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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Ancillon, Basnage, de Vignollcs, Pellontier, Formey traten in die Berliner Aka¬
demien und stifteten 1696 das Nouveau .lourrml clos Savants. Preußen wurde
damals, was es seitdem trotz einiger Abirrungen immer geblieben ist, das Asyl
der freien Wissenschaft. Die französische Kolonie hatte bis 1808 ihre besondere
Verfassung, und bildete lange einen streng gesonderten Theil der Berliner Bürger¬
schaft; jetzt ist sie aber vollständig, sehr häufig sogar bis auf die Namen, germa-
nistrt. Aber sie hat der deutschen Wissenschaft und Kunst mehre Celebritäten
gegeben. Alexander". Humboldts Mutter stammte aus der französischen Kolonie;
Ancillon, der politische Schriftsteller und Staatsmann, Savigny, der berühmte
Jurist, der Philosoph Michelet und der Dichter La Motte Fonqus sind unmittel¬
bar aus ihr hervorgegangen.

Holland, das schon seit langer Zeit den schönen Ruhm besaß, die Zuflucht
politisch Verfolgter zu sein, zeigte sich uicht weniger beeifert, als Preußen, von
dem ungeheuern politischen Fehler Ludwigs XIV. Nutzen zu ziehen. Der Prinz
von Oranien, der seine Angen schon auf die englische Krone gerichtet hatte, be¬
griff auf der Stelle, mit welchen Mittel" die militärische Emigration Frankreichs
seine Pläne unterstützen könnte; er ließ sich von den Generalstaaten 180,000 Fi.
für die französischen Offiziere bewilligen, und sorgte mit gleicher Sorgfalt
für die Gewerbs- und Kaufleute. Der französische Gesandte in Holland, der
Graf dAvaux, erkannte die großen Nachtheile, welche Frankreich sich durch seine
Unduldsamkeit zuzog, nud machte dem König deshalb Vorstellungen; aber
Ludwig XIV. sah in den Berichten seines Gesandten nur die Wirkungen einer
kranken Einbildung. Blos in dem Jahre 1686 wanderten 75,000 neue fran¬
zösische Flüchtlinge in die vereinigten Provinzen ein, und da es den meisten trotz
der Anstrengungen der französischen Regierung gelungen war, ihr Vermögen vor
ihrer Auswanderung flüssig zu machen, so entstand in Holland ein so großer
Ueberfluß an Geld, daß 1687 der Zinsensatz in Amsterdam auf 2"/<> "ud
diese Stadt allein den französischen Protestanten 130,000 Fi. Leibrenten zahlte.

In ihrem Einfluß auf Handel und Industrie war die französische Einwan¬
derung nicht weniger bedeutend. In Harlem entstanden Fabriken reicher
Seidenstoffe; Amsterdam!, das bis dahin ausschließlich Seehandelsstadt gewesen,
wurde in einigen Jahren eine der wichtigsten Fabrikstädte Europas. In kurzer
Zeit brachte Holland für Mill. Fi. Uhren, Spitzen, Seidenstoffe, Hand¬
schuhe, Kurzwaaren, Bijouterie u. s. w., die es bisher aus Frankreich bezogen,
selbst hervor. Selbst die Kolonien nahmen an den wohlthätigen Folgen der
Einwanderung Theil. 3000 französische Refugies siedelten sich ans dem Kap der
guten Hoffnung an, und führten dort den Weinbau ein, der jetzt noch eine Quelle
des Reichthums für die Kolonie ist. Zum Schluß darf nicht vergessen werden,
daß Holland seit der Aufhebung des Edicts von Nantes das Hanptasyl der
Oppositiouspresse gegen die französische Negierung wurde.


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Ancillon, Basnage, de Vignollcs, Pellontier, Formey traten in die Berliner Aka¬
demien und stifteten 1696 das Nouveau .lourrml clos Savants. Preußen wurde
damals, was es seitdem trotz einiger Abirrungen immer geblieben ist, das Asyl
der freien Wissenschaft. Die französische Kolonie hatte bis 1808 ihre besondere
Verfassung, und bildete lange einen streng gesonderten Theil der Berliner Bürger¬
schaft; jetzt ist sie aber vollständig, sehr häufig sogar bis auf die Namen, germa-
nistrt. Aber sie hat der deutschen Wissenschaft und Kunst mehre Celebritäten
gegeben. Alexander». Humboldts Mutter stammte aus der französischen Kolonie;
Ancillon, der politische Schriftsteller und Staatsmann, Savigny, der berühmte
Jurist, der Philosoph Michelet und der Dichter La Motte Fonqus sind unmittel¬
bar aus ihr hervorgegangen.

Holland, das schon seit langer Zeit den schönen Ruhm besaß, die Zuflucht
politisch Verfolgter zu sein, zeigte sich uicht weniger beeifert, als Preußen, von
dem ungeheuern politischen Fehler Ludwigs XIV. Nutzen zu ziehen. Der Prinz
von Oranien, der seine Angen schon auf die englische Krone gerichtet hatte, be¬
griff auf der Stelle, mit welchen Mittel» die militärische Emigration Frankreichs
seine Pläne unterstützen könnte; er ließ sich von den Generalstaaten 180,000 Fi.
für die französischen Offiziere bewilligen, und sorgte mit gleicher Sorgfalt
für die Gewerbs- und Kaufleute. Der französische Gesandte in Holland, der
Graf dAvaux, erkannte die großen Nachtheile, welche Frankreich sich durch seine
Unduldsamkeit zuzog, nud machte dem König deshalb Vorstellungen; aber
Ludwig XIV. sah in den Berichten seines Gesandten nur die Wirkungen einer
kranken Einbildung. Blos in dem Jahre 1686 wanderten 75,000 neue fran¬
zösische Flüchtlinge in die vereinigten Provinzen ein, und da es den meisten trotz
der Anstrengungen der französischen Regierung gelungen war, ihr Vermögen vor
ihrer Auswanderung flüssig zu machen, so entstand in Holland ein so großer
Ueberfluß an Geld, daß 1687 der Zinsensatz in Amsterdam auf 2"/<> „ud
diese Stadt allein den französischen Protestanten 130,000 Fi. Leibrenten zahlte.

