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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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man sich zu entscheiden versteht, den wesentlichen Gesichtspunkt allein im Auge
zu behalten.

Alls diese falschen Neigungen der verschiedenen Classen müssen die Blätter,
denen es in der That um eine innere Wiedergeburt ihrer Partei zu thun ist, ihr
Augenmerk richten. Die demokratischen Blätter müssen ihr Publicum allmälig
von dem suprauaturalistischeu Glauben an gewaltsame Sprünge in der historischen
Entwickelung, die constitutionellen Blätter ihr Publicum von der ewigen Rücksicht
auf verschiedene widersprechende Motive abzubringen suchen. Auf diese Weise wird eine
Annäherung der Parteien viel zweckmäßiger bewerkstelligt, als durch eine sogenannte
Fusion, die doch immer uur eine scheinbare sein kann, da die Principien in der
That abweichen. Wir dürfen nur aus die Idee der Volkssouveränetät und die
allgemeinen Wahlen hinweisen, um von dem mystischen Begriff eines gouverne-
ment direct gar nicht zu reden. -- Wenn wir also der Nationalzeitung trotz
aller Ausstellungen, die wir an ihr zu machen haben, das Zeugniß nicht versagen
können, daß sie auf ihre Partei einen bildenden Einfluß ausgeübt hat, so müssen
wir von der Kreuzzeitung das Gegentheil behaupten. Bei der Krisis, in die das
Blatt neuerdings zu gerathen schien, haben sich innerhalb der liberalen Partei
mehrfache Stimmen erhoben, die mit dem größten Bedauern von der Möglichkeit
sprachen, daß das Blatt eingehen könne. Es ist das eine Sentimentalität, wie
wir sie nur zu häufig in unsern Reihen antreffen. Allerdings ist es im Interesse
aller Parteien, daß jede bedeutende, auf ein wesentliches Element des Staats sich
gründende und daher berechtigte Partei in der Presse wie im Repräsentativstem
durch , ein angemessenes Organ vertreten wird. Unzweifelhaft hat der Stand
der Ritterschaft durch seine Geschichte wie durch seine gegenwärtige Stellung
eine sehr wesentliche Berechtigung innerhalb der politischen Parteien Preußens,
und wir können uns nur darüber freuen, daß die politischen Ereignisse der
letzten Jahre ihn angetrieben haben, nach einer Wirkung innerhalb der Presse
und der Kammern zu suchen, während er früher seine Thätigkeit auf Hofintriguen
beschränkte. Aber wenn wir auch die Existenz eiues Organs der Ritterschaft
für sehr nützlich halten, so müssen wir doch behaupten, daß dieses Organ den
schädlichsten Einfluß von der Welt ausgeübt hat. Die Kreuzzeitung hat die Classe
der Ritterschaft, die zwar sehr reich ist an Souderiuteresseu und Vorurtheilen, die
aber doch in ihrer ganzen Lebensstellung einen sehr gefunden Fonds besitzt, recht
systematisch demoralisirt. Sie hat einen sinnlosen Haß gegen allen Liberalismus
in ihr erweckt; sie hat sie an Cynismus der Formen, an Gemeinheit der Gedanken
gewöhnt; sie hat ihr über die wirklichen Verhältnisse die ungegrüudetsteu, häufig
die lügeuhastesten Vorstellungen eingeflößt, und was das schlimmste ist, sie hat
sie gleichgiltig gegen die Ehre Preußens gemacht, wenn diese mit den Abstractionen
der sogenannten conservativen Partei in Conflict kommt. Sehr lesenswerth ist
in dieser Beziehung die neueste Rundschau. Indem Herr v. Gerlach die Ver-


man sich zu entscheiden versteht, den wesentlichen Gesichtspunkt allein im Auge
zu behalten.

