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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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eine lärmende, schnell anwachsende Kinderschar überfiel und so hartnäckig belagerte,
daß die Maulthiere weder vor noch rückwärts konnten. Wir sollten Muscheln
kaufen, Möveneier, Seekühe von kolossaler Größe, Koralle" und Bvnquets von
Meer- und Strandgewächsen aller Art. Die kleinen Kaufleute überboten sich mit
einem Eifer, der sür ihre Zukunft das Beste erwarten ließ und nur das Aus¬
streuen einiger Kupfermünzen, das nnter der Handelsgenossenschaft eine lebhafte
Balgerei verursachte, machte uns von ihrer Zudringlichkeit insoweit frei, daß wir
das Wirthshaus erreichten und hinter dem großen Eßtische verschanzt waren, als
sie aufs neue anrückten. Aber mit wüthender Geberde und unbeschreiblicher
Zungenfertigkeit trieb sie die Wirthin fort und klagte dann in ziemlich gutem
Französisch, daß es für eine Fran von Erziehung schrecklich sei, unter diesen
Halbwilden zu leben. "Aber ein junges, gefühlvolles Herz weiß nicht zu rechnen",
sagte sie mit tiefem Seufzer und trocknete das fette, glänzende Antlitz. "Mein
jetziger Mann kam mit seinem Regiment nach Se. Goudeus, wo mein Vater ein
Schneider ist, und da habe ich aus Liebe diese Mißheirath geschlossen." Sie
seufzte noch einmal, band sich eine reine Schürze vor und bald darauf stand das
gefühlvolle Weib mit blutigen Händen an der Hofthür und rupfte einige Hühner,
die unserm Appetit geopfert werden sollten.

Urraca hatte sich vertraulich neben uns gesetzt und die Reden der Wirthin
stumm aber mit bedeutungsvollen Kopsschütteln angehört. Die Hansfrau rief uns
zu, sie bedauere uns nicht schnell bedienen zu können, da ihre Magd nach
Bayonne gegangen wäre, aber Urraca verstand weder diese noch ähnliche Andeu¬
tungen und als die Wirthin endlich unumwunden die Bitte aussprach: Mademoi¬
selle möge ihr helfen, erklärte diese sehr bestimmt: sie gehöre zu den Halbwilden,
mit denen Madame nichts zu thun haben möge.

Nun begann ein Kreuzfeuer zorniger Blicke: Redensarten, die wir nicht
verstanden, flogen herüber und hinüber, aber Urraca blieb Siegerin. Madame
zog sich zurück, freilich mit großem Geschrei und der französischen Betheuerung:
nur die Rücksicht auf ihre Gäste hindere sie, die unverschämte Baskin zu rupfen,
wie ihre Hühner, aber sie ging doch und Urraca legte mit siegestrunkener Miene
die gefallenen Hände in den Schoß.

-- So machen sich immer diese hochmüthigen Närrinnen, sagte sie.
Halbwilde hat sie uns genannt! Sie hat recht, die Fischer von Angelet haben
immer guten Namen gehabt unter den Meerwölfeu, obwol sie eigentlich nur von
halbem Blute send.

Wir baten um Erklärung.

-- Von halbem Baskenblute will ich sagen, fuhr Urraca fort. Man sieht
das auch gleich an der Kleidung, denn sie tragen noch das braune Barett wie
die Bvarner, und am Haar, das sie abschneiden, während das ein rechter Baste
so lang trägt, wie es die Heiligen wachsen lassen. Und auch an der Sprache


eine lärmende, schnell anwachsende Kinderschar überfiel und so hartnäckig belagerte,
daß die Maulthiere weder vor noch rückwärts konnten. Wir sollten Muscheln
kaufen, Möveneier, Seekühe von kolossaler Größe, Koralle» und Bvnquets von
Meer- und Strandgewächsen aller Art. Die kleinen Kaufleute überboten sich mit
einem Eifer, der sür ihre Zukunft das Beste erwarten ließ und nur das Aus¬
streuen einiger Kupfermünzen, das nnter der Handelsgenossenschaft eine lebhafte
Balgerei verursachte, machte uns von ihrer Zudringlichkeit insoweit frei, daß wir
das Wirthshaus erreichten und hinter dem großen Eßtische verschanzt waren, als
sie aufs neue anrückten. Aber mit wüthender Geberde und unbeschreiblicher
Zungenfertigkeit trieb sie die Wirthin fort und klagte dann in ziemlich gutem
Französisch, daß es für eine Fran von Erziehung schrecklich sei, unter diesen
Halbwilden zu leben. „Aber ein junges, gefühlvolles Herz weiß nicht zu rechnen",
sagte sie mit tiefem Seufzer und trocknete das fette, glänzende Antlitz. „Mein
jetziger Mann kam mit seinem Regiment nach Se. Goudeus, wo mein Vater ein
Schneider ist, und da habe ich aus Liebe diese Mißheirath geschlossen." Sie
seufzte noch einmal, band sich eine reine Schürze vor und bald darauf stand das
gefühlvolle Weib mit blutigen Händen an der Hofthür und rupfte einige Hühner,
die unserm Appetit geopfert werden sollten.

Urraca hatte sich vertraulich neben uns gesetzt und die Reden der Wirthin
stumm aber mit bedeutungsvollen Kopsschütteln angehört. Die Hansfrau rief uns
zu, sie bedauere uns nicht schnell bedienen zu können, da ihre Magd nach
Bayonne gegangen wäre, aber Urraca verstand weder diese noch ähnliche Andeu¬
tungen und als die Wirthin endlich unumwunden die Bitte aussprach: Mademoi¬
selle möge ihr helfen, erklärte diese sehr bestimmt: sie gehöre zu den Halbwilden,
mit denen Madame nichts zu thun haben möge.

Nun begann ein Kreuzfeuer zorniger Blicke: Redensarten, die wir nicht
verstanden, flogen herüber und hinüber, aber Urraca blieb Siegerin. Madame
zog sich zurück, freilich mit großem Geschrei und der französischen Betheuerung:
nur die Rücksicht auf ihre Gäste hindere sie, die unverschämte Baskin zu rupfen,
wie ihre Hühner, aber sie ging doch und Urraca legte mit siegestrunkener Miene
die gefallenen Hände in den Schoß.

— So machen sich immer diese hochmüthigen Närrinnen, sagte sie.
Halbwilde hat sie uns genannt! Sie hat recht, die Fischer von Angelet haben
immer guten Namen gehabt unter den Meerwölfeu, obwol sie eigentlich nur von
halbem Blute send.

Wir baten um Erklärung.

— Von halbem Baskenblute will ich sagen, fuhr Urraca fort. Man sieht
das auch gleich an der Kleidung, denn sie tragen noch das braune Barett wie
die Bvarner, und am Haar, das sie abschneiden, während das ein rechter Baste
so lang trägt, wie es die Heiligen wachsen lassen. Und auch an der Sprache


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/252>, abgerufen am 03.07.2024.