In ihrem Einfluß auf Handel und Industrie war die französische Einwan¬
derung nicht weniger bedeutend. In Harlem entstanden Fabriken reicher
Seidenstoffe; Amsterdam!, das bis dahin ausschließlich Seehandelsstadt gewesen,
wurde in einigen Jahren eine der wichtigsten Fabrikstädte Europas. In kurzer
Zeit brachte Holland für Mill. Fi. Uhren, Spitzen, Seidenstoffe, Hand¬
schuhe, Kurzwaaren, Bijouterie u. s. w., die es bisher aus Frankreich bezogen,
selbst hervor. Selbst die Kolonien nahmen an den wohlthätigen Folgen der
Einwanderung Theil. 3000 französische Refugies siedelten sich ans dem Kap der
guten Hoffnung an, und führten dort den Weinbau ein, der jetzt noch eine Quelle
des Reichthums für die Kolonie ist. Zum Schluß darf nicht vergessen werden,
daß Holland seit der Aufhebung des Edicts von Nantes das Hanptasyl der
Oppositiouspresse gegen die französische Negierung wurde.


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[0321] Ancillon, Basnage, de Vignollcs, Pellontier, Formey traten in die Berliner Aka¬ demien und stifteten 1696 das Nouveau .lourrml clos Savants. Preußen wurde damals, was es seitdem trotz einiger Abirrungen immer geblieben ist, das Asyl der freien Wissenschaft. Die französische Kolonie hatte bis 1808 ihre besondere Verfassung, und bildete lange einen streng gesonderten Theil der Berliner Bürger¬ schaft; jetzt ist sie aber vollständig, sehr häufig sogar bis auf die Namen, germa- nistrt. Aber sie hat der deutschen Wissenschaft und Kunst mehre Celebritäten gegeben. Alexander». Humboldts Mutter stammte aus der französischen Kolonie; Ancillon, der politische Schriftsteller und Staatsmann, Savigny, der berühmte Jurist, der Philosoph Michelet und der Dichter La Motte Fonqus sind unmittel¬ bar aus ihr hervorgegangen. Holland, das schon seit langer Zeit den schönen Ruhm besaß, die Zuflucht politisch Verfolgter zu sein, zeigte sich uicht weniger beeifert, als Preußen, von dem ungeheuern politischen Fehler Ludwigs XIV. Nutzen zu ziehen. Der Prinz von Oranien, der seine Angen schon auf die englische Krone gerichtet hatte, be¬ griff auf der Stelle, mit welchen Mittel» die militärische Emigration Frankreichs seine Pläne unterstützen könnte; er ließ sich von den Generalstaaten 180,000 Fi. für die französischen Offiziere bewilligen, und sorgte mit gleicher Sorgfalt für die Gewerbs- und Kaufleute. Der französische Gesandte in Holland, der Graf dAvaux, erkannte die großen Nachtheile, welche Frankreich sich durch seine Unduldsamkeit zuzog, nud machte dem König deshalb Vorstellungen; aber Ludwig XIV. sah in den Berichten seines Gesandten nur die Wirkungen einer kranken Einbildung. Blos in dem Jahre 1686 wanderten 75,000 neue fran¬ zösische Flüchtlinge in die vereinigten Provinzen ein, und da es den meisten trotz der Anstrengungen der französischen Regierung gelungen war, ihr Vermögen vor ihrer Auswanderung flüssig zu machen, so entstand in Holland ein so großer Ueberfluß an Geld, daß 1687 der Zinsensatz in Amsterdam auf 2"/<> „ud diese Stadt allein den französischen Protestanten 130,000 Fi. Leibrenten zahlte. In ihrem Einfluß auf Handel und Industrie war die französische Einwan¬ derung nicht weniger bedeutend. In Harlem entstanden Fabriken reicher Seidenstoffe; Amsterdam!, das bis dahin ausschließlich Seehandelsstadt gewesen, wurde in einigen Jahren eine der wichtigsten Fabrikstädte Europas. In kurzer Zeit brachte Holland für Mill. Fi. Uhren, Spitzen, Seidenstoffe, Hand¬ schuhe, Kurzwaaren, Bijouterie u. s. w., die es bisher aus Frankreich bezogen, selbst hervor. Selbst die Kolonien nahmen an den wohlthätigen Folgen der Einwanderung Theil. 3000 französische Refugies siedelten sich ans dem Kap der guten Hoffnung an, und führten dort den Weinbau ein, der jetzt noch eine Quelle des Reichthums für die Kolonie ist. Zum Schluß darf nicht vergessen werden, daß Holland seit der Aufhebung des Edicts von Nantes das Hanptasyl der Oppositiouspresse gegen die französische Negierung wurde. L0'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/321>, abgerufen am 22.07.2024.