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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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mäßige Kommen und Gehen der schattenwerfenden Zwischenstäbe macht es un¬
möglich, irgend ein anderes Licht mit dem des Leuchtthurms zu verwechseln, und
überdies berechnet der Seefahrer seinen Weg nach der Schattenbreite, die mit
der Entfernung wächst. Die Thurmwächter zeigten und erklärte" uns alles mit
großer Freundlichkeit; erzählten uns, während wir in ihrem holzgetäfelten Stübchen
ausrüsten, von dem Grauen der Sturmnächte, von der Einförmigkeit und Abge¬
schiedenheit ihres Lebens und von den Unglücksfällen, die trotz Leuchtthurm und
Lootsenwackt alljährig am Klippenufer von Bidaritz sich ereignen.

Von der Galerie unterhalb der Laterne hatten wir einen weiten Blick über
Land und Meer, aber der eisige Zugwind vertrieb uns bald und wir ritten zwi¬
schen den Felsen dem vielgepriesenen Bidaritz zu. Das Gestein ist auf das wun¬
derlichste zerklüftet: bald sind es Pyramiden und ungeheure Kegel, bald
hohe Mauern mit Schießscharten und Thürmen, bald weite Thore, die eine Aus¬
sicht auf das schäumende Meer gestatten, bald Abgründe und Grotten, in deren
Dunkel die Wasser rauschen, bald vom Wellenschlag ausgehöhlte, weit überhän¬
gende, unförmliche Blöcke, die bei jedem Stoß der heranstürmende" Flut zu zit¬
tern scheinen und doch wol noch für Jahrhunderte festgegründet liegen.

In dieser wilden, dann- und strauchlosen Umgebung sind die Häuser und
Hütten von Bidaritz erbaut. Einige mühsam aufwachsende Reben längs der
Mauern und einige Topfgewächse sind das einzige lebendige Grün -- aber die
nackten Felsen und den kahlen Strand beleben die Badegäste, die aus weitem
Umkreise hier zusammenströmen, und die Reisenden, die nach alter Sitte und un-
abweislichen Fnhrerbefehl das Dorf Bidaritz besuchen müssen.

Für die Bequemlichkeit der Fremden scheint übrigens wenig gethan. -- Die
Lebensmittel sind schlecht und theuer, die Wohnungen klein und nur durch ihre
Reinlichkeit erträglich. Den Ladeplatz zwischen den Klippen hat das Meer ge¬
ebnet. Die Badenden fassen sich bei den Händen und gehen so in langer Kette
dem Wellenschlag entgegen. -- Die Dorfbewohner sind durch den Verkehr mit
der "großen Welt" habsüchtig, schlau, kalt und ungenügsam geworden und schwer¬
lich gestatten die mitgebrachten und fortgeführten Gewohnheiten des Salonlebens
ein Genießen und Verstehen der Natur, die sich hier im einfachsten, aber gro߬
artigsten Gewände zeigt. Und doch macht ihr Leben auf alle einen mächtigen Ein¬
druck. Sie fühlen sich beengt, unsicher, nicht mehr befriedigt durch das Scheinen
und Lügen, in dem sie sich seit langer Zeit mit Gewandtheit bewegen. Die eitel¬
sten Frauen vernachlässigen hier ihre Toilette, denn Wind und Wellen scheuen
weder Kopfputz noch Robe, die galanteste" Männer werden hier einsilbig, denn
der Wogettdonner verschlingt die höflichen Redensarten. Die jüngere Welt geht
gelangweilt am Strande auf und nieder; die älteren Herren und Damen sitzen
stundenlang am Spieltische und die Genialen retten sich auf die Klippen von
Bidaritz und fragen die tosende Flut mit Victor Hugo:


mäßige Kommen und Gehen der schattenwerfenden Zwischenstäbe macht es un¬
möglich, irgend ein anderes Licht mit dem des Leuchtthurms zu verwechseln, und
überdies berechnet der Seefahrer seinen Weg nach der Schattenbreite, die mit
der Entfernung wächst. Die Thurmwächter zeigten und erklärte» uns alles mit
großer Freundlichkeit; erzählten uns, während wir in ihrem holzgetäfelten Stübchen
ausrüsten, von dem Grauen der Sturmnächte, von der Einförmigkeit und Abge¬
schiedenheit ihres Lebens und von den Unglücksfällen, die trotz Leuchtthurm und
Lootsenwackt alljährig am Klippenufer von Bidaritz sich ereignen.

Von der Galerie unterhalb der Laterne hatten wir einen weiten Blick über
Land und Meer, aber der eisige Zugwind vertrieb uns bald und wir ritten zwi¬
schen den Felsen dem vielgepriesenen Bidaritz zu. Das Gestein ist auf das wun¬
derlichste zerklüftet: bald sind es Pyramiden und ungeheure Kegel, bald
hohe Mauern mit Schießscharten und Thürmen, bald weite Thore, die eine Aus¬
sicht auf das schäumende Meer gestatten, bald Abgründe und Grotten, in deren
Dunkel die Wasser rauschen, bald vom Wellenschlag ausgehöhlte, weit überhän¬
gende, unförmliche Blöcke, die bei jedem Stoß der heranstürmende» Flut zu zit¬
tern scheinen und doch wol noch für Jahrhunderte festgegründet liegen.

