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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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als demokratische Sympathien finden. Der Versuch, im Gegensatz gegen diese
aristokratische Familie eine Handwerkerfamilie auszuführen, führt im Anfang zu sehr
schönen Darstellungen. Der gemischte Charakter deö alten Brand, der Gefühls-
conflict seinem studirten Sohn gegenüber, ist ganz musterhaft auseinandergesetzt;
aber diese Verhältnisse werden vorzeitig in den Hintergrund gedrängt und un¬
interessante politische und lichtfreundliche Conflicte an deren Stelle geschoben. Die
Schwäche Friedrichs haben wir schon erwähnt. Das Abbrechen seiner sittlichen
Pflichten durch die Reise nach Italien finden wir sehr leichtfertig; ebenso die
plötzliche Umwandlung in der äußern Lage Regimens. Regime würde uns viel
klarer sein, und aufrichtig gesagt, auch viel interessanter, wenn sie wirkliche Gri-
sette wäre, was übrigeus Lebhaftigkeit und auch eine gewisse Tiefe deö Gefühls
gar nicht ausschließt. So würden wir eine durchgehende Parallele durch das
Buch aufstellen können, in der die Entwickelung der aristokratischen Charaktere fast
überall den Preis über die Zeichnungen der Naturen ans dem Volk gewinnen
würde. Der Abschluß des Buchs kann uns nicht befriedigen. Das Jahr -I8-i8
soll all den verschiedenen Personen, für die wir uns bisher interessirt hatten, die
aber in eine falsche Stellung zum Leben getreten waren, eine richtige Situation
verschaffen. Nun wissen wir aber, daß das Jahr 18i8 kein Abschluß war, und
daß also die Verwirrung sich nach dem Ende des Buchs eigentlich nur noch ge¬
steigert haben kann. Dieser Umstand würde schon genügen, den Nomanschrift-
steller vor einem zu engen Anschluß an die Zeitereignisse zu warnen.

Was aber anch die Fehler des Buchs sein mögen, es spricht sich ein ge¬
sunder Verstand und ein natürliches Gefühl darin aus, und wir folgen deu ein¬
zelnen Wendungen des Gedankens mit Theilnahme. Die meisten der modernen
Zeitromane beschäftigen sich mit einem ähnlichen Gegenstand, aber in keinem von
ihnen werden wir so gemüthlich angesprochen und' so wenig in unsern bessern
Gefühlen verletzt, als in den "Wandlungen".--


Erzählungen von Emma Niendorf. Stuttgart, Mänler.--

Die Anschaulichkeit in diesen Novellen ist nicht groß. Wir bleiben sehr
häufig über die Motive, welche die Charaktere in ihrem Handeln bestimmen, im
Unklare", und wir vermissen die sichere und feste Hand' die uns als Führer dienen
könnte; aber es breitet sich ein zarter phantastischer Duft, eine wirklich poetische
Atmosphäre über das Ganze, und wir werden von der Stimmung und Färbung
angesprochen, auch wo uns die Handlung und Charakteristik nicht befriedigt. --


Die weite, weite Welt. Von Elisabeth Wetherell. Deutsch von Ziethen.
Leipzig, Kollmann, 6 Bde.

Dieser Roman bildet Bd. i3 bis "8 der "Amerikanischen Bibliothek", die
außerdem noch folgende Novellen enthält: "Shanuondale". Von Nevill South-


als demokratische Sympathien finden. Der Versuch, im Gegensatz gegen diese
aristokratische Familie eine Handwerkerfamilie auszuführen, führt im Anfang zu sehr
schönen Darstellungen. Der gemischte Charakter deö alten Brand, der Gefühls-
conflict seinem studirten Sohn gegenüber, ist ganz musterhaft auseinandergesetzt;
aber diese Verhältnisse werden vorzeitig in den Hintergrund gedrängt und un¬
interessante politische und lichtfreundliche Conflicte an deren Stelle geschoben. Die
Schwäche Friedrichs haben wir schon erwähnt. Das Abbrechen seiner sittlichen
Pflichten durch die Reise nach Italien finden wir sehr leichtfertig; ebenso die
plötzliche Umwandlung in der äußern Lage Regimens. Regime würde uns viel
klarer sein, und aufrichtig gesagt, auch viel interessanter, wenn sie wirkliche Gri-
sette wäre, was übrigeus Lebhaftigkeit und auch eine gewisse Tiefe deö Gefühls
gar nicht ausschließt. So würden wir eine durchgehende Parallele durch das
Buch aufstellen können, in der die Entwickelung der aristokratischen Charaktere fast
überall den Preis über die Zeichnungen der Naturen ans dem Volk gewinnen
würde. Der Abschluß des Buchs kann uns nicht befriedigen. Das Jahr -I8-i8
soll all den verschiedenen Personen, für die wir uns bisher interessirt hatten, die
aber in eine falsche Stellung zum Leben getreten waren, eine richtige Situation
verschaffen. Nun wissen wir aber, daß das Jahr 18i8 kein Abschluß war, und
daß also die Verwirrung sich nach dem Ende des Buchs eigentlich nur noch ge¬
steigert haben kann. Dieser Umstand würde schon genügen, den Nomanschrift-
steller vor einem zu engen Anschluß an die Zeitereignisse zu warnen.

