Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.Von Moskau weg befand sich Beyle am Abende des dritten Tages des Rück¬ Während des Rückzuges hatte Beyle nicht zu sehr an Hunger gelitten, doch Er hatte aus Moskau den Band von Voltaires Schwänken in rothen Ma¬ Eines Morgens unweit von der Beresina stellte er sich Herrn D. rasirt und Herr B>, Staatsrathscmditeur erzählte mir, daß er Beyle das Leben ver¬ Im Jahre 1813 war Beyle unfreiwilliger Zeuge von der Unordnung einer Grenzboten. III. 18S3. 43
Von Moskau weg befand sich Beyle am Abende des dritten Tages des Rück¬ Während des Rückzuges hatte Beyle nicht zu sehr an Hunger gelitten, doch Er hatte aus Moskau den Band von Voltaires Schwänken in rothen Ma¬ Eines Morgens unweit von der Beresina stellte er sich Herrn D. rasirt und Herr B>, Staatsrathscmditeur erzählte mir, daß er Beyle das Leben ver¬ Im Jahre 1813 war Beyle unfreiwilliger Zeuge von der Unordnung einer Grenzboten. III. 18S3. 43
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0343" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/96518"/> <p xml:id="ID_1198"> Von Moskau weg befand sich Beyle am Abende des dritten Tages des Rück¬<lb/> zuges mit ungefähr fünfzehnhundert Mann vom Gros der Armee durch ein be¬<lb/> trächtliches russisches Corps abgeschnitten. Man verbrachte einen Theil der Nacht<lb/> damit wehzuklagen, dann munterten die Energischen die Feiglinge auf und suchten<lb/> sie zu bewegen, sich mit dem Schwerte in der Hand einen Weg zu bahnen, sowie<lb/> der Tag gestattete, den Feind wahrzunehmen. Eine andere Gattung militärischer<lb/> Anrede: „las no eem-MIes, ihr werdet alle todt sein morgen, denn ihr seid zu<lb/> sehr ^san k —, um das Gewehr zu ergreifen und euch seiner zu bedienen u. f. w."<lb/> Diese sublimen Worte hatten ihren Eindruck nicht verfehlt und mit Tagesanbruch<lb/> rückte man entschlossen auf die Russen los, deren Bivouacfeuer man noch brennen<lb/> sah. Man gelangt unentdeckt hin und findet einen Hund ganz allein. Die<lb/> Russen waren während der Nacht fortgezogen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1199"> Während des Rückzuges hatte Beyle nicht zu sehr an Hunger gelitten, doch<lb/> war es ihm platterdings unmöglich sich zu erinnern, wie er sich zu essen verschafft<lb/> und was er gegessen. Doch erinnerte er sich eines Stücks Unschlitt, wofür er<lb/> zwanzig Franken bezahlte und dessen er mit vieler Wonne gedachte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1200"> Er hatte aus Moskau den Band von Voltaires Schwänken in rothen Ma¬<lb/> roquin gebunden mitgebracht, den er in einem brennenden Hause genommen.<lb/> Seine Kameraden fanden diese Handlung leichtfertig: eine prachtvolle Ausgabe<lb/> zu verstümmeln! Er selbst fühlte eine Art von Gewissensbissen darüber.</p><lb/> <p xml:id="ID_1201"> Eines Morgens unweit von der Beresina stellte er sich Herrn D. rasirt und<lb/> mit einiger Sorgfalt gekleidet, vor. „Sie haben sich den Bart rasirt!" sagte ihm<lb/> Herr D. „Sie sind ein muthiger Mann."</p><lb/> <p xml:id="ID_1202"> Herr B>, Staatsrathscmditeur erzählte mir, daß er Beyle das Leben ver¬<lb/> danke. Die Ueberfüllung der Brücken voraussehend, hatte ihn dieser gezwungen,<lb/> die Berezina am Tage vor der Niederlage zu Passiren. Er mußte nahezu Ge¬<lb/> walt anwenden ihn zu bewegen einige hundert Schritte zu machen. Herr B.<lb/> lobte die Kaltblütigkeit Beyles und seinen richtigen Sinn, der ihn nie verließ,<lb/> selbst in Augenblicken, wo die Entschlossensten den Kopf verloren.