Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.Schmuggler: spanische Weine, Gewürze und Taback nach Bayonne. Am Ufer Ustaritz, der Hauptort des Districts Labour, war nämlich früher das Rom Und im Herbst, wenn der Segen des Jahres geerntet war und die katholische Das ist vorbei; die Revolution von 89 hat auch in den Gebirgsthälern des Schmuggler: spanische Weine, Gewürze und Taback nach Bayonne. Am Ufer Ustaritz, der Hauptort des Districts Labour, war nämlich früher das Rom Und im Herbst, wenn der Segen des Jahres geerntet war und die katholische Das ist vorbei; die Revolution von 89 hat auch in den Gebirgsthälern des <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0328" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/96503"/> <p xml:id="ID_1121" prev="#ID_1120"> Schmuggler: spanische Weine, Gewürze und Taback nach Bayonne. Am Ufer<lb/> des blauen Flusses sonnen sich große Dörfer, von Gärten und Obstbäumen um¬<lb/> geben; in den Schluchten, auf den Hohen, liegen eiuzelue Gehöfte und Seunereieu,<lb/> und nirgends treten uns baskische Sitte und baskischer Sinn so liebenswürdig<lb/> entgegen, als hier — aber auch der baskische Stolz ist hier am mächtigsten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1122"> Ustaritz, der Hauptort des Districts Labour, war nämlich früher das Rom<lb/> und das Jerusalem des Baskcnvolkes. Ans dem Capitolo-Herry, einem Hügel,<lb/> der das Dorf überragt, versammelten sich zum jährlichen Bite^ar die Abgeordneten<lb/> aller baskischen Ortschaften, um Streitigkeiten zu schlichten, das Recht zu wahren,<lb/> den Verbrecher zu verurtheilen und die Verwaltung öffentlicher Angelegenheiten zu<lb/> besprechen. Uralte Eichen breiteten ihren Schatten über den heiligen Ort. Ein<lb/> Felsblock in der Mitte des Platzes diente dem Aousso-apessa (Priester des Rechts)<lb/> als Sitz; ein andrer war der Tisch des Schriftführers. Auf ihren Knotenstock<lb/> gestützt, standen die Abgesandten baarhaupt unter den Bäumen, trugen ihre<lb/> Bitten und Beschwerden vor, und was die Versammlung beschloß, war unum¬<lb/> stößlich, wie das Gesetz, das den Beschluß bestimmte. Ein geschriebenes Gesetz¬<lb/> buch hatten die Basken nicht, sie entschieden nach Ueberlieferungen und ihr<lb/> Gesetzgeber war Jauugoicou selbst, der Herr der Höhe.</p><lb/> <p xml:id="ID_1123"> Und im Herbst, wenn der Segen des Jahres geerntet war und die katholische<lb/> Christenheit zur Feier aller Seelen mit Kerzen und Kränzen an den Gräbern<lb/> kniete, zogen wieder große Scharen aus dem Gebirge und von der Küste nach<lb/> Ustaritz. In der Kirche wurde ein feierliches Hochamt gelesen; nack> der Messe<lb/> ließ der Aousso-apessa einen Lorbcerzweig und ein Olivenreis weihen und dann<lb/> begann die Procession. Voran gingen der Aousso-apessa und der Pfarrer, dann<lb/> kam der Tambourinschläger, der Flöten- und Geigenspieler, die des Muchico<lb/> uralte monotone Weise ertönen ließen. Paarweise folgten die Männer, die<lb/> Jünglinge, die Frauen, die Mädchen und endlich die Kiuder. Dreimal zogen sie<lb/> schweigend um den Gottesacker, aber sobald der Pfarrer mit dem Allerheiligsten in<lb/> die Sacristei zurückgekehrt war, ergriffen sich alle bei den Händen, und nun begann<lb/> der feierliche Rnudtanz zu Ehren der Todten. In der bilderreichen Sprache der<lb/> Basken, nach der einfachen Melodie des Mnchico, sang jeder seine Freuden und<lb/> Leiden: Hoffnung und Verzweiflung, Sehnsucht und Entzücken, Trost und Klage<lb/> sprach ans den Worten, den Bewegungen, den Blicken; der Herzschlag des<lb/> Volkes wurde zum Liede, das Leben des Volkes stellte der Neigen dar, der in<lb/> seinem ernsten Rythmus jeder Eigenthümlichkeit besondern Ausdruck gestattete.<lb/> Christenthum und Heidenthum reichten sich einträchtig die Hand, und der Geist<lb/> der Vorzeit feierte in diesen Festen alljährlich seine Auferstehung.</p><lb/> <p xml:id="ID_1124" next="#ID_1125"> Das ist vorbei; die Revolution von 89 hat auch in den Gebirgsthälern des<lb/> Baskenlandeö ihre nivellirende Macht bewiesen. Es wird kein Bil^ar mehr gehalten,<lb/> auf dem Capitolo-Herry ist der „Altar des Gerichts" zertrümmert und der Muchico</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0328]
Schmuggler: spanische Weine, Gewürze und Taback nach Bayonne. Am Ufer
des blauen Flusses sonnen sich große Dörfer, von Gärten und Obstbäumen um¬
geben; in den Schluchten, auf den Hohen, liegen eiuzelue Gehöfte und Seunereieu,
und nirgends treten uns baskische Sitte und baskischer Sinn so liebenswürdig
entgegen, als hier — aber auch der baskische Stolz ist hier am mächtigsten.
