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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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der gebildeten Gesellschaft. Sie hat ferner das noch größere Verdienst, daß sie
sich ernsthaft um die concreten Frage" der Politik bekümmert und namentlich in
Beziehung auf die Thatsache" eine möglichst große Vollständigkeit und Genauig¬
keit angestrebt hat. Es ist ihr dies Verdienst um so hoher anzurechnen, da sie
es zunächst mit dem demokratischen Publicum zu thun hat, welches eigentlich die
tiefste Abneigung gegen alle Thatsachen empfindet und nnr nach Phrasen strebt,
die als geprägte allgemein giltige Münzen ausgegeben und verwerthet werden
können. In dieser Beziehnag hat sie ans die allmälige Fortbildung der Demokratie
einen segensreiche" Einfluß ausgeübt. Wenn wir früher gegen sie polemisirt
haben, so galt das weniger diesem eigentlich politischen Theil der Zeitung, als
den Leitartikel" über allgemeine politische Frage". In diesen ist es uns immer
vorgekommen, als ob die Zahl der Worte in keinem Verhältniß zur Zahl der
Gedanken stände. Es kommen zwar sehr viel soge"an"te allgemeine Gedanken
darin vor, aber wie diese Gedanke" mit der bestimmten Frage zusammenhingen,
das ist uns nie recht deutlich geworden, "ut wir hielten das für um so schäd¬
licher, da die Demokratie, die doch zum große" Theil auf die niedern Volks-
classen basirt und daher an folgerichtiges Denke" überhaupt uicht gewöhnt ist,
beides miteinander in Kauf nahm, die allgemeinen politischen Ideen und die
Anwendung ans die bestimmte Frage, ohne sich über das Verhältniß der einen
zu den andern genaue Rechenschaft zu geben. -- Wir wolle" hier nicht weiter
darauf eingehe", da es sehr möglich ist, daß die Blätter unserer Partei sich ähn¬
liche Fehler haben zu Schulden kommen lasse". Wir wollen daran nur die Be¬
merkung knüpfe", daß wir es im Interesse einer gedeihlichen Einwirknng für
wünschenswerth erachten, daß die Blätter einer Farbe soviel wie möglich darauf
ausgehen, grade die schlechten Neigungen und Gewohnheiten ihres Publicums
zu bekämpfen.

Denn diese Neigungen und Gewohnheiten scheiden das demokratische vom
constitutionellen Publicum viel mehr, als die Principien; ein Unterschied in den
Principien ist allerdings auch vorhanden, und wir sind keineswegs der Ansicht,
daß man diese zu Gunsten einer augenblicklichen Lage muthwillig aufopfern soll,
aber sie kommen erst in zweiter Reihe. Diejenige" Volksclassen, ans dene" die
Demokratie vorzugsweise beruht, sind geneigt, überall mehr dem Gefühl und der
Leidenschaft zu folgen, als dem Verstand; überall ans ein unerwartetes, unbe¬
greifliches Ereignis) zu rechnen, wo nnr die ""ausgesetzte, fortdauernde, mühsame
Thätigkeit etwas erreiche" kann; auf eine Revolution-wie auf einen aeus ox
MÄLtulik zu speculiren, um wie durch ein Wunder alle Widersprüche der histo¬
rischen Voraussehung zu beseitigen. Die große Masse des konstitutionellen
Publicums dagegen ist geneigt, den Thatsachen Rechnung zu tragen, und
sämmtliche große politische Fragen von de" möglichst verschiedenen Seiten zu
betrachten, während man doch nnr dann eine" Schritt vorwärts kommt, wenn


Grenzboten. III. I8ö3, Zj.

der gebildeten Gesellschaft. Sie hat ferner das noch größere Verdienst, daß sie
sich ernsthaft um die concreten Frage» der Politik bekümmert und namentlich in
Beziehung auf die Thatsache» eine möglichst große Vollständigkeit und Genauig¬
keit angestrebt hat. Es ist ihr dies Verdienst um so hoher anzurechnen, da sie
es zunächst mit dem demokratischen Publicum zu thun hat, welches eigentlich die
tiefste Abneigung gegen alle Thatsachen empfindet und nnr nach Phrasen strebt,
die als geprägte allgemein giltige Münzen ausgegeben und verwerthet werden
können. In dieser Beziehnag hat sie ans die allmälige Fortbildung der Demokratie
einen segensreiche» Einfluß ausgeübt. Wenn wir früher gegen sie polemisirt
haben, so galt das weniger diesem eigentlich politischen Theil der Zeitung, als
den Leitartikel» über allgemeine politische Frage». In diesen ist es uns immer
vorgekommen, als ob die Zahl der Worte in keinem Verhältniß zur Zahl der
Gedanken stände. Es kommen zwar sehr viel soge»an»te allgemeine Gedanken
darin vor, aber wie diese Gedanke» mit der bestimmten Frage zusammenhingen,
das ist uns nie recht deutlich geworden, »ut wir hielten das für um so schäd¬
licher, da die Demokratie, die doch zum große» Theil auf die niedern Volks-
classen basirt und daher an folgerichtiges Denke» überhaupt uicht gewöhnt ist,
beides miteinander in Kauf nahm, die allgemeinen politischen Ideen und die
Anwendung ans die bestimmte Frage, ohne sich über das Verhältniß der einen
zu den andern genaue Rechenschaft zu geben. — Wir wolle» hier nicht weiter
darauf eingehe», da es sehr möglich ist, daß die Blätter unserer Partei sich ähn¬
liche Fehler haben zu Schulden kommen lasse». Wir wollen daran nur die Be¬
merkung knüpfe», daß wir es im Interesse einer gedeihlichen Einwirknng für
wünschenswerth erachten, daß die Blätter einer Farbe soviel wie möglich darauf
ausgehen, grade die schlechten Neigungen und Gewohnheiten ihres Publicums
zu bekämpfen.

Denn diese Neigungen und Gewohnheiten scheiden das demokratische vom
constitutionellen Publicum viel mehr, als die Principien; ein Unterschied in den
Principien ist allerdings auch vorhanden, und wir sind keineswegs der Ansicht,
daß man diese zu Gunsten einer augenblicklichen Lage muthwillig aufopfern soll,
aber sie kommen erst in zweiter Reihe. Diejenige» Volksclassen, ans dene» die
Demokratie vorzugsweise beruht, sind geneigt, überall mehr dem Gefühl und der
Leidenschaft zu folgen, als dem Verstand; überall ans ein unerwartetes, unbe¬
greifliches Ereignis) zu rechnen, wo nnr die »»ausgesetzte, fortdauernde, mühsame
Thätigkeit etwas erreiche» kann; auf eine Revolution-wie auf einen aeus ox
MÄLtulik zu speculiren, um wie durch ein Wunder alle Widersprüche der histo¬
rischen Voraussehung zu beseitigen. Die große Masse des konstitutionellen
Publicums dagegen ist geneigt, den Thatsachen Rechnung zu tragen, und
sämmtliche große politische Fragen von de» möglichst verschiedenen Seiten zu
betrachten, während man doch nnr dann eine» Schritt vorwärts kommt, wenn


Grenzboten. III. I8ö3, Zj.
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[0271] der gebildeten Gesellschaft. Sie hat ferner das noch größere Verdienst, daß sie sich ernsthaft um die concreten Frage» der Politik bekümmert und namentlich in Beziehung auf die Thatsache» eine möglichst große Vollständigkeit und Genauig¬ keit angestrebt hat. Es ist ihr dies Verdienst um so hoher anzurechnen, da sie es zunächst mit dem demokratischen Publicum zu thun hat, welches eigentlich die tiefste Abneigung gegen alle Thatsachen empfindet und nnr nach Phrasen strebt, die als geprägte allgemein giltige Münzen ausgegeben und verwerthet werden können. In dieser Beziehnag hat sie ans die allmälige Fortbildung der Demokratie einen segensreiche» Einfluß ausgeübt. Wenn wir früher gegen sie polemisirt haben, so galt das weniger diesem eigentlich politischen Theil der Zeitung, als den Leitartikel» über allgemeine politische Frage». In diesen ist es uns immer vorgekommen, als ob die Zahl der Worte in keinem Verhältniß zur Zahl der Gedanken stände. Es kommen zwar sehr viel soge»an»te allgemeine Gedanken darin vor, aber wie diese Gedanke» mit der bestimmten Frage zusammenhingen, das ist uns nie recht deutlich geworden, »ut wir hielten das für um so schäd¬ licher, da die Demokratie, die doch zum große» Theil auf die niedern Volks- classen basirt und daher an folgerichtiges Denke» überhaupt uicht gewöhnt ist, beides miteinander in Kauf nahm, die allgemeinen politischen Ideen und die Anwendung ans die bestimmte Frage, ohne sich über das Verhältniß der einen zu den andern genaue Rechenschaft zu geben. — Wir wolle» hier nicht weiter darauf eingehe», da es sehr möglich ist, daß die Blätter unserer Partei sich ähn¬ liche Fehler haben zu Schulden kommen lasse». Wir wollen daran nur die Be¬ merkung knüpfe», daß wir es im Interesse einer gedeihlichen Einwirknng für wünschenswerth erachten, daß die Blätter einer Farbe soviel wie möglich darauf ausgehen, grade die schlechten Neigungen und Gewohnheiten ihres Publicums zu bekämpfen. Denn diese Neigungen und Gewohnheiten scheiden das demokratische vom constitutionellen Publicum viel mehr, als die Principien; ein Unterschied in den Principien ist allerdings auch vorhanden, und wir sind keineswegs der Ansicht, daß man diese zu Gunsten einer augenblicklichen Lage muthwillig aufopfern soll, aber sie kommen erst in zweiter Reihe. Diejenige» Volksclassen, ans dene» die Demokratie vorzugsweise beruht, sind geneigt, überall mehr dem Gefühl und der Leidenschaft zu folgen, als dem Verstand; überall ans ein unerwartetes, unbe¬ greifliches Ereignis) zu rechnen, wo nnr die »»ausgesetzte, fortdauernde, mühsame Thätigkeit etwas erreiche» kann; auf eine Revolution-wie auf einen aeus ox MÄLtulik zu speculiren, um wie durch ein Wunder alle Widersprüche der histo¬ rischen Voraussehung zu beseitigen. Die große Masse des konstitutionellen Publicums dagegen ist geneigt, den Thatsachen Rechnung zu tragen, und sämmtliche große politische Fragen von de» möglichst verschiedenen Seiten zu betrachten, während man doch nnr dann eine» Schritt vorwärts kommt, wenn Grenzboten. III. I8ö3, Zj.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/271>, abgerufen am 03.07.2024.