Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.Presse auch heftig genug getadelt hat. Lord Aberdeen weiß also recht gut, daß Wenn wir aber von diesen beiden Nechnungsfehlcrn absehen, so können wir Mit einer wahren Frende haben wir die zweite Schrift gelesen. Es begeg¬ Presse auch heftig genug getadelt hat. Lord Aberdeen weiß also recht gut, daß Wenn wir aber von diesen beiden Nechnungsfehlcrn absehen, so können wir Mit einer wahren Frende haben wir die zweite Schrift gelesen. Es begeg¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0357" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/96532"/> <p xml:id="ID_1252" prev="#ID_1251"> Presse auch heftig genug getadelt hat. Lord Aberdeen weiß also recht gut, daß<lb/> die öffentliche Meinung in England sich nnr scheinbar gegen ihn wendet, daß auch<lb/> in ihr die kleinen Interessen über das Nationalgefühl das Uebergewicht haben und<lb/> das ist ein schlimmes Zeichen für einen so stolzen Staat.</p><lb/> <p xml:id="ID_1253"> Wenn wir aber von diesen beiden Nechnungsfehlcrn absehen, so können wir<lb/> Herrn Diezel nnr loben. Zwar macht er auch damit den Anfang, seine gewöhn¬<lb/> liche Methode des Racengegcnsatzes ans die Bildung des russischen Staates in<lb/> Anwendung zubringen, aber er läßt sie sehr bald fallen und geht von den wirk¬<lb/> lichen Thatsachen der Politik aus. Seine Schrift ist mit offenbarer Bezugnahme<lb/> ans Bruno Bauer abgefaßt, den er in allen Punkten auf das glänzendste wider¬<lb/> legt. Zwar hätte er auch hier besser gethan, seine Neigung zu Verallgemeinerun¬<lb/> gen zu unterdrücken, er hätte über die slavische Nationalität nicht so ohne wei¬<lb/> teres den Stab brechen sollen, da die Versuche, welche die Weltgeschichte mit ihr<lb/> anstellt, noch keineswegs am Ziele sind; aber die specifisch russischen Verhältnisse,<lb/> die Art, wie Rußland sich der germanischen Cultur bedient hat, und<lb/> sein Verhältniß zur Türkei ist mit großem Scharfsinn und völliger Naturwahrheit<lb/> dargestellt. Wir stimmen fast mit allem Einzelnen überein, und geben auch die<lb/> Anwendung zu, die Herr Diezel von der orientalischen Frage auf Deutschland<lb/> macht. „Wenn der Gegensatz gegen Rußland der Nation nicht zum Anlaß wird,<lb/> sich zusammenzufassen nud ans der Zersplitterung zu einem neuen nationalen Leben<lb/> zu gelangen, dann ist diese Hoffnung sür ewige Zeiten eine Chimäre, nud die¬<lb/> jenigen haben recht gehabt, welche das Auseinanderfallen Deutschlands »ud<lb/> die Verstärkung der Nachbarstaaten durch seine einzelnen Theile geweissagt<lb/> haben. Dann versinkt der Kontinent ans Jahrhunderte hinaus in Todesschlaf<lb/> und im buchstäblichen Sinn und mit reißender Eile erfüllt sich das Wort: „Hin<lb/> nach Westen flicht die Weltgeschichte." — Wenn nnr diese ernste Auffassung der<lb/> Dinge bei Herrn Diezel und seinen Parteigenossen Veranlassung geben möchte,<lb/> darüber nachzudenken, auf welche Weise Deutschland sich zusammenraffen sollte. —</p><lb/> <p xml:id="ID_1254" next="#ID_1255"> Mit einer wahren Frende haben wir die zweite Schrift gelesen. Es begeg¬<lb/> net den Grenzboten selten, daß sie unbedingt loben können; hier aber wüßten<lb/> wir, einige Schlußfolgerungen abgerechnet, ans die wir später hindeuten werde»,<lb/> nicht das geringste einzuwenden. Die wahrhaftigen Grundsätze der Politik sind<lb/> mit scharfer Präcision, mit einer vollkommenen Unbefangenheit gegen die Voraus¬<lb/> setzungen der Menge, mit einer sorgsamen Beobachtung der augenblicklichen Ver¬<lb/> hältnisse und dabei mit einer Kraft und Energie dargestellt, die bei der allgemei¬<lb/> nen Neigung unserer Zeit zur Blastrtheit etwas Bewundernswürdiges hat. Frei¬<lb/> lich soll man nicht erwarten, auf jeder Seite einen neuen Gedanken anzu¬<lb/> treffen, der bisher noch niemals ausgesprochen wäre. Die Wahrheit tritt wol<lb/> immer von Zeit zu Zeit hervor, es kommt nnr darauf an, sie in einer schlagenden<lb/> Form zur Consequenz zu entwickeln und sie der Lüge gegenüberzustellen. Wir</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0357]
Presse auch heftig genug getadelt hat. Lord Aberdeen weiß also recht gut, daß
die öffentliche Meinung in England sich nnr scheinbar gegen ihn wendet, daß auch
in ihr die kleinen Interessen über das Nationalgefühl das Uebergewicht haben und
das ist ein schlimmes Zeichen für einen so stolzen Staat.
