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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Gewaltthat. Man führt von ausgezeichneten Persönlichkeiten nur den Marquis
d'Aguessean, den Cardinal von Noailles, Fenelon, den Marquis von Pomponne,
Catinat, Vauban, Colbert, Saint Simon und Racine an. Der allgemeine Beifall
ermuthigte Ludwig XIV. noch weiter zu gehen. Wer von den ehemaligen Refor-
mirten wieder dem Katholicismus untreu wurde, wurde mit Auspeitschung, mit
der Galeere, mit Brandmarkung und mit dem Tode bestraft. Dieselbe Strafe
traf diejenigen, welche das Reich zu verlassen suchten. Nur dem Marschall Schon-
berg und dem Marquis v. Nuvigny wurde die Auswanderung gestattet. Als
man den 80 Jahr alten Admiral Dnquesne, einen der Schöpfer der französischen
Marine, zum Uebertritt zum Katholicismus aufforderte, wies er auf sein weißes
Haar und sagte: "Sechzig Jahre lang habe ich dem Kaiser gegeben, was des
Kaisers ist; erlaubt mir fortzufahren Gott zu geben, was Gottes ist." Er durfte
in Frankreich bleiben. Die Verfolgung befestigte nur die Reformirten in ihrem
Glauben. Kein Hinderniß konnte sie abhalten, ihr Vaterland zu meiden, um
ihre Gewissensfreiheit zw bewahren. Man mochte die Küsten, die Grenzen und
die Straßen noch so streng beaufsichtigen, Denunciationen reich belohnen, auf
das Einfangen von Flüchtlingen hohe Preise setzen, ganze Scharen auf die Ga¬
leeren schicken nud sie mit den schwersten Ketten beladen, sie schlüpften doch den
Wachen durch die Finger und selbst viele Katholiken begünstigten ihre Flucht.

Das protestantische Ausland nahm sie mit offenen Armen auf. Als ihr
eifrigster Freund zeichnete sich der große Kurfürst ans. Durch das Edict von
Potsdam (Oct. 168S) eröffnete er ihnen seinen Staat mit zahlreichen Privilegien
als unverletzliches Asyl. Seine Agenten hatten an den Grenzen ein wachsames
Auge auf alle Flüchtlinge, und forderten sie auf, sich die ihnen in Preußen dar¬
gebotenen Vortheile zu Nutze zu machen, und bald zählte der brandenburgische
Staat nicht weniger als 25,000 französische Flüchtlinge unter seinen Bürger".
Sie erhielten ausgedehnte Vorrechte. Man gestand ihnen das Bürgerrecht und
Steuerfreiheit zu, versah, sie mit Grundstücken put Handwerkszeug, und stellte sie
einen Grad höher an, als sie in Frankreich angestellt gewesen waren. Die Soldaten
bildeten fünf Regimenter, und ungefähr 600 Offiziere traten in die preußische
Armee. Sie verdankt diesem Zuwachs aus dem Auslande glänzende Namen:
auf dem Friedrichsdenkmale stehen La Motte Fouquö, Hautcharmoy, Dumoulin,
Forcade verzeichnet; unter den spätern nennen wir nnr Conrbiöre und Chasot.

Die französischen Handels- und Gewerbsleute leisteten ihrem neuen Vater¬
lande nicht weniger wichtige Dienste, und die preußische Industrie hat mehre
ihrer bedeutendsten Zweige ihnen zu verdanken. Dies gilt namentlich von den
Hutfabriken, den Handschuhfabriken, den Färbereien, den Sammet-, Seide- und
Teppichwebereien. Auch für die geistige Entwickelung Preußens wurden die fran¬
zösischen Einwanderer ein befruchtendes Element. Friedrich I. begründete für sie
das CollvA" traits-us, die Adelsakademie und das französische Institut. Lacroze,


Gewaltthat. Man führt von ausgezeichneten Persönlichkeiten nur den Marquis
d'Aguessean, den Cardinal von Noailles, Fenelon, den Marquis von Pomponne,
Catinat, Vauban, Colbert, Saint Simon und Racine an. Der allgemeine Beifall
ermuthigte Ludwig XIV. noch weiter zu gehen. Wer von den ehemaligen Refor-
mirten wieder dem Katholicismus untreu wurde, wurde mit Auspeitschung, mit
der Galeere, mit Brandmarkung und mit dem Tode bestraft. Dieselbe Strafe
traf diejenigen, welche das Reich zu verlassen suchten. Nur dem Marschall Schon-
berg und dem Marquis v. Nuvigny wurde die Auswanderung gestattet. Als
man den 80 Jahr alten Admiral Dnquesne, einen der Schöpfer der französischen
Marine, zum Uebertritt zum Katholicismus aufforderte, wies er auf sein weißes
Haar und sagte: „Sechzig Jahre lang habe ich dem Kaiser gegeben, was des
Kaisers ist; erlaubt mir fortzufahren Gott zu geben, was Gottes ist." Er durfte
in Frankreich bleiben. Die Verfolgung befestigte nur die Reformirten in ihrem
Glauben. Kein Hinderniß konnte sie abhalten, ihr Vaterland zu meiden, um
ihre Gewissensfreiheit zw bewahren. Man mochte die Küsten, die Grenzen und
die Straßen noch so streng beaufsichtigen, Denunciationen reich belohnen, auf
das Einfangen von Flüchtlingen hohe Preise setzen, ganze Scharen auf die Ga¬
leeren schicken nud sie mit den schwersten Ketten beladen, sie schlüpften doch den
Wachen durch die Finger und selbst viele Katholiken begünstigten ihre Flucht.