In dieser wilden, dann- und strauchlosen Umgebung sind die Häuser und
Hütten von Bidaritz erbaut. Einige mühsam aufwachsende Reben längs der
Mauern und einige Topfgewächse sind das einzige lebendige Grün — aber die
nackten Felsen und den kahlen Strand beleben die Badegäste, die aus weitem
Umkreise hier zusammenströmen, und die Reisenden, die nach alter Sitte und un-
abweislichen Fnhrerbefehl das Dorf Bidaritz besuchen müssen.

Für die Bequemlichkeit der Fremden scheint übrigens wenig gethan. — Die
Lebensmittel sind schlecht und theuer, die Wohnungen klein und nur durch ihre
Reinlichkeit erträglich. Den Ladeplatz zwischen den Klippen hat das Meer ge¬
ebnet. Die Badenden fassen sich bei den Händen und gehen so in langer Kette
dem Wellenschlag entgegen. — Die Dorfbewohner sind durch den Verkehr mit
der „großen Welt" habsüchtig, schlau, kalt und ungenügsam geworden und schwer¬
lich gestatten die mitgebrachten und fortgeführten Gewohnheiten des Salonlebens
ein Genießen und Verstehen der Natur, die sich hier im einfachsten, aber gro߬
artigsten Gewände zeigt. Und doch macht ihr Leben auf alle einen mächtigen Ein¬
druck. Sie fühlen sich beengt, unsicher, nicht mehr befriedigt durch das Scheinen
und Lügen, in dem sie sich seit langer Zeit mit Gewandtheit bewegen. Die eitel¬
sten Frauen vernachlässigen hier ihre Toilette, denn Wind und Wellen scheuen
weder Kopfputz noch Robe, die galanteste» Männer werden hier einsilbig, denn
der Wogettdonner verschlingt die höflichen Redensarten. Die jüngere Welt geht
gelangweilt am Strande auf und nieder; die älteren Herren und Damen sitzen
stundenlang am Spieltische und die Genialen retten sich auf die Klippen von
Bidaritz und fragen die tosende Flut mit Victor Hugo:


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[0255] mäßige Kommen und Gehen der schattenwerfenden Zwischenstäbe macht es un¬ möglich, irgend ein anderes Licht mit dem des Leuchtthurms zu verwechseln, und überdies berechnet der Seefahrer seinen Weg nach der Schattenbreite, die mit der Entfernung wächst. Die Thurmwächter zeigten und erklärte» uns alles mit großer Freundlichkeit; erzählten uns, während wir in ihrem holzgetäfelten Stübchen ausrüsten, von dem Grauen der Sturmnächte, von der Einförmigkeit und Abge¬ schiedenheit ihres Lebens und von den Unglücksfällen, die trotz Leuchtthurm und Lootsenwackt alljährig am Klippenufer von Bidaritz sich ereignen. Von der Galerie unterhalb der Laterne hatten wir einen weiten Blick über Land und Meer, aber der eisige Zugwind vertrieb uns bald und wir ritten zwi¬ schen den Felsen dem vielgepriesenen Bidaritz zu. Das Gestein ist auf das wun¬ derlichste zerklüftet: bald sind es Pyramiden und ungeheure Kegel, bald hohe Mauern mit Schießscharten und Thürmen, bald weite Thore, die eine Aus¬ sicht auf das schäumende Meer gestatten, bald Abgründe und Grotten, in deren Dunkel die Wasser rauschen, bald vom Wellenschlag ausgehöhlte, weit überhän¬ gende, unförmliche Blöcke, die bei jedem Stoß der heranstürmende» Flut zu zit¬ tern scheinen und doch wol noch für Jahrhunderte festgegründet liegen. In dieser wilden, dann- und strauchlosen Umgebung sind die Häuser und Hütten von Bidaritz erbaut. Einige mühsam aufwachsende Reben längs der Mauern und einige Topfgewächse sind das einzige lebendige Grün — aber die nackten Felsen und den kahlen Strand beleben die Badegäste, die aus weitem Umkreise hier zusammenströmen, und die Reisenden, die nach alter Sitte und un- abweislichen Fnhrerbefehl das Dorf Bidaritz besuchen müssen. Für die Bequemlichkeit der Fremden scheint übrigens wenig gethan. — Die Lebensmittel sind schlecht und theuer, die Wohnungen klein und nur durch ihre Reinlichkeit erträglich. Den Ladeplatz zwischen den Klippen hat das Meer ge¬ ebnet. Die Badenden fassen sich bei den Händen und gehen so in langer Kette dem Wellenschlag entgegen. — Die Dorfbewohner sind durch den Verkehr mit der „großen Welt" habsüchtig, schlau, kalt und ungenügsam geworden und schwer¬ lich gestatten die mitgebrachten und fortgeführten Gewohnheiten des Salonlebens ein Genießen und Verstehen der Natur, die sich hier im einfachsten, aber gro߬ artigsten Gewände zeigt. Und doch macht ihr Leben auf alle einen mächtigen Ein¬ druck. Sie fühlen sich beengt, unsicher, nicht mehr befriedigt durch das Scheinen und Lügen, in dem sie sich seit langer Zeit mit Gewandtheit bewegen. Die eitel¬ sten Frauen vernachlässigen hier ihre Toilette, denn Wind und Wellen scheuen weder Kopfputz noch Robe, die galanteste» Männer werden hier einsilbig, denn der Wogettdonner verschlingt die höflichen Redensarten. Die jüngere Welt geht gelangweilt am Strande auf und nieder; die älteren Herren und Damen sitzen stundenlang am Spieltische und die Genialen retten sich auf die Klippen von Bidaritz und fragen die tosende Flut mit Victor Hugo:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/255>, abgerufen am 23.07.2024.