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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Offizieren ist, denn in keiner Social-Schicht ist das Bestreben, in glänzender
Uniform zu wandeln, lebhafter, als unter der wallachischen Aristokratie. Jeder
Bojarensohn macht Anspruch darauf, die Epauletten zu tragen. Daher mehr
Offiziere als Gemeine, was nicht etwa als Hyperbel, sondern wörtlich zunehmen
ist. Diese Jugend und die Stammhalter und altem Mitglieder der Familien
leben ohne Unterschied unausgesetzt in demselben Strudel endloser Vergnügungen,
solange nümlich Ausschweifungen aller Art körperliche Kräfte, und Luxus gepaart
mit hochgreisendcm, zerstörendem Hazardspiel, Geldmittel dazu übrig lassen. In
Jahren oft sieht der Bojar nicht seine Güter, und die einzige Beziehung, in
welcher er zu demselben steht, möchte die sein, daß er unaufhörlich mit seinen
albanesischen und israelitischen Pächtern in Unterhandlung wegen Vorschüssen über
den Pachtzins hinaus steht.

Denken Sie sich in dieses gesellschaftliche Chaos die Offiziercorps von
vierzig russischen Bataillonen und Schwadronen, den glänzenden Stab und die
Generalität hineingeworfen; denken Sie sich die Entbehrungen, welche diese
Herren ein halbes Jahr hindurch auf Märschen und in den öden Quartieren von
Ismail und am Pruth ausgestanden, um die Empfindungen zu schätzen, mit
denen sie heute in die Großstadt von -II 0,000 Einwohnern einziehen werden.
Ferner machen Sie sich eine Vorstellung von den üppigen und verführerischen
Frauen, in deren Kreisen die Moralität dergestalt wenig Geltung hat, daß man
die Gemahlin des Fürsten Kirbeg die einzige tugendsame, aber eben darum keine
Fürstin, sondern eine "Bürgersfrau" nennt, um einen Einblick in noch andere
Beziehungen zu gewinnen. Als vor mehren Jahren die Occupation der
Fürstentümer aufgehoben wurde, und Rußland seine Truppen zurücknahm, waren
inzwischen zahlreiche Heirathen unter den russischen Offizieren und den Töchtern
der Bojaren zu Stande gekommen; man weiß indeß von einer erstaunlichen
Menge von Fällen zu erzählen, in denen die Ehefrauen von den ersten Marsch¬
stationen her, zumeist elend gekleidet und'ohne die erhaltene Mitgift, bei ihren
Vätern in Bucharest wieder anlangten.

Die deutsche Bevölkerung in Bucharest ist verhältnißmäßig sehr bedeutend.
Man berechnet sie auf mindestens -16,000 Seelen. Zumeist sind es Handwerker¬
familien, die blutarm in das reich gesegnete Land kamen, und nach einigen
Jahren, und bei Fleiß, Sparsamkeit und andern deutschen Eigenschaften, sich
nunmehr im Wohlstande befinden. Für die Ausdehnung einzelner Gewerbzweige
mag es Ihnen ein Beleg sein, wenn ich anführe, daß es vierundsiebenzig
Wagenbauer gibt, ungerechnet die niederen Stellmacher. Besonders zahlreich ist
das Schneidergewerk. Wie bekannt, geben alle oswärtigen Aristokratien viel
auf Uniformen und sonstige reiche Kleidung. Im Schnitt ist für Bucharest die
Mode von Paris maßgebend, und ich zweifle, ob Wien oder Berlin in den
wichtigen Momenten, wo durch einen neuen Einfall eines Nadelkünstlers an der


Offizieren ist, denn in keiner Social-Schicht ist das Bestreben, in glänzender
Uniform zu wandeln, lebhafter, als unter der wallachischen Aristokratie. Jeder
Bojarensohn macht Anspruch darauf, die Epauletten zu tragen. Daher mehr
Offiziere als Gemeine, was nicht etwa als Hyperbel, sondern wörtlich zunehmen
ist. Diese Jugend und die Stammhalter und altem Mitglieder der Familien
leben ohne Unterschied unausgesetzt in demselben Strudel endloser Vergnügungen,
solange nümlich Ausschweifungen aller Art körperliche Kräfte, und Luxus gepaart
mit hochgreisendcm, zerstörendem Hazardspiel, Geldmittel dazu übrig lassen. In
Jahren oft sieht der Bojar nicht seine Güter, und die einzige Beziehung, in
welcher er zu demselben steht, möchte die sein, daß er unaufhörlich mit seinen
albanesischen und israelitischen Pächtern in Unterhandlung wegen Vorschüssen über
den Pachtzins hinaus steht.

