die leichte, lebhafte Schreibart des Verfassers und die bunten Farben, mit denen er sehr geschickt umzugehen weiß, bereits in seinen frühern Schriften anerkannt; sie machen sich auch hier wieder geltend. Einzelne Scenen sind mit einer großen Leb¬ haftigkeit und Naturtreue dargestellt; im allgemeinen thut aber doch der Mangel an stylistischer Correctheit und harmonischer Bildung diesen Vorzügen großen Abbruch. Schulzenhannch en oder das Freien auf dem Lande. Eine das ganze Ehe- mit Familienleben des Landmanns beleuchtende Volksschrist, nach der Wirklichkeit gezeichnet von Gotth. Mor. Rocke. — Leipzig. Reclam.— Der Verfasser hat sich Jeremias Gotthelf zum Vorbild genommen, und er ist von allen Nachahmern dieses Dichters, die uns vorgekommen sind, einer

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/374
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/374>, abgerufen am 01.07.2024.