Was aber anch die Fehler des Buchs sein mögen, es spricht sich ein ge¬
sunder Verstand und ein natürliches Gefühl darin aus, und wir folgen deu ein¬
zelnen Wendungen des Gedankens mit Theilnahme. Die meisten der modernen
Zeitromane beschäftigen sich mit einem ähnlichen Gegenstand, aber in keinem von
ihnen werden wir so gemüthlich angesprochen und' so wenig in unsern bessern
Gefühlen verletzt, als in den „Wandlungen".—


Erzählungen von Emma Niendorf. Stuttgart, Mänler.—

Die Anschaulichkeit in diesen Novellen ist nicht groß. Wir bleiben sehr
häufig über die Motive, welche die Charaktere in ihrem Handeln bestimmen, im
Unklare», und wir vermissen die sichere und feste Hand' die uns als Führer dienen
könnte; aber es breitet sich ein zarter phantastischer Duft, eine wirklich poetische
Atmosphäre über das Ganze, und wir werden von der Stimmung und Färbung
angesprochen, auch wo uns die Handlung und Charakteristik nicht befriedigt. —


Die weite, weite Welt. Von Elisabeth Wetherell. Deutsch von Ziethen.
Leipzig, Kollmann, 6 Bde.

Dieser Roman bildet Bd. i3 bis »8 der „Amerikanischen Bibliothek", die
außerdem noch folgende Novellen enthält: „Shanuondale". Von Nevill South-


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[0372] als demokratische Sympathien finden. Der Versuch, im Gegensatz gegen diese aristokratische Familie eine Handwerkerfamilie auszuführen, führt im Anfang zu sehr schönen Darstellungen. Der gemischte Charakter deö alten Brand, der Gefühls- conflict seinem studirten Sohn gegenüber, ist ganz musterhaft auseinandergesetzt; aber diese Verhältnisse werden vorzeitig in den Hintergrund gedrängt und un¬ interessante politische und lichtfreundliche Conflicte an deren Stelle geschoben. Die Schwäche Friedrichs haben wir schon erwähnt. Das Abbrechen seiner sittlichen Pflichten durch die Reise nach Italien finden wir sehr leichtfertig; ebenso die plötzliche Umwandlung in der äußern Lage Regimens. Regime würde uns viel klarer sein, und aufrichtig gesagt, auch viel interessanter, wenn sie wirkliche Gri- sette wäre, was übrigeus Lebhaftigkeit und auch eine gewisse Tiefe deö Gefühls gar nicht ausschließt. So würden wir eine durchgehende Parallele durch das Buch aufstellen können, in der die Entwickelung der aristokratischen Charaktere fast überall den Preis über die Zeichnungen der Naturen ans dem Volk gewinnen würde. Der Abschluß des Buchs kann uns nicht befriedigen. Das Jahr -I8-i8 soll all den verschiedenen Personen, für die wir uns bisher interessirt hatten, die aber in eine falsche Stellung zum Leben getreten waren, eine richtige Situation verschaffen. Nun wissen wir aber, daß das Jahr 18i8 kein Abschluß war, und daß also die Verwirrung sich nach dem Ende des Buchs eigentlich nur noch ge¬ steigert haben kann. Dieser Umstand würde schon genügen, den Nomanschrift- steller vor einem zu engen Anschluß an die Zeitereignisse zu warnen. Was aber anch die Fehler des Buchs sein mögen, es spricht sich ein ge¬ sunder Verstand und ein natürliches Gefühl darin aus, und wir folgen deu ein¬ zelnen Wendungen des Gedankens mit Theilnahme. Die meisten der modernen Zeitromane beschäftigen sich mit einem ähnlichen Gegenstand, aber in keinem von ihnen werden wir so gemüthlich angesprochen und' so wenig in unsern bessern Gefühlen verletzt, als in den „Wandlungen".— Erzählungen von Emma Niendorf. Stuttgart, Mänler.— Die Anschaulichkeit in diesen Novellen ist nicht groß. Wir bleiben sehr häufig über die Motive, welche die Charaktere in ihrem Handeln bestimmen, im Unklare», und wir vermissen die sichere und feste Hand' die uns als Führer dienen könnte; aber es breitet sich ein zarter phantastischer Duft, eine wirklich poetische Atmosphäre über das Ganze, und wir werden von der Stimmung und Färbung angesprochen, auch wo uns die Handlung und Charakteristik nicht befriedigt. — Die weite, weite Welt. Von Elisabeth Wetherell. Deutsch von Ziethen. Leipzig, Kollmann, 6 Bde. Dieser Roman bildet Bd. i3 bis »8 der „Amerikanischen Bibliothek", die außerdem noch folgende Novellen enthält: „Shanuondale". Von Nevill South-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/372>, abgerufen am 03.07.2024.