Das protestantische Ausland nahm sie mit offenen Armen auf. Als ihr
eifrigster Freund zeichnete sich der große Kurfürst ans. Durch das Edict von
Potsdam (Oct. 168S) eröffnete er ihnen seinen Staat mit zahlreichen Privilegien
als unverletzliches Asyl. Seine Agenten hatten an den Grenzen ein wachsames
Auge auf alle Flüchtlinge, und forderten sie auf, sich die ihnen in Preußen dar¬
gebotenen Vortheile zu Nutze zu machen, und bald zählte der brandenburgische
Staat nicht weniger als 25,000 französische Flüchtlinge unter seinen Bürger».
Sie erhielten ausgedehnte Vorrechte. Man gestand ihnen das Bürgerrecht und
Steuerfreiheit zu, versah, sie mit Grundstücken put Handwerkszeug, und stellte sie
einen Grad höher an, als sie in Frankreich angestellt gewesen waren. Die Soldaten
bildeten fünf Regimenter, und ungefähr 600 Offiziere traten in die preußische
Armee. Sie verdankt diesem Zuwachs aus dem Auslande glänzende Namen:
auf dem Friedrichsdenkmale stehen La Motte Fouquö, Hautcharmoy, Dumoulin,
Forcade verzeichnet; unter den spätern nennen wir nnr Conrbiöre und Chasot.

Die französischen Handels- und Gewerbsleute leisteten ihrem neuen Vater¬
lande nicht weniger wichtige Dienste, und die preußische Industrie hat mehre
ihrer bedeutendsten Zweige ihnen zu verdanken. Dies gilt namentlich von den
Hutfabriken, den Handschuhfabriken, den Färbereien, den Sammet-, Seide- und
Teppichwebereien. Auch für die geistige Entwickelung Preußens wurden die fran¬
zösischen Einwanderer ein befruchtendes Element. Friedrich I. begründete für sie
das CollvA» traits-us, die Adelsakademie und das französische Institut. Lacroze,


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[0320] Gewaltthat. Man führt von ausgezeichneten Persönlichkeiten nur den Marquis d'Aguessean, den Cardinal von Noailles, Fenelon, den Marquis von Pomponne, Catinat, Vauban, Colbert, Saint Simon und Racine an. Der allgemeine Beifall ermuthigte Ludwig XIV. noch weiter zu gehen. Wer von den ehemaligen Refor- mirten wieder dem Katholicismus untreu wurde, wurde mit Auspeitschung, mit der Galeere, mit Brandmarkung und mit dem Tode bestraft. Dieselbe Strafe traf diejenigen, welche das Reich zu verlassen suchten. Nur dem Marschall Schon- berg und dem Marquis v. Nuvigny wurde die Auswanderung gestattet. Als man den 80 Jahr alten Admiral Dnquesne, einen der Schöpfer der französischen Marine, zum Uebertritt zum Katholicismus aufforderte, wies er auf sein weißes Haar und sagte: „Sechzig Jahre lang habe ich dem Kaiser gegeben, was des Kaisers ist; erlaubt mir fortzufahren Gott zu geben, was Gottes ist." Er durfte in Frankreich bleiben. Die Verfolgung befestigte nur die Reformirten in ihrem Glauben. Kein Hinderniß konnte sie abhalten, ihr Vaterland zu meiden, um ihre Gewissensfreiheit zw bewahren. Man mochte die Küsten, die Grenzen und die Straßen noch so streng beaufsichtigen, Denunciationen reich belohnen, auf das Einfangen von Flüchtlingen hohe Preise setzen, ganze Scharen auf die Ga¬ leeren schicken nud sie mit den schwersten Ketten beladen, sie schlüpften doch den Wachen durch die Finger und selbst viele Katholiken begünstigten ihre Flucht. Das protestantische Ausland nahm sie mit offenen Armen auf. Als ihr eifrigster Freund zeichnete sich der große Kurfürst ans. Durch das Edict von Potsdam (Oct. 168S) eröffnete er ihnen seinen Staat mit zahlreichen Privilegien als unverletzliches Asyl. Seine Agenten hatten an den Grenzen ein wachsames Auge auf alle Flüchtlinge, und forderten sie auf, sich die ihnen in Preußen dar¬ gebotenen Vortheile zu Nutze zu machen, und bald zählte der brandenburgische Staat nicht weniger als 25,000 französische Flüchtlinge unter seinen Bürger». Sie erhielten ausgedehnte Vorrechte. Man gestand ihnen das Bürgerrecht und Steuerfreiheit zu, versah, sie mit Grundstücken put Handwerkszeug, und stellte sie einen Grad höher an, als sie in Frankreich angestellt gewesen waren. Die Soldaten bildeten fünf Regimenter, und ungefähr 600 Offiziere traten in die preußische Armee. Sie verdankt diesem Zuwachs aus dem Auslande glänzende Namen: auf dem Friedrichsdenkmale stehen La Motte Fouquö, Hautcharmoy, Dumoulin, Forcade verzeichnet; unter den spätern nennen wir nnr Conrbiöre und Chasot. Die französischen Handels- und Gewerbsleute leisteten ihrem neuen Vater¬ lande nicht weniger wichtige Dienste, und die preußische Industrie hat mehre ihrer bedeutendsten Zweige ihnen zu verdanken. Dies gilt namentlich von den Hutfabriken, den Handschuhfabriken, den Färbereien, den Sammet-, Seide- und Teppichwebereien. Auch für die geistige Entwickelung Preußens wurden die fran¬ zösischen Einwanderer ein befruchtendes Element. Friedrich I. begründete für sie das CollvA» traits-us, die Adelsakademie und das französische Institut. Lacroze,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/320>, abgerufen am 23.07.2024.