Denken Sie sich in dieses gesellschaftliche Chaos die Offiziercorps von
vierzig russischen Bataillonen und Schwadronen, den glänzenden Stab und die
Generalität hineingeworfen; denken Sie sich die Entbehrungen, welche diese
Herren ein halbes Jahr hindurch auf Märschen und in den öden Quartieren von
Ismail und am Pruth ausgestanden, um die Empfindungen zu schätzen, mit
denen sie heute in die Großstadt von -II 0,000 Einwohnern einziehen werden.
Ferner machen Sie sich eine Vorstellung von den üppigen und verführerischen
Frauen, in deren Kreisen die Moralität dergestalt wenig Geltung hat, daß man
die Gemahlin des Fürsten Kirbeg die einzige tugendsame, aber eben darum keine
Fürstin, sondern eine „Bürgersfrau" nennt, um einen Einblick in noch andere
Beziehungen zu gewinnen. Als vor mehren Jahren die Occupation der
Fürstentümer aufgehoben wurde, und Rußland seine Truppen zurücknahm, waren
inzwischen zahlreiche Heirathen unter den russischen Offizieren und den Töchtern
der Bojaren zu Stande gekommen; man weiß indeß von einer erstaunlichen
Menge von Fällen zu erzählen, in denen die Ehefrauen von den ersten Marsch¬
stationen her, zumeist elend gekleidet und'ohne die erhaltene Mitgift, bei ihren
Vätern in Bucharest wieder anlangten.

Die deutsche Bevölkerung in Bucharest ist verhältnißmäßig sehr bedeutend.
Man berechnet sie auf mindestens -16,000 Seelen. Zumeist sind es Handwerker¬
familien, die blutarm in das reich gesegnete Land kamen, und nach einigen
Jahren, und bei Fleiß, Sparsamkeit und andern deutschen Eigenschaften, sich
nunmehr im Wohlstande befinden. Für die Ausdehnung einzelner Gewerbzweige
mag es Ihnen ein Beleg sein, wenn ich anführe, daß es vierundsiebenzig
Wagenbauer gibt, ungerechnet die niederen Stellmacher. Besonders zahlreich ist
das Schneidergewerk. Wie bekannt, geben alle oswärtigen Aristokratien viel
auf Uniformen und sonstige reiche Kleidung. Im Schnitt ist für Bucharest die
Mode von Paris maßgebend, und ich zweifle, ob Wien oder Berlin in den
wichtigen Momenten, wo durch einen neuen Einfall eines Nadelkünstlers an der


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[0308] Offizieren ist, denn in keiner Social-Schicht ist das Bestreben, in glänzender Uniform zu wandeln, lebhafter, als unter der wallachischen Aristokratie. Jeder Bojarensohn macht Anspruch darauf, die Epauletten zu tragen. Daher mehr Offiziere als Gemeine, was nicht etwa als Hyperbel, sondern wörtlich zunehmen ist. Diese Jugend und die Stammhalter und altem Mitglieder der Familien leben ohne Unterschied unausgesetzt in demselben Strudel endloser Vergnügungen, solange nümlich Ausschweifungen aller Art körperliche Kräfte, und Luxus gepaart mit hochgreisendcm, zerstörendem Hazardspiel, Geldmittel dazu übrig lassen. In Jahren oft sieht der Bojar nicht seine Güter, und die einzige Beziehung, in welcher er zu demselben steht, möchte die sein, daß er unaufhörlich mit seinen albanesischen und israelitischen Pächtern in Unterhandlung wegen Vorschüssen über den Pachtzins hinaus steht. Denken Sie sich in dieses gesellschaftliche Chaos die Offiziercorps von vierzig russischen Bataillonen und Schwadronen, den glänzenden Stab und die Generalität hineingeworfen; denken Sie sich die Entbehrungen, welche diese Herren ein halbes Jahr hindurch auf Märschen und in den öden Quartieren von Ismail und am Pruth ausgestanden, um die Empfindungen zu schätzen, mit denen sie heute in die Großstadt von -II 0,000 Einwohnern einziehen werden. Ferner machen Sie sich eine Vorstellung von den üppigen und verführerischen Frauen, in deren Kreisen die Moralität dergestalt wenig Geltung hat, daß man die Gemahlin des Fürsten Kirbeg die einzige tugendsame, aber eben darum keine Fürstin, sondern eine „Bürgersfrau" nennt, um einen Einblick in noch andere Beziehungen zu gewinnen. Als vor mehren Jahren die Occupation der Fürstentümer aufgehoben wurde, und Rußland seine Truppen zurücknahm, waren inzwischen zahlreiche Heirathen unter den russischen Offizieren und den Töchtern der Bojaren zu Stande gekommen; man weiß indeß von einer erstaunlichen Menge von Fällen zu erzählen, in denen die Ehefrauen von den ersten Marsch¬ stationen her, zumeist elend gekleidet und'ohne die erhaltene Mitgift, bei ihren Vätern in Bucharest wieder anlangten. Die deutsche Bevölkerung in Bucharest ist verhältnißmäßig sehr bedeutend. Man berechnet sie auf mindestens -16,000 Seelen. Zumeist sind es Handwerker¬ familien, die blutarm in das reich gesegnete Land kamen, und nach einigen Jahren, und bei Fleiß, Sparsamkeit und andern deutschen Eigenschaften, sich nunmehr im Wohlstande befinden. Für die Ausdehnung einzelner Gewerbzweige mag es Ihnen ein Beleg sein, wenn ich anführe, daß es vierundsiebenzig Wagenbauer gibt, ungerechnet die niederen Stellmacher. Besonders zahlreich ist das Schneidergewerk. Wie bekannt, geben alle oswärtigen Aristokratien viel auf Uniformen und sonstige reiche Kleidung. Im Schnitt ist für Bucharest die Mode von Paris maßgebend, und ich zweifle, ob Wien oder Berlin in den wichtigen Momenten, wo durch einen neuen Einfall eines Nadelkünstlers an der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/308>, abgerufen am 01.07.2024.