Ustaritz, der Hauptort des Districts Labour, war nämlich früher das Rom
und das Jerusalem des Baskcnvolkes. Ans dem Capitolo-Herry, einem Hügel,
der das Dorf überragt, versammelten sich zum jährlichen Bite^ar die Abgeordneten
aller baskischen Ortschaften, um Streitigkeiten zu schlichten, das Recht zu wahren,
den Verbrecher zu verurtheilen und die Verwaltung öffentlicher Angelegenheiten zu
besprechen. Uralte Eichen breiteten ihren Schatten über den heiligen Ort. Ein
Felsblock in der Mitte des Platzes diente dem Aousso-apessa (Priester des Rechts)
als Sitz; ein andrer war der Tisch des Schriftführers. Auf ihren Knotenstock
gestützt, standen die Abgesandten baarhaupt unter den Bäumen, trugen ihre
Bitten und Beschwerden vor, und was die Versammlung beschloß, war unum¬
stößlich, wie das Gesetz, das den Beschluß bestimmte. Ein geschriebenes Gesetz¬
buch hatten die Basken nicht, sie entschieden nach Ueberlieferungen und ihr
Gesetzgeber war Jauugoicou selbst, der Herr der Höhe.
Und im Herbst, wenn der Segen des Jahres geerntet war und die katholische
Christenheit zur Feier aller Seelen mit Kerzen und Kränzen an den Gräbern
kniete, zogen wieder große Scharen aus dem Gebirge und von der Küste nach
Ustaritz. In der Kirche wurde ein feierliches Hochamt gelesen; nack> der Messe
ließ der Aousso-apessa einen Lorbcerzweig und ein Olivenreis weihen und dann
begann die Procession. Voran gingen der Aousso-apessa und der Pfarrer, dann
kam der Tambourinschläger, der Flöten- und Geigenspieler, die des Muchico
uralte monotone Weise ertönen ließen. Paarweise folgten die Männer, die
Jünglinge, die Frauen, die Mädchen und endlich die Kiuder. Dreimal zogen sie
schweigend um den Gottesacker, aber sobald der Pfarrer mit dem Allerheiligsten in
die Sacristei zurückgekehrt war, ergriffen sich alle bei den Händen, und nun begann
der feierliche Rnudtanz zu Ehren der Todten. In der bilderreichen Sprache der
Basken, nach der einfachen Melodie des Mnchico, sang jeder seine Freuden und
Leiden: Hoffnung und Verzweiflung, Sehnsucht und Entzücken, Trost und Klage
sprach ans den Worten, den Bewegungen, den Blicken; der Herzschlag des
Volkes wurde zum Liede, das Leben des Volkes stellte der Neigen dar, der in
seinem ernsten Rythmus jeder Eigenthümlichkeit besondern Ausdruck gestattete.
Christenthum und Heidenthum reichten sich einträchtig die Hand, und der Geist
der Vorzeit feierte in diesen Festen alljährlich seine Auferstehung.
Das ist vorbei; die Revolution von 89 hat auch in den Gebirgsthälern des
Baskenlandeö ihre nivellirende Macht bewiesen. Es wird kein Bil^ar mehr gehalten,
auf dem Capitolo-Herry ist der „Altar des Gerichts" zertrümmert und der Muchico
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