</p><lb/> <p xml:id="ID_1203" next="#ID_1204"> Im Jahre 1813 war Beyle unfreiwilliger Zeuge von der Unordnung einer<lb/> ganzen Brigade die unvermuthet von fünf Kosacken angegriffen wurde. Beyle<lb/> sah ungefähr zweitausend Menschen die Flucht ergreisen und darunter fünf Gene¬<lb/> rale, die er an ihren gestickten Hüten erkannte. Er lief wie die andern, aber<lb/> schlecht, weil er mir einen Fuß bekleidet hatte und den andern Stiefel in der<lb/> Hand trug. In diesem ganzen französischen Corps befanden sich blos zwei Sol¬<lb/> daten, welche den Kosacken Standhielten: ein Gendarme, Namens Menneval, und<lb/> ein Recrut, welcher das Pferd des Gendarmes niederschoß, indem er aus den<lb/> Kosacken schießen wollte. B. wurde beauftragt, diese Geschichte dem Kaiser zu er¬<lb/> zählen, der sie mit innerer Wuth anhörte, indem er eine jener Riesenstangen drehte,<lb/> welche dazu dienen die Jalousien zu befestigen. Man suchte den Gendarmen</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. III. 18S3. 43</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0343]
Von Moskau weg befand sich Beyle am Abende des dritten Tages des Rück¬
zuges mit ungefähr fünfzehnhundert Mann vom Gros der Armee durch ein be¬
trächtliches russisches Corps abgeschnitten. Man verbrachte einen Theil der Nacht
damit wehzuklagen, dann munterten die Energischen die Feiglinge auf und suchten
sie zu bewegen, sich mit dem Schwerte in der Hand einen Weg zu bahnen, sowie
der Tag gestattete, den Feind wahrzunehmen. Eine andere Gattung militärischer
Anrede: „las no eem-MIes, ihr werdet alle todt sein morgen, denn ihr seid zu
sehr ^san k —, um das Gewehr zu ergreifen und euch seiner zu bedienen u. f. w."
Diese sublimen Worte hatten ihren Eindruck nicht verfehlt und mit Tagesanbruch
rückte man entschlossen auf die Russen los, deren Bivouacfeuer man noch brennen
sah. Man gelangt unentdeckt hin und findet einen Hund ganz allein. Die
Russen waren während der Nacht fortgezogen.
Während des Rückzuges hatte Beyle nicht zu sehr an Hunger gelitten, doch
war es ihm platterdings unmöglich sich zu erinnern, wie er sich zu essen verschafft
und was er gegessen. Doch erinnerte er sich eines Stücks Unschlitt, wofür er
zwanzig Franken bezahlte und dessen er mit vieler Wonne gedachte.
Er hatte aus Moskau den Band von Voltaires Schwänken in rothen Ma¬
roquin gebunden mitgebracht, den er in einem brennenden Hause genommen.
Seine Kameraden fanden diese Handlung leichtfertig: eine prachtvolle Ausgabe
zu verstümmeln! Er selbst fühlte eine Art von Gewissensbissen darüber.
Eines Morgens unweit von der Beresina stellte er sich Herrn D. rasirt und
mit einiger Sorgfalt gekleidet, vor. „Sie haben sich den Bart rasirt!" sagte ihm
Herr D. „Sie sind ein muthiger Mann."
Herr B>, Staatsrathscmditeur erzählte mir, daß er Beyle das Leben ver¬
danke. Die Ueberfüllung der Brücken voraussehend, hatte ihn dieser gezwungen,
die Berezina am Tage vor der Niederlage zu Passiren. Er mußte nahezu Ge¬
walt anwenden ihn zu bewegen einige hundert Schritte zu machen. Herr B.
lobte die Kaltblütigkeit Beyles und seinen richtigen Sinn, der ihn nie verließ,
selbst in Augenblicken, wo die Entschlossensten den Kopf verloren.
Im Jahre 1813 war Beyle unfreiwilliger Zeuge von der Unordnung einer
ganzen Brigade die unvermuthet von fünf Kosacken angegriffen wurde. Beyle
sah ungefähr zweitausend Menschen die Flucht ergreisen und darunter fünf Gene¬
rale, die er an ihren gestickten Hüten erkannte. Er lief wie die andern, aber
schlecht, weil er mir einen Fuß bekleidet hatte und den andern Stiefel in der
Hand trug. In diesem ganzen französischen Corps befanden sich blos zwei Sol¬
daten, welche den Kosacken Standhielten: ein Gendarme, Namens Menneval, und
ein Recrut, welcher das Pferd des Gendarmes niederschoß, indem er aus den
Kosacken schießen wollte. B. wurde beauftragt, diese Geschichte dem Kaiser zu er¬
zählen, der sie mit innerer Wuth anhörte, indem er eine jener Riesenstangen drehte,
welche dazu dienen die Jalousien zu befestigen. Man suchte den Gendarmen
Grenzboten. III. 18S3. 43
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |