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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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und zum Theil durch ihre Handlungsweise erhärtet, daß sich alles constitutionelle
Recht um die weitere oder engere Abgrenzung der ständischen Steuerbewilligung
dreht. In einem Staat wie England, wo seit manchem Decennium kein
Minister mehr an die Möglichkeit gedacht hat, ohne die formelle Zustimmung
des Parlaments auch nnr eine einzige Steuer auszuschreiben, nur einen Penny
unfreiwilliger Abgabe von den Unterthanen der britischen Krone zu erheben --
in England ist das Budget längst die vornehmste politische Frage, an der ohne
Ausnahme immer das Schicksal der Ministerien und der längere oder kürzere
Triumph der parlamentarischen Parteien hangt. Und Bastiat ging gewiß nicht
fehl, wenn er in einem seiner schönen kleinen Pamphlete den Satz aufstellte, daß
von der Gestaltung des öffentlichen Budgets selbst so große Dinge wie Frieden
und Freiheit abhängig wären.

In Hannover hat sich diese Erkenntniß verhältnißmäßig früh verbreitet. Es
ist allgemein bekannt, daß die Staaten des südwestlichen Deutschlands bis 18i8
hin denen des Nordens und Ostens in parlamentarischer Uebung und constitu-
tioneller Rechtsentwickelung weit voraus waren. Aber was Hannover betrifft,
so bezog sich dieses Uebergewicht doch höchst wahrscheinlich nur auf die staats¬
rechtliche Seite des öffentlichen Lebens, auf die Mueller Fragen der Verfassung
und was ihnen angehört, für die damals zwischen Elbe und Weser allerdings
nicht das lebhafte Interesse vorhanden war, wie südlich vom Main und an den
Ufern des freien deutschen Rheins. Die finanziellen Themata dagegen haben
schwerlich irgendwo anders während der Jahre der europäischen Restauration eine
so gründliche und zusammenhängende Erörterung erfahren, wie in den Stände-
sälen zu Hannover, und namentlich in der zweiten Kammer' Höchstens Preußen
ausgenommen, hat kein deutscher Staat eine so stattliche Reihe gediegener Finanz¬
männer aufzustellen wie Hannover. Es werden nur ^die auch auswärts bekann¬
testen und wohlberufeusten Namen aufgezählt, wenn an Lehzen, den vortrefflichen
Finanzminister vom März I8i8 bis zum October -1850; an Stüve, den großen
Bürgermeister von Osnabrück, der wahrend derselben Zeit die Seele der
hannoverschen Regierung war; an Lang II,, die vieljährige Finanzautorität der
zweiten Kammer; an Lindemann, den einstigen Oberbürgermeister von Lüneburg,
den Staatsminister des Innern vom October -1850 bis zum November 1851,
den stets wieder gewählten Präsidenten der zweiten Kammer erinnert wird. In
neuester Zeit scheinen sich diesen vielbewährten Kräften zwei jüngere Talente der
Opposition, Groß und Planck, so wie der bekannte wackere Aeltermann Bausing
aus Osnabrück würdig und ergänzend anschließen zu wollen.

Freilich haben die hannoverschen Verhältnisse von jeher so reichlichen Stoff
für dieses an sich etwas trockene und noch wenig beliebte Studium geboten, daß
man sich in der That wundern müßte, wenn nicht eine ganze Schule tüchtiger
Fiuanzkenner aus den ständischen Debatten der zwanziger, dreißiger, vierziger


und zum Theil durch ihre Handlungsweise erhärtet, daß sich alles constitutionelle
Recht um die weitere oder engere Abgrenzung der ständischen Steuerbewilligung
dreht. In einem Staat wie England, wo seit manchem Decennium kein
Minister mehr an die Möglichkeit gedacht hat, ohne die formelle Zustimmung
des Parlaments auch nnr eine einzige Steuer auszuschreiben, nur einen Penny
unfreiwilliger Abgabe von den Unterthanen der britischen Krone zu erheben —
in England ist das Budget längst die vornehmste politische Frage, an der ohne
Ausnahme immer das Schicksal der Ministerien und der längere oder kürzere
Triumph der parlamentarischen Parteien hangt. Und Bastiat ging gewiß nicht
fehl, wenn er in einem seiner schönen kleinen Pamphlete den Satz aufstellte, daß
von der Gestaltung des öffentlichen Budgets selbst so große Dinge wie Frieden
und Freiheit abhängig wären.

In Hannover hat sich diese Erkenntniß verhältnißmäßig früh verbreitet. Es
ist allgemein bekannt, daß die Staaten des südwestlichen Deutschlands bis 18i8
hin denen des Nordens und Ostens in parlamentarischer Uebung und constitu-
tioneller Rechtsentwickelung weit voraus waren. Aber was Hannover betrifft,
so bezog sich dieses Uebergewicht doch höchst wahrscheinlich nur auf die staats¬
rechtliche Seite des öffentlichen Lebens, auf die Mueller Fragen der Verfassung
und was ihnen angehört, für die damals zwischen Elbe und Weser allerdings
nicht das lebhafte Interesse vorhanden war, wie südlich vom Main und an den
Ufern des freien deutschen Rheins. Die finanziellen Themata dagegen haben
schwerlich irgendwo anders während der Jahre der europäischen Restauration eine
so gründliche und zusammenhängende Erörterung erfahren, wie in den Stände-
sälen zu Hannover, und namentlich in der zweiten Kammer' Höchstens Preußen
ausgenommen, hat kein deutscher Staat eine so stattliche Reihe gediegener Finanz¬
männer aufzustellen wie Hannover. Es werden nur ^die auch auswärts bekann¬
testen und wohlberufeusten Namen aufgezählt, wenn an Lehzen, den vortrefflichen
Finanzminister vom März I8i8 bis zum October -1850; an Stüve, den großen
Bürgermeister von Osnabrück, der wahrend derselben Zeit die Seele der
hannoverschen Regierung war; an Lang II,, die vieljährige Finanzautorität der
zweiten Kammer; an Lindemann, den einstigen Oberbürgermeister von Lüneburg,
den Staatsminister des Innern vom October -1850 bis zum November 1851,
den stets wieder gewählten Präsidenten der zweiten Kammer erinnert wird. In
neuester Zeit scheinen sich diesen vielbewährten Kräften zwei jüngere Talente der
Opposition, Groß und Planck, so wie der bekannte wackere Aeltermann Bausing
aus Osnabrück würdig und ergänzend anschließen zu wollen.

Freilich haben die hannoverschen Verhältnisse von jeher so reichlichen Stoff
für dieses an sich etwas trockene und noch wenig beliebte Studium geboten, daß
man sich in der That wundern müßte, wenn nicht eine ganze Schule tüchtiger
Fiuanzkenner aus den ständischen Debatten der zwanziger, dreißiger, vierziger


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/26>, abgerufen am 01.07.2024.