Wenn wir aber von diesen beiden Nechnungsfehlcrn absehen, so können wir
Herrn Diezel nnr loben. Zwar macht er auch damit den Anfang, seine gewöhn¬
liche Methode des Racengegcnsatzes ans die Bildung des russischen Staates in
Anwendung zubringen, aber er läßt sie sehr bald fallen und geht von den wirk¬
lichen Thatsachen der Politik aus. Seine Schrift ist mit offenbarer Bezugnahme
ans Bruno Bauer abgefaßt, den er in allen Punkten auf das glänzendste wider¬
legt. Zwar hätte er auch hier besser gethan, seine Neigung zu Verallgemeinerun¬
gen zu unterdrücken, er hätte über die slavische Nationalität nicht so ohne wei¬
teres den Stab brechen sollen, da die Versuche, welche die Weltgeschichte mit ihr
anstellt, noch keineswegs am Ziele sind; aber die specifisch russischen Verhältnisse,
die Art, wie Rußland sich der germanischen Cultur bedient hat, und
sein Verhältniß zur Türkei ist mit großem Scharfsinn und völliger Naturwahrheit
dargestellt. Wir stimmen fast mit allem Einzelnen überein, und geben auch die
Anwendung zu, die Herr Diezel von der orientalischen Frage auf Deutschland
macht. „Wenn der Gegensatz gegen Rußland der Nation nicht zum Anlaß wird,
sich zusammenzufassen nud ans der Zersplitterung zu einem neuen nationalen Leben
zu gelangen, dann ist diese Hoffnung sür ewige Zeiten eine Chimäre, nud die¬
jenigen haben recht gehabt, welche das Auseinanderfallen Deutschlands »ud
die Verstärkung der Nachbarstaaten durch seine einzelnen Theile geweissagt
haben. Dann versinkt der Kontinent ans Jahrhunderte hinaus in Todesschlaf
und im buchstäblichen Sinn und mit reißender Eile erfüllt sich das Wort: „Hin
nach Westen flicht die Weltgeschichte." — Wenn nnr diese ernste Auffassung der
Dinge bei Herrn Diezel und seinen Parteigenossen Veranlassung geben möchte,
darüber nachzudenken, auf welche Weise Deutschland sich zusammenraffen sollte. —
Mit einer wahren Frende haben wir die zweite Schrift gelesen. Es begeg¬
net den Grenzboten selten, daß sie unbedingt loben können; hier aber wüßten
wir, einige Schlußfolgerungen abgerechnet, ans die wir später hindeuten werde»,
nicht das geringste einzuwenden. Die wahrhaftigen Grundsätze der Politik sind
mit scharfer Präcision, mit einer vollkommenen Unbefangenheit gegen die Voraus¬
setzungen der Menge, mit einer sorgsamen Beobachtung der augenblicklichen Ver¬
hältnisse und dabei mit einer Kraft und Energie dargestellt, die bei der allgemei¬
nen Neigung unserer Zeit zur Blastrtheit etwas Bewundernswürdiges hat. Frei¬
lich soll man nicht erwarten, auf jeder Seite einen neuen Gedanken anzu¬
treffen, der bisher noch niemals ausgesprochen wäre. Die Wahrheit tritt wol
immer von Zeit zu Zeit hervor, es kommt nnr darauf an, sie in einer schlagenden
Form zur Consequenz zu entwickeln und sie der Lüge gegenüberzustellen. Wir
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