Alls diese falschen Neigungen der verschiedenen Classen müssen die Blätter,
denen es in der That um eine innere Wiedergeburt ihrer Partei zu thun ist, ihr
Augenmerk richten. Die demokratischen Blätter müssen ihr Publicum allmälig
von dem suprauaturalistischeu Glauben an gewaltsame Sprünge in der historischen
Entwickelung, die constitutionellen Blätter ihr Publicum von der ewigen Rücksicht
auf verschiedene widersprechende Motive abzubringen suchen. Auf diese Weise wird eine
Annäherung der Parteien viel zweckmäßiger bewerkstelligt, als durch eine sogenannte
Fusion, die doch immer uur eine scheinbare sein kann, da die Principien in der
That abweichen. Wir dürfen nur aus die Idee der Volkssouveränetät und die
allgemeinen Wahlen hinweisen, um von dem mystischen Begriff eines gouverne-
ment direct gar nicht zu reden. — Wenn wir also der Nationalzeitung trotz
aller Ausstellungen, die wir an ihr zu machen haben, das Zeugniß nicht versagen
können, daß sie auf ihre Partei einen bildenden Einfluß ausgeübt hat, so müssen
wir von der Kreuzzeitung das Gegentheil behaupten. Bei der Krisis, in die das
Blatt neuerdings zu gerathen schien, haben sich innerhalb der liberalen Partei
mehrfache Stimmen erhoben, die mit dem größten Bedauern von der Möglichkeit
sprachen, daß das Blatt eingehen könne. Es ist das eine Sentimentalität, wie
wir sie nur zu häufig in unsern Reihen antreffen. Allerdings ist es im Interesse
aller Parteien, daß jede bedeutende, auf ein wesentliches Element des Staats sich
gründende und daher berechtigte Partei in der Presse wie im Repräsentativstem
durch , ein angemessenes Organ vertreten wird. Unzweifelhaft hat der Stand
der Ritterschaft durch seine Geschichte wie durch seine gegenwärtige Stellung
eine sehr wesentliche Berechtigung innerhalb der politischen Parteien Preußens,
und wir können uns nur darüber freuen, daß die politischen Ereignisse der
letzten Jahre ihn angetrieben haben, nach einer Wirkung innerhalb der Presse
und der Kammern zu suchen, während er früher seine Thätigkeit auf Hofintriguen
beschränkte. Aber wenn wir auch die Existenz eiues Organs der Ritterschaft
für sehr nützlich halten, so müssen wir doch behaupten, daß dieses Organ den
schädlichsten Einfluß von der Welt ausgeübt hat. Die Kreuzzeitung hat die Classe
der Ritterschaft, die zwar sehr reich ist an Souderiuteresseu und Vorurtheilen, die
aber doch in ihrer ganzen Lebensstellung einen sehr gefunden Fonds besitzt, recht
systematisch demoralisirt. Sie hat einen sinnlosen Haß gegen allen Liberalismus
in ihr erweckt; sie hat sie an Cynismus der Formen, an Gemeinheit der Gedanken
gewöhnt; sie hat ihr über die wirklichen Verhältnisse die ungegrüudetsteu, häufig
die lügeuhastesten Vorstellungen eingeflößt, und was das schlimmste ist, sie hat
sie gleichgiltig gegen die Ehre Preußens gemacht, wenn diese mit den Abstractionen
der sogenannten conservativen Partei in Conflict kommt. Sehr lesenswerth ist
in dieser Beziehung die neueste Rundschau. Indem Herr v. Gerlach die Ver-


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[0272] man sich zu entscheiden versteht, den wesentlichen Gesichtspunkt allein im Auge zu behalten. Alls diese falschen Neigungen der verschiedenen Classen müssen die Blätter, denen es in der That um eine innere Wiedergeburt ihrer Partei zu thun ist, ihr Augenmerk richten. Die demokratischen Blätter müssen ihr Publicum allmälig von dem suprauaturalistischeu Glauben an gewaltsame Sprünge in der historischen Entwickelung, die constitutionellen Blätter ihr Publicum von der ewigen Rücksicht auf verschiedene widersprechende Motive abzubringen suchen. Auf diese Weise wird eine Annäherung der Parteien viel zweckmäßiger bewerkstelligt, als durch eine sogenannte Fusion, die doch immer uur eine scheinbare sein kann, da die Principien in der That abweichen. Wir dürfen nur aus die Idee der Volkssouveränetät und die allgemeinen Wahlen hinweisen, um von dem mystischen Begriff eines gouverne- ment direct gar nicht zu reden. — Wenn wir also der Nationalzeitung trotz aller Ausstellungen, die wir an ihr zu machen haben, das Zeugniß nicht versagen können, daß sie auf ihre Partei einen bildenden Einfluß ausgeübt hat, so müssen wir von der Kreuzzeitung das Gegentheil behaupten. Bei der Krisis, in die das Blatt neuerdings zu gerathen schien, haben sich innerhalb der liberalen Partei mehrfache Stimmen erhoben, die mit dem größten Bedauern von der Möglichkeit sprachen, daß das Blatt eingehen könne. Es ist das eine Sentimentalität, wie wir sie nur zu häufig in unsern Reihen antreffen. Allerdings ist es im Interesse aller Parteien, daß jede bedeutende, auf ein wesentliches Element des Staats sich gründende und daher berechtigte Partei in der Presse wie im Repräsentativstem durch , ein angemessenes Organ vertreten wird. Unzweifelhaft hat der Stand der Ritterschaft durch seine Geschichte wie durch seine gegenwärtige Stellung eine sehr wesentliche Berechtigung innerhalb der politischen Parteien Preußens, und wir können uns nur darüber freuen, daß die politischen Ereignisse der letzten Jahre ihn angetrieben haben, nach einer Wirkung innerhalb der Presse und der Kammern zu suchen, während er früher seine Thätigkeit auf Hofintriguen beschränkte. Aber wenn wir auch die Existenz eiues Organs der Ritterschaft für sehr nützlich halten, so müssen wir doch behaupten, daß dieses Organ den schädlichsten Einfluß von der Welt ausgeübt hat. Die Kreuzzeitung hat die Classe der Ritterschaft, die zwar sehr reich ist an Souderiuteresseu und Vorurtheilen, die aber doch in ihrer ganzen Lebensstellung einen sehr gefunden Fonds besitzt, recht systematisch demoralisirt. Sie hat einen sinnlosen Haß gegen allen Liberalismus in ihr erweckt; sie hat sie an Cynismus der Formen, an Gemeinheit der Gedanken gewöhnt; sie hat ihr über die wirklichen Verhältnisse die ungegrüudetsteu, häufig die lügeuhastesten Vorstellungen eingeflößt, und was das schlimmste ist, sie hat sie gleichgiltig gegen die Ehre Preußens gemacht, wenn diese mit den Abstractionen der sogenannten conservativen Partei in Conflict kommt. Sehr lesenswerth ist in dieser Beziehung die neueste Rundschau. Indem Herr v. Gerlach die Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/272>, abgerufen am 03.07.2024.